Levan Chogoshvili (*1953) hat seine eigenständige Ausdrucksweise im Widerstand gegen die sowjetische Kunstdoktrin im Untergrund entwickeln müssen. Heute hat er es erneut mit einer Regierung zu tun, die Georgien auf einen russischen Pfad zwingen will.
Mit seiner seit 1970 bis in die jüngste Zeit laufenden Serie «Zerstörte Aristokratie» hat der in Tbilissi lebende Chogoshvili einen Bildtypus geschaffen, der Elemente der historischen Dokumentation in freier malerischer Form verarbeitet. Die Serie steht für eine subversive Kunst, die unterdrückte, ja sogar ausdrücklich verbotene Erinnerungen bewahrt.
Die von 1921 bis 1990 über Georgien herrschenden Sowjets waren darauf aus, die kulturelle Eigenständigkeit des Landes auszulöschen und ihre Partei- und Staatsideologie gegen alle Widerstände durchzusetzen. Die christlich-orthodoxe Kirche, ein Pfeiler der georgischen Identität, war verboten. Angehörige der in kommunistischer Terminologie als «Aristokratie» bezeichneten Gesellschaftsschicht wurden planmässig verfolgt und ermordet. Betroffen war eine Elite aus Intellektuellen, Offizieren, Geistlichen, Industriellen. Auch Bäuerinnen und Bauern, Menschen in abgelegenen Berggebieten, Mitglieder der polnischen oder deutschen Diaspora und viele andere, die sich der Gleichschaltung widersetzten, fielen den Massentötungen zum Opfer.
Zwischen 1918 und 1921 hatte Georgien ein kurzes Aufblühen als unabhängiger demokratischer Staat erlebt. Kunst und Kultur des Landes reagierten auf die Sauerstoffzufuhr mit einem heftigen Aufbruch der Modernisierung. Doch nachdem die Rote Armee das Land besetzt und zwangsweise in die Sowjetunion eingliedert hatte, würgte das Regime diese Öffnung rigoros ab. 1924 kam es zu einem Aufstand gegen die Sowjetisierung, der sofort blutig niedergeschlagen wurde. Chogoshvilis Grossvater, der Arzt in Westgeorgien war, gehörte zu den Ersten, die von den Kommunisten hingerichtet wurden. Wie ihm erging es einem Grossteil der Gebildeten und weiterer Bevölkerungsgruppen, die sich der Kollektivierung widersetzten.
Bis in die 1970er Jahre blieb Georgien fast vollständig abgeschottet. Ein Austausch mit westlicher Kunst und Kultur war nur in rudimentärer Form möglich. Trotzdem begannen georgische Künstlerinnen und Künstler, sich vom verordneten «Sozialistischen Realismus» zu distanzieren und im Untergrund etwas Neues zu machen. Chogoshvili schildert in persönlicher Rückschau seine Konflikte mit der Kunstakademie von Tbilissi. Für das Diplom sollte er ein Abschlussbild abliefern, für das ihm als zugelassene Motive zur Verfügung standen: 1. Soldat, der in den Krieg zieht, 2. Soldat, der siegreich aus dem Krieg heimkehrt, 3. Arbeiter in einer metallverarbeitenden Fabrik, 4. Bauern mit Kühen, 5. Bäuerinnen mit Ziegen. Chogoshvili erzählt, er habe stattdessen georgische Helden aus der Zeit der Türkenkriege in ihren traditionellen Gewändern vorgeschlagen. Das sei ihm jedoch verboten worden, weil die langen Kleider der Männer den Kunstrichtern als homosexuell galten.
Die jungen georgischen Kunstschaffenden bekamen um 1970 selbstverständlich mit, dass in verschiedenen Teilen des Sowjetimperiums sich kulturelle und politische Widerstände gegen die Parteidiktatur regten. Um dem herrschenden Kunstdiktat zu entgehen, arbeiteten sie heimlich und stellten ihre Werke in Privatwohnungen aus. Levan Chogoshvili begann damals seine Serie «Zerstörte Aristokratie» zu entwickeln. Ausgangsmaterial waren heimlich aufbewahrte Familienbilder aus der Zeit vor der Sowjetisierung Georgiens. Deren Besitz war streng verboten, weil sie als Beweise für die grossflächigen Tötungen von Oppositionellen dienen konnten und weil sie die Zeit der georgischen Unabhängigkeit evozierten, in der eine andere Kultur und ein anderer Alltag herrschten als unter dem Sowjetregime.
