Täglich nutzen wir die Errungenschaften der modernen Quantenphysik – etwa, wenn wir beim Einkaufen einen Strichcode scannen. Wie sie entstanden ist, beschreibt Thomas de Padova in seinem eindrucksvollen Bericht über die 1920er Jahre der Physik.
Am 9.Juli 1923 kommt es in Kopenhagen zu einer denkwürdigen Begegnung. Albert Einstein ist auf dem Weg nach Schweden; am Bahnhof erwartet ihn Niels Bohr. Einstein hat gerade den Nobelpreis für 1921 zugesprochen erhalten bekommen, Bohr jenen für 1922. Jetzt setzen sich die zwei Physik-Nobelpreisträger in die Strassenbahn. «Wir nahmen die Strassenbahn und unterhielten uns so angeregt, dass wir viel zu weit fuhren», wird sich Bohr später erinnern. «Wir stiegen aus und fuhren zurück, aber auch dieses Mal fuhren wir zu weit. Ich weiss nicht mehr, wie viele Stationen.» Bis Einstein wieder auf den Zug muss.
Die Quantenphysik: ein kollektives Werk
Von der Welt rundherum nehmen die beiden keine Notiz.
Zu sehr sind sie in eine Debatte vertieft, von der Physiker und Journalist Thomas de Padova (Bild: Götz Schleser) in seinem Buch «Quantenlicht. Das Jahrzehnt der Physik 1919–1929» ein sehr lebhaftes Bild zeichnet.
Denn im Unterschied zu den Relativitätstheorien, die Einstein, unterstützt nur von ein paar Freunden, weitgehend selbst entwickelt hat, ist die Quantenphysik in einem beeindruckenden Mass ein kollektives Werk, das mit prominenten Namen aus unterschiedlichen Generationen verbunden ist: Die jungen Wolfgang Pauli (Jahrgang 1900) und Werner Heisenberg (1901) begegnen dabei den Ideen der älteren Max Planck (Jahrgang 1858), Arnold Sommerfeld (1868), Albert Einstein (1879), Paul Ehrenfest (1880), Max Born (1882), Niels Bohr (1885) und Erwin Schrödinger (1887). Dazwischen liegt Louis de Broglie (1892), lange ein unbeachteter Aussenseiter in der Zunft der theoretischen Physiker.
Als sie sich kennen lernen, mögen Bohr und Einstein einander auf Anhieb, obschon sie unterschiedlicher nicht sein könnten. (Im Bild: Einstein (hinten) und Bohr 1925 bei ihrem Physikerkollegen Paul Ehrenfest. Wikimedia Commons) Bohr hat den Nobelpreis für das von ihm entworfene Atommodell erhalten, Einstein nicht etwa für die Relativitätstheorien, sondern für seine 1905 in seiner Zeit beim Berner Patentamt veröffentlichte Arbeit zum Fotoeffekt. Einstein, der in Berlin sein eigenes Ein-Mann-Institut betreibt, ist Einzelgänger, Bohr Debattenmensch, dessen Institut in Kopenhagen schon bald zum – neben Borns Zentrum in Göttingen – gefragten Umschlagplatz kühner Ideen wird. Auch Einstein fühlt sich gleich aufgehoben bei ihm. «Bohr war hier, und ich bin ebenso verliebt in ihn wie Du», schreibt er in einem Brief an Ehrenfest nach ihrer allerersten Begegnung. «Er ist wie ein höchst feinfühliges Kind und geht in einer Art Hypnose in dieser Welt herum.»
Teilchen oder Wellen – das ist die Frage
Beim Fotoeffekt löst ultraviolettes Licht Elektronen, das sind winzige geladene Partikel, aus Metall heraus; allerdings nicht immer, sondern nur dann, wenn, wie de Padova erklärt, «die Frequenz des Lichts eine bestimmte Schwelle überschreitet». Einstein erklärt dies damit, dass die Bestrahlung durch einzelne Lichtquanten nur dann funktioniert, wenn dabei die Bindungsenergie der Elektronen im Metall überwunden wird. Damit knüpft er an jene folgenreiche Idee an, mit der Max Planck das Jahrhundert eröffnet hat: dass Energie nur in bestimmten kleinsten Paketen, so genannten Quanten, abgegeben wird.
