Die digitale Revolution verändert unser Leben. Jobs gehen verloren, neue Chancen eröffnen sich. Die Gesellschaft ist eben daran, sich neu zu formieren. Da und dort weckt das alles Angst und Unsicherheit. Die beste Medizin dagegen heisst: Neugier entwickeln, Mut für Neues beweisen.
Strukturwandel gab es auch bei den Grosseltern
Wer die Umwälzungen der Globalisierung und Digitalisierung aus historischer Sicht betrachtet, realisiert bald einmal, dass schon das Leben unserer Gross-, ja Urgrosseltern durch Basisinnovationen erschüttert worden war, die angestammte Berufe überflüssig gemacht und alte Gewohnheiten eliminiert hatten. Die ersten Eisenbahnen verblüfften, die Erfindung des Telefons war gleichsam ein Wunder, der elektrische Strom als „Dienstleister“ vereinfachte das Leben, die ersten Autos begegneten grosser Skepsis, einzelne Dörfer verhängten Fahrverbote oder beschränkten die Geschwindigkeit auf das Fussgängertempo („A passo“ in Bündner Gemeinden).
Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann beantwortet die Frage, ob das Verschwinden einzelner Berufe als Folge der Digitalisierung nicht berechtigte Ängste auslöse, mit fundierten Vergleichen mit den Erfahrungen der letzten 200 Jahre. Natürlich werden nicht wenige Beschäftigungen überflüssig, neue werden aber gleichzeitig spannende Chancen eröffnen. Wichtige Voraussetzungen zum raschen Wandel sind, dass die Volkswirtschaften ein hohes Mass an Offenheit und Wettbewerbsförderung signalisieren.
Wie man den Wandel meistert
Überholte Berufe sollen nicht geschützt werden, da sie früher oder später verschwinden werden. Straumann ist sehr optimistisch, dass die Schweiz den Strukturwandel rechtzeitig schaffen wird. Beispiel: Unser Bildungssystem mit diversen Bildungswegen, laufend dem Wandel angepasst, schafft optimale Voraussetzungen zur erfolgreichen Meisterung des Wandels. Dieses Beispiel und andere (z. B. unsere Arbeitslosenversicherung, die Weiterbildung und Umschulung fördert) helfen, allfällige Zukunftsängste zu überwinden und einen Aufbruch und Neustart zu wagen.
Innovation schafft neue Arbeitsplätze
Das UZH Magazin, die Wissenschaftszeitschrift der Universität Zürich, gibt Einblicke in ihr blühendes Innovations-Ökosystem, das in den letzten Jahren im Raum Zürich entstanden ist. In aller Bescheidenheit vermeldet es über 100 Spinn-off-Firmen und zahlreiche Gründungen von Start-ups. Insgesamt wurden 300 Lizenzen für wissenschaftliche Erfindungen vergeben. Eine veritable Frischzellenkur für unsere Wirtschaft.
Die Forschungsinstitute und Hochschulen des ETH-Bereichs leisteten ihrerseits – gemäss einer Studie des schottischen BiGGAR Economics – einen respektablen Beitrag ans Wirtschaftswachstum. Über 600 Spinn-offs mit inzwischen 24’000 Arbeitsplätzen wurden hier ins Leben gerufen (NZZ am Sonntag). Damit generiert jeder Franken, den der Bund hier investiert rund fünf Franken Wertschöpfung in der Schweiz. Jetzt wird auch klar, dass sich die rund 2,5 Milliarden Franken aus der Bundeskasse für die ETH-Bereiche mehr als lohnen.
Beispiele für kreative Erfindungen
Quasi als Blumenstrauss zum Jahresbeginn hier in aller Kürze eine kleine Auswahl an vielversprechenden Ideen, die kreative Köpfe in letzter Zeit gezündet haben. Zuerst einige Firmengründungen auf der Basis von neuem wissenschaftlichem Know-how aus dem UZH-Bereich. Allein drei Start-ups verzeichnete Andreas Plückthuns, UZH Biochemieprofessor: „Morphosys“ (biopharmazeutische Medikamente, 450 Mitarbeitende), „Molecular Partners AG“ und „G7 Therapeutics“ stehen für Medikamente, die in der Grundlagenforschung entwickelt wurden. Die Ökonomin Claudia Winkler ist Mitgründerin des „Lionstep“- Start-ups. Die Firma vermittelt hochqualifiziertes Personal für die digitale Wirtschaft vermittels des Lionstep-Algorithmus.
Weitere innovative Produkteerfindungen gemäss UZH Magazin: Ein neues Bioimplantat von „ZuriMED“ verkürzt die Operations- und Rehabilitationszeit bei Kreuzbandrissen. „Anaveon“ hat einen neuartigen Antikörper für Immuntherapien gegen Krebs entwickelt. Die Online-Plattform „lend.ch“ bringt Anleger direkt mit Kreditnehmern zusammen, die Bank als Vermittlerin wird ausgeschaltet. „Qualysense“ hat einen Roboter entwickelt, der Körner, Kerne und Bohnen nach Eiweiss- oder Glutengehalt etc. analysiert und sortiert und damit die Arbeit von Nahrungsmittelproduzenten verbessert. „Insightness“ hat das Silikon-Auge für Roboter oder Drohnen patentiert.
Das Materialforschungsinstitut Empa hat eine Natrium-Salzwasserbatterie entwickelt, die den Markt revolutionieren könnte. Sie ist gedacht für den Einsatz im privaten Haushalt, dort, wo Fotovoltaik den elektrischen Strom für den Eigenverbrauch liefert. Ebenfalls die Empa leistet Pionierarbeit im „Urban Mining“. Hinter dem Begriff versteckt sich eine geniale Idee: Anstelle von Sand, Kies oder Kupfer (Ressourcenverschleiss) werden Abbruchmaterialen wiederverwendet. So wird aus Abfall ein neuer Rohstoff; die Wohnungsmodule werden vorfabriziert und dann innerhalb von 24 Stunden in einem neuen Haus „eingebaut“.
Riesenstaubsauger gegen Luftverschmutzung
Die SUVA (in Zusammenarbeit mit der Sofwarefirma Elca Informatik) verwendet das IT-System „Sumlex“, das künstliche Intelligenz bei der Verarbeitung der rund zwei Millionen Rechnungen einsetzt, um Missbräuche oder Ineffizienzen aufzudecken.
In Rotterdam steht auf einer Wiese der sieben Meter hohe „Smog-Free“-Turm aus Aluminium, entwickelt vom Studio Roosegaarde. Er zieht pro Stunde 30’000 Kubikmeter versmogter Luft an sich, quasi ein Riesenstaubsauger. Damit leistet er einen Beitrag zu sauberer Luft – daran ist zum Beispiel auch die Regierung von Peking interessiert. Aus den gesammelten Smogpartikeln werden Schmuckstücke wie Ringe hergestellt.
„DrEd“ – sozusagen der virtuelle Doktor – nennt sich das Unternehmen, das ärztliche Beratung online anbietet (DrEd.com). Erfahrene Ärzte behandeln die per E-Mail eingegangenen Anfragen kompetent und die entsprechenden Medikamente werden dem Kunden innerhalb von zwei bis drei Tagen angeliefert. Welche medizinischen Probleme vor allem behandelt werden ist auf der Homepage aufgelistet. „Digital Healthcare“ gilt bereits als Boombranche.
Je mehr wir einen Perspektivenwechsel vollziehen – unseren Fokus auf das Neue, Überraschende, ganz generell auf die Zukunft richten – desto eher gelingt uns der persönliche Aufbruch in Raum und Zeit der Epoche der digitalen Revolution.