Nostalgie und Interaktion, jede Menge Spass und immer wieder der Blick auf die Komplexität verkehrstechnischer Systeme: Das bietet das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern auf vergleichsweise kleinem Raum. Es ist gut vorstellbar, dass hier der eine oder andere spätere Ingenieur beziehungsweise eine spätere Pilotin, Astrophysikerin oder Informatikerin die entscheidende Idee für ihr Leben bekommen.
Faszinierende Geschichten
Es mag sein, dass die jüngeren Besucher heute nicht mehr derartig von den Loks und Eisenbahnwaggons fasziniert sind, wie das früher der Fall war. Heute sind andere Verkehrsmittel attraktiver. Aber gerade die Sammlung des Verkehrshauses, die bis in die Anfänge des Eisenbahnverkehrs in der Schweiz zurück reicht, erzählt faszinierende Geschichten von dem Triumph und der Mühsal, die dieses damals neue Verkehrsmittel mit sich brachte. Schliesslich mussten diese Kolosse auch bei Schnee und Eis bewegt werden, und es war ganz sicher kein Vergnügen, bei klirrender Kälte die Dampfloks, die Stellwerke oder Signalsteuerungen zu bedienen, vom Rangieren gar nicht zu reden.
Das ist wirklich eine versunkene Welt, die uns da begegnet. Sie verströmt bis heute einen ganz spezifischen Geruch. Staunenswert ist die handwerkliche Sorgfalt, mit der alle Teile der mächtigen Zugmaschinen und Wagen gefertigt wurden. Man vergleiche das nur einmal in der Luftfahrzeughalle mit der vergleichsweise grobschlächtigen Art, in der die ersten Flugzeuge zusammengenietet wurden.
Neben den Originalen der Schienenfahrzeuge gibt es jede Menge Modelle, so auch vom Verkehrssystem am Gotthard. Wenn man genügend Zeit hat, sollte man sich das 57 Meter lange animierte Tunnelmodell nicht entgehen lassen. Es bildet den Gotthard-Basistunnel, der in einer Länge von 57 Kilometern 2016 in Betrieb genommen wurde, im Massstab 1:1000 ab. Auf der einen Seite erkennt man die unterschiedlichen Gesteinsarten, die in ihren Formationen durchbohrt werden mussten, und kann die verschiedenen Stadien des Baus nachvollziehen. Auf der gegenüberliegenden Wandseite ist der Tunnel mit seinem Zugverkehr dargestellt.
Surreale Eindrücke
Der Weg zur Halle mit den Flugzeugen enthält eine Reihe von Überraschungen. So kommt man an einem grösseren Bassin, Arena genannt, vorbei. Wie in einem surrealen Film bewegen sich darauf kleine Boote mit Besuchern. Im Hintergrund des Bassins erscheinen unzählige blaue Strassenschilder der Schweiz. Die Schweiz – real und surreal in einem, sich selbst ein bisschen parodierend und dabei liebenswert.
Am Bassin vorbeikommend erblickt man zwei Flugzeuge, die jedes für sich genommen Geschichten erzählen, die man wieder und wieder hören könnte. Da ist die Douglas DC-3, „das erfolgreichste Transportflugzeug aller Zeiten“, wie es in der Beschreibung heisst. Am spannendsten aber ist die Convair CV-990 Coronado, die die Swissair 1959 bestellte. Die Coronado war damals das schnellste Verkehrsflugzeug der Welt, obwohl es in der Praxis nie die errechneten 1000 km/h erreichte. Die von der Swissair bestellten 8 Maschinen wurden nach zahlreichen Modifikationen erst ab 1962 ausgeliefert. Insgesamt wurden nur 37 Coronados gebaut. Die finanziellen Verluste hätten den Hersteller fast unter sich begraben.
Für die Swissair war dieses Flugzeug aber eine Erfolgsstory, auch wenn sie unverhältnismässig teuer bezahlt wurde. Bei der Coronado handele es sich, wie man auf dem erklärenden Schild lesen kann, um das unprofitabelste Passagierflugzeug, das je gebaut und betrieben wurde. Steigen wir also in das ausgestellte teure Stück ein und träumen ein bisschen: Wie war es damals als Passagier? Privilegiert, natürlich. Geradezu exklusiv. Und wie als Pilot mit all den Problemen, die heute die Computer lösen, aber für die es früher Navigatoren, Funker und Bordingenieure gab?
Lassen wir die Nostalgie. Oder machen wir einen Schritt, der nicht ohne Raffinesse ist. In der Halle mit den Flugzeugen hängen die ältesten Flugmaschinen zusammen mit neuesten Geräten, von denen man auf den ersten Blick nicht weiss, ob man sich ihnen anvertrauen würde. Von dieser Halle geht etwas ungeheuer Beschwingtes aus. Alles geht in die Luft – vom plumpsten Oldtimer, über den Helikopter bis zum irren Paraglider. Erwachsene und Kinder bestaunen dieselben Präsentationen. Das Verkehrshaus weckt Neugier ohne Altersbegrenzung.