Und Einstein tritt zugleich in Konkurrenz zu dem, was Bohr auf der Basis des so genannten Doppelspaltexperiments vertritt: dass Licht zuallererst Wellencharakter hat. Ist Licht in Teilchen unterwegs oder in Wellen? Das lässt Bohr und Einstein auf ihrer Strassenbahnfahrt in Kopenhagen die Zeit vergessen. Und noch vier Jahre später, bei der grossen, nach dem Geldgeber, einem belgischen Grossindustriellen benannten Solvay-Konferenz in Brüssel im Oktober 1927, werden sie beim Morgenessen im Hotel geistiges Pingpong spielen. «Schachspielartig», wie Paul Ehrenfest das Geschehen in einem Brief an seine beiden ehemaligen Assistenten beschreibt. «Einstein immer neue Beispiele. Bohr stets aus einer dunklen Wolke von philosophischen Rauchgewölkes die Werkzeuge heraussuchend, um Beispiel nach Beispiel zu zerbrechen. Einstein wie die Teufelin in der Box: Jeden Morgen wieder frisch herausspringend. Oh das war köstlich.»
Gott würfelt nicht. Oder doch?
Dennoch: Einstein fühlt sich abgehängt, nicht nur weil er älter wird. Sondern auch, weil im Verlauf weniger, von Inflation und politischen Unruhen geprägter Jahre so viele Merkwürdigkeiten dieser Quantentheorie zutage treten, dass es ihm, der an die Kausalität physikalischer Vorgänge glaubt, zu viel wird. Dass nicht nur das Licht, sondern auch die übrige Materie in von Max Born so benannten Materiewellen unterwegs ist, bei denen nur noch Wahrscheinlichkeiten errechnet werden können – so wird, wie de Padova schreibt, «der Zufall fest im Gefüge der Quantentheorie verankert» – lässt Einstein in einem Brief antworten: Das sei alles sehr achtungsgebietend, «aber eine innere Stimme sagt mir, dass das noch nicht der wahren Jakob ist». Die Theorie liefere viel, doch dem Geheimnis des Alten bringe sie einen kaum näher. «Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.»
So zeichnet Thomas de Padova in einer klugen Mischung fachlicher Erörterungen und persönlicher Erinnerungen nach, wie sich nach und nach ein Ensemble von Theorien herausbildet, das bei aller Merkwürdigkeit bis heute jeden Praxistest bestanden hat. «Die Physik ist in der atomaren und subatomaren Welt in einen Irr- und Zaubergarten hineingeraten», fasst er zusammen. Aus diesem Garten zieht Einstein sich zurück.
«Das Schönste, was wir erleben können»
Gleichwohl hat er mit seinen «Gelegenheiteinsichten» zur Quantenphysik die Welt ungleich stärker verändert als mit den Relativitätstheorien. Im Quantenlicht der Leuchtdioden, kurz LED, werden gezielt Lichtquanten einer bestimmten Frequenz hervorgebracht, und ein «prächtiges Licht», das ihm schon früh aufgegangen ist, hat in den 1960er und 1970er Jahren eine grosse Vielfalt von Lasertypen hervorgebracht, die sich in Laserpiontern, CD-Playern, Barcode-Lesegeräten wiederfinden und auch in der Augenheilkunde ihre Anwendung finden. «Das Schönste, was wir erleben können», stellt Einstein rückblickend fest, «ist das Geheimnisvolle. Wer es nicht kennt, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.»
Thomas de Padova: Lichtquanten. Das Jahrzehnt der Physik 1919–1929. Hanser Verlag, München 2024, 430 Seiten