Es waren immer wieder Fotos, die das Gewissen der Welt aufrüttelten, die Betroffenheit auslösten oder die Sensationsgier der Betrachter befriedigten. Ob von den Balkankriegen der neunziger Jahre, aus dem bürgerkriegszerissenen Mittelamerika der achtziger Jahre, vom Libanonkrieg der siebziger Jahre, aus Vietnam und Kambodscha, Biafra oder Korea.
Bilder von Tod und Zerstörung wurden in allen Kriegen der Neuzeit gemacht und ergänzten Zeitungsartikel und TV-Reportagen. Manche Fotos wurden Bildikonen, die wieder und wieder publiziert wurden, wie Cappas Foto des getroffenen Soldaten im spanischen Bürgerkrieg; der Buchhalter Adolf Eichmann 1961 im Glaskäfig vor dem Jerusalemer Gericht; das verstörende Bild des Polizeichefs von Saigon, der einen gefangenen Vietcong auf offener Strasse erschiesst (1968); die achtjährige Phan Thi Kim Phuc, die nackt vor den Napalmbomben südvietnamesischer Flugzeuge flieht, (1972) oder der einsame Student vor den chinesischen Panzern auf dem Tian’anmen-Platz (1989).
Weltweit lagern in Archiven ganze Fotoalben „interessanter Schnappschüsse“. In China waren britische Offiziere nach der Niederschlagung des Boxeraufstands (1901) so zufrieden mit den Ergebnissen ihrer Strafexpedition, dass sie sich nach den Exekutionen mit den abgeschlagenen Köpfen in der Hand fotografieren liessen. Das mörderische Motiv war so beliebt, dass ganze Postkartenserien davon verkauft wurden. Zehn Jahre später berichtete die „Berliner Illustrierte“ unter der Überschrift „Mazedonische Gräuel“: „Die türkischen Soldaten haben die abgeschnittenen Köpfe ihrer Opfer in Säcke gepackt und zum nächsten Fotografen geschleppt, wo sie sich aufnehmen liessen und die blutigen Beweise ihrer Bestialität als dekorativen Schmuck verwendeten.“
In den zwanziger und dreissiger Jahren wurde in den Südstaaten der USA durchschnittlich jede Woche ein schwarzer Mann, eine schwarze Frau oder ein schwarzes Kind von einem weissen Mob gelyncht. Dabei ging es zu wie auf dem Jahrmarkt, Fotografen schossen Bilder von dem Spektakel, die später oft als Postkarten verkauft wurden, Schaulustige posierten lächelnd vor den Fotoapparaten.
Photographieren muss bestraft werden
Mitte der sechziger Jahre fanden Historiker in einem polnischen Kriegsverbrecher-Archiv das Fotoalbum eines Gestapo-Hauptmanns Schmidt. Sein Erinnerungsalbum an „grosse Zeiten“ hatte er mit derselben Sorgfalt wie seine Dienststelle geführt. Die Bilder waren säuberlich eingeklebt, mit weisser Fototinte auf schwarzem Karton beschriftet und mit Datum, Ortsangabe und Namen versehen. Schmidt hatte sein auf Hochglanz gewienertes Dienstcabrio fotografiert, seinen Schäferhund beim Apportieren, Schlachtfeste mit Wodka und Weibern und die am Galgen hängenden Körper hingerichteter polnischer Widerstandskämpfer. Darin auch ein Foto: „Funker Griese belehrt Lubliner Juden mit erhobenem Stock.“ Schmidt hatte Glück, dass er nicht erwischt wurde. Denn die Nazis mochten es nicht, wenn in der Heimat ruchbar wurde, was an der Front und in den besetzten Gebieten vor sich ging.
„Exekutionen sind im Krieg leider notwendig“, schrieb Heinrich Himmler am 17. Juni 1944. „Sie zu fotografieren, ist aber ebenso geschmacklos wie schädlich für unser Vaterland.“ So wurde etwa ein SS-Untersturmführer vom Obersten SS- und Polizeigericht wegen Ungehorsams verurteilt. „Wegen der Judenaktionen als solcher soll der Angeklagte nicht bestraft werden, denn die Juden müssen vernichtet werden“, hiess es am 24. Mai 1943 in dem Urteil über einen Max Täubner, „aber dass er von den Vorgängen Aufnahmen gemacht hat, in Fotogeschäften entwickeln liess und seiner Frau und Bekannten zeigte“ – das musste bestraft werden.
