
Der Chat vom Montag, bei dem die führenden Köpfe der Trump-Administration sich im Netzwerk «Signal» über einen unmittelbar bevorstehenden Raketenangriff auf die Huthi-Rebellen in Jemen austauschen wollten, hat es in sich – er enthüllte eine Sicht, die von Welt-Unkenntnis und Verzerrungen nur so strotzt. In der Diskussion ging es nämlich nicht nur um Jemen und die angespannte Lage in Nahost, sondern auch um globale Themen – und um Europa.
J. D. Vance, US-Vizepräsident, vertrat die Meinung, ein amerikanischer Militärschlag gegen Jemen sei eigentlich viel weniger im Interesse der USA als in jenem Europas. «Ich hasse es, den Europäern aus der Patsche zu helfen», sagte er und behauptete, die Vereinigten Staaten würden lediglich drei Prozent ihres Handels durch das Rote Meer abwickeln, die Europäer dagegen vierzig Prozent.
Versorgung der US-Stürzpunkte
Fakt ist: Die USA sind schon deshalb mehr als die Europäer auf störungsfreie Schifffahrt durch den Suez-Kanal, das Rote Meer und die Meerenge des Bab al-Mandab (Tor der Tränen) angewiesen, weil sie in der mittelöstlichen Region 41 militärische Basen betreiben. Die wichtigste davon ist jene vor Bahrain im Persischen Golf; da ist die 5. US-Flotte stationiert. Aber auch US-Stützpunkte in Djibouti, Somalia, im Indischen Ozean werden durch Nachschub via Rotes Meer versorgt. Sie alle sind Teil des weltumspannenden Netzes von amerikanischer Militärpräsenz von insgesamt sage und schreibe 772 Basen.
Tatsachen sind offenkundig auch irrelevant für Verteidigungsminister Pete Hegseth, der im Montags-Chat die von seinem Pentagon geplante (und zwei Stunden später realisierte) Attacke auf Stellungen der Huthi in Jemen erläutern wollte. Keine Silbe verlor er in diesem Zusammenhang zum Konflikt der Huthi mit Israel darüber, dass die Huthi ihre Drohnen und Raketen auf Tel Aviv richten, weil sie sich davon Druck auf Netanjahu im Krieg gegen die Hamas versprechen und dass die USA jetzt militärisch eingreifen, um Israel zu entlasten. Er zog es im Montags-Chat vor, die Aussage des Vizepräsidenten zu verstärken: «Ja, Schmarotzer sind sie, diese Europäer.» Womit er wohl, indirekt, auf den Ukraine-Krieg hinweisen wollte.
Immun gegen Fakten
Schmarotzer, wirklich? Tatsache ist: Europa hat der Ukraine bisher total für 62 Milliarden militärische Hilfe geleistet, die USA für 64 Milliarden. Allerdings: Europa kauft mehr als 60 Prozent seiner Rüstungsgüter in den USA, und davon profitieren die US-Rüstungskonzerne. Auch die militärischen Geräte, welche die USA direkt an die Ukraine geliefert haben, werfen satte Gewinne für die Rüstungskonzerne in den USA ab, das heisst, von den erwähnten 64 Milliarden verbleiben zig-Milliarden im eigenen Land.
Vergleicht man anderseits die Leistungen der USA und Europas zugunsten der Ukraine auch unter Einbezug nicht-militärischer Hilfe, zeigt sich dieses Bild: 132 Milliarden aus Europa, 114 aus den USA.
Und wie sieht das mit Blick auf andere Konflikte, über einen längeren Zeitraum aus?
- Als die USA vom al-Qaida-Terror, am 11. September 2001 getroffen wurden (Attacke auf das World Trade Center in New York, versuchter Angriff auf das Pentagon, 3000 Tote) proklamierte US-Präsident George W. Bush den «Krieg gegen Terror» und appellierte an die Solidarität der übrigen Welt. Die Nato, also auch alle europäischen Mitglieder der Allianz, beschloss, gemäss Artikel 5 des Nato-Pakts, den Bündnisfall und engagierte sich, mehrheitlich auch militärisch, an der Seite der USA gegen al-Qaida in Afghanistan.
- Als die USA im Jahr 2003 den Krieg gegen Irak lancierten, formierte sich eine «Allianz der Willigen» (bestehend aus Streitkräften mehrer Länder auch aus Europa).
- Brav machten die Europäer – mehrheitlich contre coeur – bei den von den USA verhängten Sanktionen gegen Iran mit.
Gegen Fakten ist die Mannschaft in Washington immun – das gilt offenkundig auch für den Präsidenten selbst. Ein Journalist fragte Donald Trump am Tag nach dem Durchsickern des Chats vom Montag, ob er auch der Meinung sei, die Europäer seien Nutzniesser amerikanischer Grosszügigkeit und Gutgläubigkeit: «Ja, ich glaube schon, sie schmarotzen tatsächlich.»