«Christus ist auferstanden, er ist wirklich auferstanden.» So die orthodoxe Osterliturgie. Viele wollen dieses «wirklich» im Sinn von «tatsächlich» verstehen und machen aus der Auferstehung ein historisches Faktum. Sie erliegen einem modernen Missverständnis.
Die Bibel ist voller Wundergeschichten. Das ist bei einer Sammlung religiöser Schriften, deren Inhalte zwischen dem zweiten Jahrtausend vor und den ersten Jahrhunderten nach Christus im Vorderen Orient und in der Levante entstanden sind, nicht anders zu erwarten. Mythos und Legende waren die kulturell gegebenen Formen, um Religiöses auszudrücken. Es sind dies Erzählmuster, welche von einer anderen Realität berichten, die «von ausserhalb» auf die Erfahrungswelt der Menschen einwirkt.
Mythen und Legenden transzendieren dadurch die Alltagsrealität und machen Metaphysisches oder Göttliches erleb- und beschreibbar. Wunder sind in diesen Erzählungen nicht einfach aufsehenerregende Anormalitäten oder Beweise für einzigartige Fähigkeiten, sondern sie wollen als Zeichen gelesen werden, die auf eben dieses Einwirken «von ausserhalb» hindeuten.
Ostern: die Intervention Gottes
Ostern, das wichtigste (wenn auch nicht populärste) Fest der Christenheit, erinnert an die Auferweckung oder Auferstehung des gekreuzigten Jesus. Die Bibel berichtet darüber in mehreren Erzählungen, die man im beschriebenen Sinn als Wundergeschichten einordnen kann. Doch die Tragweite des Osterwunders geht über ein punktuelles Einwirken Gottes, wie es in den sonstigen Wundererzählungen aufscheint, weit hinaus.
Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus wird erzählt als die alles entscheidende Intervention Gottes: Sie verhindert, dass mit der Tötung Jesu sein Heilsplan für die Menschen abgewürgt wird. Jesus ist ja der Botschafter und Stellvertreter – in mythischer Sprache: «der Sohn» – Gottes, der die Menschen zu Nächstenliebe und Versöhnung anleitet. Doch er stösst auf Ablehnung und wird am Ende als Aufrührer und Gotteslästerer hingerichtet. So erzählen es die Evangelien.
Mit der Hinrichtung Jesu könnte die Erzählung von den Plänen Gottes für das Heil der Menschen tragisch enden. Ostern jedoch bedeutet die Weiterführung dieser Geschichte trotz des gewaltsamen Todes des Gottesbotschafters. Jesu Auferstehung wird sozusagen als das Master-Wunder überliefert, als die entscheidende Wende im göttlichen Erlösungswerk.
Auferstehung: Existenzgrund und Zentraldogma der Kirche
Dieses Eingreifen «von ausserhalb», Auferstehung genannt, hat nach christlichem Verständnis die Jesusbewegung am Leben erhalten. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis, einer für alle Kirchen verbindlichen Formel, kommt das Auferstehen gleich doppelt vor: Jesus Christus ist am dritten Tag nach dem Kreuzestod «auferstanden von den Toten», und allen Glaubenden steht dereinst am Ende der Zeiten die «Auferstehung der Toten» bevor.
Es fällt nun allerdings auf, dass die Bibel in ihren Auferstehungserzählungen mit den wunderhaften Elementen zurückhaltend umgeht. So gibt es im Neuen Testament keine Beschreibung des eigentlichen Auferstehungsvorgangs, während doch bei sonstigen Wundergeschichten oft sehr handfeste Schilderungen vorkommen. Berichtet werden im Osterzyklus lediglich die Effekte dieses Einwirkens «von aussen»: Menschen erschrecken über das leere Grab des Gekreuzigten, sind verstört über Erscheinungen des Auferstandenen oder innerlich bewegt von persönlichen Begegnungen mit ihm. Das Wunderhafte kommt vor in den Ostergeschichten, aber es ist im Grunde bloss Begleiterscheinung.