1966 berichtete der ehemalige SS-Rottenführer Hans Sobotta im Stuttgarter Lemberg-Prozess, wie der angeklagte Ernst Epple die Juden des Lagers antreten liess und einen Häftling, der aus Schwäche liegengeblieben war, erschoss. „Dann hat er mich aufgefordert, mich neben den Erschossenen zu stellen. Dann hat er ein Foto gemacht.“
Im libanesischen Bürgerkrieg in den siebziger Jahren sah die legendäre Fotographin Catherine Leroy vor ihrem Hotel in Beirut im Strassengewühl einen Mann mit einer Kalaschnikow, in deren Lauf eine rote Blume steckte. Instinktiv begann Catherine Leroy zu fotografieren, aber im gleichen Augenblick als sie durch die Linse blickte, legte der Palästinenser auf sie an. Die Geste war unmissverständlich: Du schiesst, dann schiesse ich auch. Der Killer mit der Blume führte sie dann durch ein paar Strassen und Tore zu einem Parkplatz, auf dem fünf getötete Falangisten lagen, die Hosen heruntergelassen, die Hoden abgeschnitten. Der Mann stellte sich neben seine Jagdtrophäen. Nun wollte er fotografiert werden.
„Nicht schiessen!“
In Vietnam waren die Fotografen wahre Schlachtenbummler geworden, für sie hatte der Krieg den Charakter einer Verabredung. Der Frontverlauf war bekannt, die militärischen Operationen wurden rechtzeitig angekündigt, und zum Krieg ging man pünktlich wie zu einer Opern- oder Theaterpremiere. In Konvois von Taxis und Bussen und ganzen Helikopterschwärmen liessen sich Journalisten zu den Feldquartieren chauffieren. Vor dem Aufbruch wurde jedem eine Anstecknadel fürs Revers gereicht, ein Schreibblock mit Kugelschreiber und eine Kühlbox für die Drinks. Das einzige Wort Vietnamesisch, das man wissen musste, war „Bao Chi“ (Presse) und bedeutete soviel wie „nicht schiessen!“
Nur selten stiessen die Bildreporter auf Ablehnung. Und jene, die Ablehnung ausdrückten oder sich zu verbergen suchten, waren zumeist solche Täter, denen ihre Schuld bewusst war. Dann versuchten die Fotografierten die Kameralinse mit der Hand zu verdecken oder sich abzuwenden. Unter den GIs, die der Armeefotograf Ronald Haeberle am 16. März 1968 in My Lai fotografierte, schien nur einer an der Rechtmässigkeit ihres Handelns zu zweifeln. An jenem Tag griff das 1. Platoon der C-Company der 23. Infanteriedivision unter dem Kommando von Leutnant William L. Calley den Weiler My Lai 4 in Südvietnam an und schlachtete die 504 Bewohner ab, Frauen, alte Männer und Kinder – und Haeberle fotografierte. Ein Soldat, auf dessen Uniform Haeberle den Namen West las, wurde misstrauisch und versuchte ihn zu vertreiben: „Vorsicht! Hier ist jemand mit einer Kamera“, rief er. „Der hat doch kein Recht, mit dem Fotoapparat zu knipsen und von solchen Vorgängen Bilder zu schiessen. Der hat doch überhaupt keine Veranlassung dazu.“
Im salvadorianischen Bürgerkrieg in den achtziger Jahren, in dem achtzig Prozent der Getöteten Opfer der von der ultrarechten, faschistischen Landoligarchie finanzierten Todesschwadronen waren, publizierten die Lokalzeitungen seitenweise Meldungen über Vermisste und Ermordete, wenn möglich mit den Fotos von den vestümmelten Leichnamen. Guerillaeinheiten griffen gelegentlich Polizei- oder Armeeposten für die Presse an, dass Kameraleute der TV-Crews und Fotografen „Action-Bilder“ schiessen konnten. Und von den USA finanzierte Contraverbände, die in denselben Jahren Nicaraguas sandinistische Regierung bekämpften, töteten Gefangene auch mal für die Kameras.
Selfies aus den Smartphones
Heute, fünfzig Jahre nach Vietnam und My Lai, vierzig Jahre nach El Salvador und Nicaragua und fast dreissig Jahre nach den Balkankriegen, müssen Fotografen gar nicht mehr vor Ort sein. Heute überschwemmen Schnappschüsse und sogenannte Selfies aus den Smartphones der Beteiligten den Markt und verdrängen die Haeberle, die Nachtwey, Höpker oder Cappa. Oftmals ist die Authenzität der Bilder kaum noch nachzuweisen.
In Afghanistan oder im Irak entlarvten nicht Fotografen Kriegsverbrecher und Kriegsgräuel. Es waren die Täter selbst, die ihr beschämendes und menschenverachtendes Verhalten fotografierten. So etwa im Abu-Ghuraib-Gefängnis, wo irakische Insassen vom Wachpersonal misshandelt, vergewaltigt und gefoltert wurden, oft bis zum Tod – auch wenn die meisten der Gefangenen unschuldig, „einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, wie die damalige Abu-Ghuraib-Kommandantin Karpinski später zugab. Die Folterer, amerikanische GIs, männliche und weibliche, fotografierten und filmten sich gegenseitig, wenn sie Gefangene quälten, erniedrigten, demütigten oder auch nur einschüchterten. Und lachten dabei unbefangen in die Linse.