Chogoshvili sammelte diese offiziell verpönten und für ihre Besitzer gefährlichen fotografischen Dokumente, malte sie nach und komponierte die so entstehenden Figuren und Fragmente zu ausdrucksstarken Bildern, in denen die Zeugen der vernichteten Kultur teils halb verborgen sind, teils in eindrücklichen Gestalten in Erscheinung treten. Beides evoziert das Verschwundene: Einmal muss es in den aus vielen Überlagerungen geschichteten Bildern regelrecht gesucht werden, dann wieder zeigt es sich, verkörpert in Figuren von kraftvoller Präsenz. Die Serie «Zerstörte Aristokratie» entreisst die unter dem sowjetischen Joch verfolgten und ermordeten Träger georgischer Kultur dem Vergessen.
Der Rückblick auf das Verlorene ist nicht blosse Nostalgie, da er auch die Erinnerung an die Modernität bewahrt, die in der kurzen Phase der georgischen Unabhängigkeit auf Kultur und Kunst einwirkte. Chogoshvili kopiert nicht einfach die Vorlagen, sondern erschafft sie in seinem sich im Lauf der Jahre wandelnden Malstil jeweils neu. Da ist kein Schwelgen in «grosser» Vergangenheit, keine Idealisierung. Das Erinnerte ist keine total andere Welt als die doch ziemlich schäbige Gegenwart, aber diese erinnerte Welt durfte georgisch sein und war mit sich im Reinen.
Wichtig an der heraufbeschworenen Zeit der georgischen Identität war für die im Untergrund arbeitenden Künstler das Echo der europäischen Avantgarde, das in ihr widerhallte. Chogoshvili fängt es in seinen Bildtafeln, aber auch in Experimenten mit Fotografie und Video ein. Manche Gestalten auf den Bildern charakterisieren die Menschen mit den Mitteln der Karikatur, andere zeigen die Eleganz und Lässigkeit von Modezeichnungen. Stilistisch ist die Malerei Chogoshvilis kongruent mit seinem programmatischen Ansatz der Öffnung zur europäisch-westlichen Moderne. Das äussert sich meist auch in der Materialität der Arbeiten – ungerahmte Papiere, Kartons und Leinwände –, die auch als Kunstobjekte die Aufmerksamkeit des Betrachters suchen und so eine ganz und gar moderne Auffassung des Künstlers verraten.
Da in der Sowjetunion Religion verboten war und verfolgt wurde, gehörte sie zu der kuriosen Allianz von Hippies, Liberalen und Konservativen, als in den 1970er Jahren sich auch in Georgien Widerstand zu artikulieren begann. Chogoshvili ist sogar der Meinung, die orthodoxe Kirche sei das eigentliche Fundament der Opposition gewesen. Die bis Ende der 1980er Jahre offiziell verbotenen christlichen Themen sind bei ihm von grosser Bedeutung. Chogoshvili ist von Fresken aus dem 7. und 8. Jahrhundert beeindruckt. Ihr dramatischer Ausdruck in elementarer Flächigkeit erscheint ihm in gewisser Weise «modern» und hat seine eigene Malweise beeinflusst.
Die Geschichte von Unterwerfung und Freiheitskampf ist in Georgien weiter in vollem Gang. Seit seiner erneuten Unabhängigkeit im Jahr 1990 – noch vor der Auflösung der Sowjetunion – durchlebt das Land eine dramatische Periode, die seit dem Machtantritt Putins unter wachsendem Einfluss Russlands steht. 2008 provozierte Georgien mit seinem unbedachten Angriff auf das abtrünnige Territorium Südossetien die Russen zum militärischen Eingreifen. Dieser kurze Kaukasuskrieg endete mit der faktischen Angliederung Südossetiens und Abchasiens an Russland. Seither ist Georgien gespalten in einen nach Europa und einen nach Russland orientierten Bevölkerungsteil. Die zurzeit regierende russlandfreundliche Partei «Georgischer Traum» befindet sich auf einem politischen Pfad der Angleichung an russische Verhältnisse. Für Leute wie Levan Chogoshvili bedeutet dies den Rückfall in einen überwunden geglaubten Autoritarismus.
Kunsthalle Zürich: Levan Chogoshvili
kuratiert von Daniel Baumann
bis 25. Mai 2025