So etwas wie eine christliche Religion gibt es in den biblischen Osterberichten natürlich noch nicht. Erste christliche Gemeinden bildeten sich ja erst allmählich als Folge der Auferstehungsbotschaft. Entstehung der Kirche und Entstehung der sie betreffenden biblischen Erzählungen sind eng verschränkt. Deshalb sind die Passions- und Auferstehungsgeschichten, die ein paar Generationen nach den Ereignissen entstanden sind, ihrerseits bereits vom frühen Christentum geprägt.
Die Erinnerung an den heilsgeschichtlichen Ur-Moment der Auferstehung ist stark von Glaubensvorstellungen mitformuliert. Das zeigt sich deutlich in den bei neutestamentlichen Erzählungen recht häufig vorkommenden Bezügen zur hebräischen Bibel, die man als Prophezeiungen von Christi Leiden und Auferstehen las. Auch die apokalyptischen oder wunderhaften Motive der Erzählungen sind Interpretationen des Geschehens im Sinne des noch jungen christlichen Glaubens.
Die Kraft der Mythen und Legenden
Das Mirakel spielt im österlichen Erzählkorpus des Neuen Testaments eine erstaunlich untergeordnete Rolle. Je stärker aber die Kirche sich in der Folgezeit als Institution formierte, desto mehr fiel die Zurückhaltung gegenüber dem Mirakulösen weg. Mythische Geschichten und Legenden erwiesen sich als machtvolle Instrumente der Mission und der Kultivierung christlicher Identität.
Vor allem um die sogenannte Höllenfahrt Christi entstanden anschaulich ausgemalte Legenden: Christus steigt nach dem Tod und vor seiner Auferstehung in die Hölle hinab und erlöst die Seelen der verstorbenen Gerechten. Bildende Kunst sowie mittelalterliche Andachtsbücher und Passionsspiele nahmen solche motivische Anreicherungen der Osterthematik dankbar auf und kreierten einen Kranz von Erzählungen, der sich in den Bestand volkstümlicher Glaubensvorstellungen integrierte.
Eine Frage wie die nach überprüfbaren historischen Tatsachen rund um die Vorgänge des Todes Jesu von Nazareth und der Anfänge des Christentums war zumindest im kirchlich-religiösen Kontext bis in die Aufklärungszeit schlicht kein Thema. Bei Religion und Glauben ging es um das persönliche Seelenheil, nicht um die historische Verlässlichkeit biblischer Geschichten. Und für die religiöse Lehre und Praxis waren Tradition und kirchliche Autorität unangefochten zuständig. Da gab es nichts zu diskutieren.
Aufklärerischer Streit – Reimarus und die Folgen
Renaissance, Reformation und Aufklärung haben das allmählich soweit geändert, dass sich die Kirchen mit kritischen Positionen auseinandersetzen mussten. Aufschlussreich ist hierfür der hitzigste theologische Streit des 18. Jahrhunderts. Es war der grosse Gotthold Ephraim Lessing, der ihn auslöste, indem er ab 1774 stückweise und anonymisiert die Schrift «Apologie» des bereits verstorbenen Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) herausgab.
Reimarus, ein hochgebildeter Philologe, war einer der Ersten, die die Bibel mit historisch-kritischem Instrumentarium erforschten. Seine zeitlebens geheim gehaltene Schrift ist eine vehemente Abrechnung mit der Kirche und ihren Dogmen. Die postume und anonyme Publikation von «Apologie» war ein gewaltiger Skandal, der auch dem Herausgeber Lessing gefährlich wurde. Lessings Antipode war der protestantische Hamburger Hauptpastor Goeze, Wortführer der kirchlich-obrigkeitlichen Anti-Reimarus-Phalanx. Hätte Reimarus noch gelebt, er wäre der Todesstrafe kaum entgangen. Besonders seine Negierung der tatsächlichen Auferstehung Jesu war für die Rechtgläubigen und Rechtschaffenen eine Ungeheuerlichkeit.
Die Konstellation Reimarus versus Goeze hat sich als eine Art Grundkonflikt zwischen Aufklärung und Dogma oder zwischen Moderne und Kirche herausgestellt. Dieser Antagonismus ist von gegenseitigen Missverständnissen befeuert.