Neugier, das heisst auch immer, etwas direkt erleben zu wollen. Was bedeutet es zum Beispiel, ein Flugzeug einigermassen gerade in der Luft zu halten und damit zu landen? Auch das kann jeder Besucher im Verkehrshaus ausprobieren. Dafür gibt es einen Simulator mit einem grossen Screen. Man stellt sich davor, breitet die Arme aus, und schon geht es los. Auch hier wechseln sich Kinder und Erwachsene ab.
In der Eingangshalle hängt das weltweit grösste Modell der „Solar Impulse 2“, mit der Bertrand Piccard und André Borschberg die Welt umrundet haben. Dazu gibt es eine Nachbildung des Cockpits, in dem die Besucher Platz nehmen können. Und wen es statt in die Höhe mehr in die Tiefe zieht, der kann in das U-Boot „Mesoscaph“ steigen. Es wurde 1963 von Auguste Piccard entworfen und von seinem Sohn Jacques gebaut. Es ist das erste U-Boot für Touristen und soll in über 1000 Tauchgängen 30‘000 Passagiere befördert haben. Kurz vor der anstehenden Verschrottung im Jahr 2005 konnte es das Verkehrshaus erwerben und unter Beteiligung von Freiwilligen in 28‘000 Arbeitsstunden restaurieren.
Die Angebote sind so reichhaltig, dass ein Besuch nicht ausreicht, um sie alle wahrzunehmen. Denn zusätzlich zu den Bahnen und Flugzeugen ist eine Halle der Binnenschifffahrt gewidmet, und das Thema Auto darf natürlich auch nicht fehlen. Eindrücklich ist hier der Crashtest, der alle Stunde stattfindet und jeweils 15 Minuten dauert. Stiller geht es in der Halle zu, in der modernste Techniken der Informatik präsentiert werden – natürlich auch interaktiv.
Das Thema Raumfahrt kommt im Moment etwas zu kurz, was allein damit zusammenhängt, dass an einer Neueröffnung Ende November gearbeitet wird. Etwas kurios wirkt die Tatsache, dass das Verkehrshaus dem Künstler Hans Erni ein eigenes Museum gewidmet hat und dass es seit einiger Zeit das „Swiss Chocolate Adventure“ gibt. Hier taucht man mit allen Sinnen in die Welt der Schokolade ein; amüsant ist das allemal.
Museum der Superlative
Ein weiteres Glanzstück ist das Planetarium. Es wurde 1969 eröffnet und hat eine 18 Meter grosse Kuppel. Auf der Projektionsfläche von über 500 Quadratmetern werden in regelmässigen Abständen Einführungen in die Astronomie gezeigt. Entsprechend wird das Planetarium auch als „Himmelssimulator“ bezeichnet.
Nicht weniger eindrücklich ist das Filmtheater mit der grössten Leinwand der Schweiz, in dem auch 3D-Filme gezeigt werden. Man kann das Kino unabhängig vom Museum besuchen, was sich auch wegen des wechselnden Programms empfiehlt.
Das Verkehrshaus ist in mehrfacher Hinsicht ein Museum der Superlative. Mit seinen fast 760'000 Eintritten im Jahr 2015 kann es sich als das meistbesuchte Museum der Schweiz bezeichnen. Es wird vom „Verein Verkehrshaus der Schweiz“ betrieben, wobei die Sammlungen Eigentum einer Stiftung sind. Zu 90 Prozent finanziert sich das Museum über die Eintritte, die Einnahmen in den Restaurants und Shops sowie Beiträge von Sponsoren und Donatoren. Die öffentliche Hand ist lediglich zu zehn Prozent beteiligt. Diese finanzielle Eigenständigkeit wird weltweit von den Fachleuten bewundert.
Modell der Schweiz
Offiziell werden 199 Angestellte gezählt. Dazu kommen aber noch zahlreiche freiwillige Helfer, die im Hintergrund dafür sorgen, dass alles gut in Schuss ist. Und manches wird allein durch sie ermöglicht. So entstand das Gotthardbahnmodell 1959 in etwa 30‘000 Arbeitsstunden, die Luzerner Eisenbahn- und Modellbaufreunde in ihrer Freizeit dafür aufwandten.
Das Museum wurde 1949 eröffnet, und manche Ausstellungsstücke erinnern an diese Zeit. Aber die Gegenwart ist mindestens genauso gut vertreten, und es fehlt auch nicht der Blick auf zukünftige Entwicklungen. Wenn man will, kann man hierin das Modell sehen, nach dem sich die Schweiz insgesamt entwickelt.