
Nicht nur im Bundesrat, nein, auch im Schweizerland: Hierzulande sorgt die Landwirtschaftsbranche für Druck: Vorwärts in die Vergangenheit!
Landwirte demonstrieren auf dem Bundesplatz gegen Sparmassnahmen. Bei der Revision des bäuerlichen Bodenrechts wollen sie Hochwasserschutzprojekte einschränken. Mit mehr als 300 Angestellten ist der Schweizer Bauernverband (SBV) der mächtigste Lobby-Club im Land – quasi ein (Bauern-)Staat im Staat. Er kämpft hinter den Kulissen unter anderem für eine Lockerung des Pestizidverbots.
«Schweizerart ist Bauernart»
An den Schalthebeln der Bundespolitik sitzen jene Vertreterinnen und Vertreter, für die «Schweizerart ist Bauernart» – auch nach rund 100 Jahren – Gültigkeit hat und gleichzeitig tägliche Motivation ist. Gemäss einer SRF-Statistik sind es im Bundeshaus 50, gemäss «Lobbywatch» 40 Damen und Herren, die der Lobbygruppe Landwirtschaft zuzurechnen sind; gar 91 Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier, die einen Bezug zur Landwirtschaftsbranche haben. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass lediglich zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung in diesem Sektor tätig sind und das erwirtschaftete Bruttoinlandprodukt (BIP) unter einem Prozent liegt.
Die geballte Kraft von Organisationen mit bäuerlichen Wurzeln ist kolossal. Agrisano, Agro-Marketing Suisse, Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter, BauernZeitung, Fenaco, kartoffel.ch, Ricoter, Schweizer Zucker, Schweizer Fleisch, Swissmilk, Stiftung für eine nachhaltige Ernährung durch die Schweizerische Landwirtschaft, Vereinigung schweizerischer Kartoffelproduzenten und wie sie alle heissen: Sie alle helfen mit, dass die Schweiz auch im 21. Jahrhundert von Bauern regiert wird und deren Macht von Jahr zu Jahr weiter zunimmt.
Die «NZZ am Sonntag» spricht von der Schattenregierung, die das Hightech- und Industrieland Schweiz regiert. Wer sich fragt, warum dem so sei, erfährt von Fachleuten, dass «das Bäuerliche zur DNA der Schweiz gehöre». Und so nebenbei lernt man, dass «die Bauern nicht nur Interessenpolitik für ihre Branche machen; Ritter bringt auch sein konservativ-bewahrendes Weltbild in andere Politikbereiche ein» (NZZaS.) Wollen wir das wirklich? (Markus Ritter, ist Präsident des SBV.)
Problem Fleisch- und Milchkonsum
Während der Bund die bäuerliche Tierhaltung finanziell unterstützt, setzt er sich gleichzeitig dafür ein, den Fleischkonsum in der Schweiz zu senken. Dabei geht es in erster Linie um die Klimabilanz, bei der auch der Milchkonsum im Fokus ist. Wir alle kennen die Weltformatplakate und die TV-Werbung: Schweizer Fleisch und Schweizer Milch wird beworben («natürlich aus der Schweiz») und wir alle bezahlen das. Gleichzeitig zeigt die neueste Ernährungsforschung, dass weniger Fleisch- und in vielen Fällen auch weniger Milchkonsum aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll wäre.
Festzustellen ist, dass der Bauernverband den Fleisch- und Milchverkauf nach wie vor forciert und die Augen weitgehend vor den manifest werdenden Foodtrends und Empfehlungen seriöser Ernährungsberatung verschliesst. Statt seine Mitglieder auf die neuen, weltweiten Ernährungstrends vorzubereiten und die Produktionsziele anzupassen, schreitet der Verband rückwärtsblickend in die Zukunft.
Pflanzendrinks als Ersatz für Milch haben eine deutlich bessere Klimabilanz als Kuhmilch. Am besten sind diesbezüglich Hafer- und Sojamilch mit einer Reduktion von etwa vierzig Prozent pro Liter (Das Magazin). Natürlich ist Milch sehr nährstoffreich. Doch bereits jede fünfte Person in der Schweiz kann sie wegen Laktoseintoleranz schlecht verdauen. Ernährungsberaterinnen weisen zudem darauf hin, dass Kuhmilch Allergien und gesättigte Fettsäuren gesundheitliche Probleme auslösen können und dass im Kuhstall Hormone und Antibiotika zum Einsatz kommen. Doch nach wie vor werden Milchersatzdrinks aus dem Ausland importiert, weil in der Schweiz zu wenig von den benötigten Pflanzen angebaut werden.
Wie viel Fleischkonsum ist gesund? Die Meinungen gehen auseinander. Natürlich liefert Fleisch wichtige Nährstoffe wie Eisen, Vitamin B2 oder Eiweiss, doch kann das gleiche Resultat mit vermehrtem Konsum von Hülsenfrüchten wie Linsen, Bohnen oder Soja erreicht werden. Klimaschonend wäre das alleweil.
Belastetes Grundwasser
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) vermeldet, dass in der Schweiz das Grundwasser vor allem im Flachland mit der gesundheitsschädlichen Trifluoressigsäure (TFA) stark belastet ist. Heute sind 29 TFA-bildende Pestizide zugelassen; diese Stoffe sind nicht abbaubar und die Konzentration nimmt auch im Trinkwasser kontinuierlich zu. Besonders gravierend ist das Problem in Ackerbau-Zonen; insgesamt werden in der schweizerischen Landwirtschaft jährlich 2000 Tonnen Pestizide eingesetzt (Tages-Anzeiger).
Der Leiter des Fachbereichs «Toxikologie und Pflanzenschutzmittel» beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sagt dazu: «Die toxikologischen Methoden der Bewertung von Pestiziden sind nach wissenschaftlichen Kriterien ungenügend und gefährden damit möglicherweise die öffentliche Gesundheit» (Tages-Anzeiger). Damit nicht genug: Jetzt will unser Parlament die Zulassung von neuen Pestiziden vereinfachen. Besonders pikant: Das Lobbyschreiben des Bauernverbandes an die Mitglieder der Wirtschaftskommission (WAK) – wo der Cheflobbyist des Bauernverbandes, Markus Ritter, gleich selbst sitzt – pocht darauf, dass auch in Zukunft verbotene Pflanzenschutzmittel weiter eingesetzt werden dürfen (SonntagsBlick).
National- und Ständerat, die Dachorganisation aller landwirtschaftlichen- und Bauernlobby-Organisationen?