Die Reimarus-Position nimmt die stark mythisch-legendenhaft geprägten Stoffe der Bibel (zu Unrecht) als historische Tatsachenbehauptungen und stellt anhand textlicher Ungereimtheiten, widersprechender Quellen, unglaubhafter Schilderungen etc. (zu Recht) fest, dass diese hinsichtlich ihrer Historizität einer kritischen Prüfung nicht standhalten. Das ist deshalb ein Missverständnis, weil die umstrittenen Texte gar nicht als historische Tatsachenschilderungen im modernen Sinn entstanden sind.
Die Gegenseite wiederum unterliegt in ihrer Reaktion einem Missverständnis, wenn sie sich zur Abwehr der aufklärerischen Kritik darauf versteift, es handle sich – zum Beispiel bei den Erzählungen zur Auferstehung Jesu – eben gerade doch um historische Tatsachenberichte.
Das Insistieren der Kirchen
Die Verteidigungslinie des Hamburger Hauptpastors Goeze hat die Haltung der protestantischen und auch anderer Kirchen lange dominiert. Das Insistieren auf der Tatsachengemässheit biblischer Überlieferungen und besonders des Auferstehungsdogmas galt als unaufgebbar, wollte man nicht das Christentum dem Ansturm der Moderne schutzlos ausliefern.
Zwar entwickelte die akademische Theologie im 18. und 19. Jahrhundert im Gleichschritt mit dem Siegeszug der Geisteswissenschaften eine stupende historisch-kritische Gelehrsamkeit. Doch die Volksfrömmigkeit blieb davon abgeschottet.
Für Letztere steht exemplarisch der Bibelillustrator Julius Schnorr von Carolsfeld mit seinen für die populären Glaubensvorstellungen typischen «realistischen» Wunderdarstellungen. Die Art, wie er etwa die Auferstehung inszeniert (Bild ganz oben), geht in ihrer expliziten Schilderung des Vorgangs weit über die biblischen Texte hinaus und behauptet eine illusorische Tatsächlichkeit, indem sie gewissermassen sagt: Schaut, so war es!
Ein durch und durch moderner Konflikt
Der schiefe Konflikt um die Tatsächlichkeit der Auferstehung hat im Kern mit solchen populären Glaubensvorstellungen zu tun, wie sie für das 18. und 19. Jahrhundert typisch waren (und vielfach noch immer sind). Dieser Streit ist somit ein durch und durch modernes Phänomen, wie ja Biblizismus und Fundamentalismus generell modernen Ursprungs sind: Sie sind regressive oder aggressive Antworten auf die geistigen Zumutungen der Moderne.
Traditionalistische Gruppierungen und Kulturen, die sich der ihnen fremden modernen Welt nicht anpassen wollen oder nicht anpassen können, haben im Prinzip die Wahl, sich entweder resignativ zurückzuziehen oder aber offensiv zu versuchen, diese moderne Welt mit deren eigenen Waffen zu schlagen. Dieses letztere Konzept ist – religions- und kulturübergreifend – das des Fundamentalismus.
Fundamentalisten im Vormarsch
Schaut man auf das globale Christentum von heute, so bilden Spielarten, die zu entspanntem Umgang mit der Moderne fähig sind, lediglich ein paar Inseln, vorwiegend zu finden in Westeuropa und vereinzelt den USA. Die weit überwiegende Mehrheit der Christentümer tickt traditionalistisch, aufgeteilt in resignative oder sich abschottende auf der einen und offensiv fundamentalistische auf der anderen Seite. Im weltweiten Massstab liegt die Dynamik klar bei den selbstbewusst-angriffigen Fundamentalisten. Sie sorgen dafür, dass das Christentum nach wie vor die grösste und am schnellsten wachsende Religion ist.
Der Disput um die Auferstehung Christi kann die erfolgsgewohnten und äusserlich oft sehr modernen Fundamentalisten kaum beunruhigen. Das Thema ist für sie entschieden: An der Auferstehung ist heute genauso wenig zu rütteln wie im Mittelalter, und die Aufklärung ist halt eine Verirrung.
Doch die kritischen Anfragen sind nun einmal gestellt und lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Auch wenn die historischen Auseinandersetzungen um christliche Zentraldogmen wegen der schiefen Konfliktkonstellation zu einem letztlich unfruchtbaren Streit geführt haben, so wirft dieser doch immerhin ein Licht auf die Situation der Religion in der modernen Welt.