Die Allianz der Protestbewegungen – Klimastreik, Extinction Rebellion, Greenpeace, das Berner alternative Kulturzentrum Reitschule und Weitere – wollte den Bundesplatz während einer ganzen Woche in Beschlag nehmen. Doch nach zwei Tagen war Schluss. Die Polizei löste das Camp auf. Es ging gesittet zu, niemand drehte durch. Die Manifestanten hatten sich einer Radikalität der Symbole verschrieben, nicht der Taten.
Symbolisch war auch die bewusst gesuchte Illegalität. Sie hat die Provokation verschärft und der Aktion von lediglich ein paar hundert Leuten eine enorme Aufmerksamkeit verschafft. Ihre Botschaft ist angekommen: Die institutionelle Politik werde ihrer Verantwortung angesichts der heraufziehenden Klimakatastrophe nicht gerecht. Die mehrheitlich jungen Leute fordern deshalb eine andere Politik, mehr noch: eine andere Demokratie. Die Aktivisten haben verlauten lassen: «Unsere scheinbare Demokratie hat Instrumente, die für die Lösung der Klimakrise nicht geeignet sind.»
Nimmt man diese Äusserung beim Wort, so begegnen die Demonstrierenden den politischen Institutionen, dem Parlamentarismus sowie den direkt-demokratischen Instrumenten der Initiativen und Referenden mit tiefer Skepsis. Die von ihnen erhobenen Forderungen – an erster Stelle CO₂-Neutralität der Schweiz bis 2030 – sind aber gleichwohl Appelle an die Politik.
Dieser Widerspruch ist vielen radikalen Bewegungen eingeschrieben: Sie stellen Forderungen, deren Erfüllung sie den Adressaten nicht zutrauen, und deshalb verbinden sie mit der aktivistischen Programmatik die Vision eines Totalumbaus von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, kurz: einer neuen Welt. Das Visionäre, der Glaube an die Möglichkeit des ganz Neuen ist die Triebkraft aller Bewegungen.
Es ist leicht, sich über solche «politische Romantik» lustig zu machen. Selbst der besonnene Helmut Schmidt konnte dem Kalauer nicht widerstehen, Leuten mit Visionen einen Arztbesuch zu empfehlen. Dabei ist Politik immer wieder von Visionen bewegt und vorangebracht worden. Die Campierenden vom Bundesplatz haben sich zudem nicht mit freischwebenden Hoffnungen, sondern mit valablem Sachwissen gewappnet. Mag auch ihr im Internet publizierter Forderungskatalog ein Sammelsurium konkreter und vager, kluger und illusionärer Ideen sein, so kann er es doch an Substanz mit manchem politischen Programm aufnehmen.
Wer weiss, vielleicht sitzen in ein paar Jahren einige der jungen Frauen und Männer, die jetzt beim Protestcamp auf dem Bundesplatz mitwirkten, drinnen im Parlament und machen dort Politik. Sie wird nicht genau den Forderungen von «Rise up for change» entsprechen, aber neue Sichtweisen und Energien in den Politbetrieb hineintragen.