Eine galoppierende Inflation, boomende Zinsen für Hypothekardarlehen, Mangel an bezahlbarem Wohnraum – dieser explosive Mix in einem der immer noch ärmsten Länder der EU bringt den Staat in Zugzwang. Mit einem Massnahmenpaket gegen die Wohnungsnot hat die sozialistische Regierung heftige Reaktionen ausgelöst.
Ein Gespenst geht um in Portugal, das Gespenst eines sozialistischen Dirigismus. Eine Revolution zeichnet sich natürlich nicht ab, und der regierende Partido Socialista (PS) von Premierminister António Costa ist eigentlich ganz brav sozialdemokratisch. Costa steht derzeit indes an verschiedenen Fronten unter Druck. Um ein Zeichen zu setzen, will die Regierung dem akuten Mangel an erschwinglichem Wohnraum zu Leibe rücken. An einem Paket von Massnahmen, das Costa in der letzten Woche vorstellte, scheiden sich die Geister.
«Radikaler Sozialismus»
Costa habe eine «Attacke von radikalem Sozialismus» erlitten, fand der TV-Kommentator Luís Marques Mendes, ein früherer Vorsitzender des oppositionellen bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD). Andere bürgerliche Politiker sprechen von Interventionismus. Vertreter der Immobilienwirtschaft erwägen juristische Schritte gegen einige der geplanten Massnahmen – obwohl das Paket den Vermietern auch einige schwer zu verschmähende Vorteile in Aussicht stellt. Vorerst schwappt eine Welle der Stimmungsmache gegen das Paket, das den Staat rund 900 Millionen Euro kosten soll und erst einmal zur öffentlichen Diskussion steht, ehe das Parlament das Wort erhält.
Die Lage am Immobilienmarkt in dem Land, das immer noch zu den ärmsten der EU zählt, ist dramatisch. Seit Jahren liegt für betuchte ausländische Käufer und Immobilienfonds der rote Teppich aus. Vor dem Hintergrund des touristischen Booms kommen Mietwohnungen vielfach als touristische Bleiben auf den Markt. Eine Liberalisierung des Mietrechts im Jahr 2012 hat Mieterhöhungen und Räumungen erleichtert (aber auch die Sanierung vieler verfallender Altbauten erst rentabel gemacht). Neuerdings schiessen die meist variablen, an Euribor-Sätze gekoppelten Zinsen für Hypothekardarlehen in die Höhe. Manche Schuldner müssen plötzlich jeden Monat satte dreistellige Euro-Beträge mehr berappen.
Schluss mit den «goldenen Visa»
Nach dem Willen der Regierung soll der Staat fortan leerstehende Wohnungen anmieten und an Familien für maximal 35 Prozent ihres verfügbaren Einkommens untervermieten können. Für Ärger sorgt dabei, dass der Staat die administrative Inbesitznahme (nicht mit Enteignung zu verwechseln) von Wohnungen und deren Sanierung ermöglichen will, sofern die Eigentümer sie nicht selbst vermieten. Ausgenommen bleiben Zweitwohnungen und Unterkünfte von Leuten, die im Ausland leben und arbeiten. In Portugal stehen mehr als 700’000 Wohnungen leer. Während Eigentümer von einer beispiellosen Massnahme reden, berichtet die Tageszeitung «Público» über mehrere EU-Länder, in denen ähnliche Interventionen erlaubt seien.
Wie schon lange von linken Parteien gefordert, plant die Regierung nun die Schlachtung eines Huhnes, das für die Immobilienwirtschaft goldene Eier gelegt hat. Sie will Schluss machen mit der Erteilung der für den gesamten Schengener Raum gültigen «goldenen Visa» an Bürger aus Nicht-EU-Staaten, die Geld ins Land bringen. Seit 2012 hatte der Staat rund 11’600 solcher Visa erteilt (zuzüglich fast 19’000 Familienangehörige), die meisten davon an Chinesen und mehr als 90 Prozent als «Dank» für den Erwerb von Immobilien zu Preisen ab 500’000 Euro (im Gesamtwert von mittlerweile gut 6 Milliarden Euro). Kritiker haben immer wieder nicht nur argumentiert, dass damit die Preise für Immobilien in die Höhe getrieben würden, sondern auch vor der Gefahr von Geldwäsche gewarnt.
Wohnungen für Mieter statt für Touristen
Geplant ist dann ein weitgehendes Verbot für die Zulassung von neuen privaten touristischen Unterkünften, die über Plattformen wie Airbnb auf den Markt kommen. Ausgenommen bleiben neue Projekte in abgelegenen Regionen. Es lässt sich kaum verneinen, dass diese Art von Unterkünften zur Verknappung von Wohnraum für Dauermieter mit beigetragen hat. Mit diesem Verbot träfe die Regierung allerdings auch zahlreiche kleine und mittlere Investoren.
Der Staat will den Vermietern derweil auch Risiken abnehmen. Für Mieter, die über drei Monate lang in Verzug sind, soll er gegenüber den Vermietern in Vorleistung treten, um selbst die Rückstände einzutreiben und notfalls die Räumung zu veranlassen – für Vermieter kein schlechter Deal. Zudem sinken die Steuern auf Mieteinnahmen, der Normalsatz soll von den (auch auf Sparzinsen fälligen) 28 Prozent auf 25 Prozent fallen.
Geplant ist unter anderem auch eine Begrenzung von Mieterhöhungen und die vereinfachte Erteilung von Baugenehmigungen. Wenn Käufer der eigenen vier Wände mit den Erhöhungen der Zinsen auf ihre Darlehen überfordert sind, soll die öffentliche Hand bei Darlehen bis 200’000 Euro einen Teil der Mehrkosten übernehmen können – womit der Staat den Banken so manchen Streit mit säumigen Schuldnern ersparen könnte.
Unruhe im Land
Die Regierung will vermutlich nicht nur die Wohnungsnot bekämpfen, sondern nach den Rücktritten mehrerer Regierungsmitglieder in jüngerer Zeit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und soziale Sensibilität zeigen. Sie sieht sich nämlich mit einer Welle von Protesten in diversen Sektoren konfrontiert. In den letzten Wochen standen die Züge mehrmals wegen Streiks des Bahnpersonals still. Ende Januar liess sich ein Streik bei der staatseigenen Airline TAP nur in letzter Minute abwenden. Zu Streiks kam es derweil in zahlreichen Schulen. Am 11. Februar demonstrierten in Lissabon rund 150’000 Lehrerinnen und Lehrer für eine Erhöhung ihrer teils lächerlich niedrigen Gehälter, für die Anerkennung von Dienstjahren in der Zeit eines krisenbedingten Beförderungsstopps und für mehr feste Anstellungen von Lehrpersonal.
Aus Protest gegen den Anstieg der Lebenshaltungskosten auf breiter Front hat eine Plattform «für ein gerechtes Leben» für den kommenden Samstag eine Demonstration in Lissabon anberaumt. Das entsprechende Manifest – kurioserweise zweisprachig, auf Portugiesisch und im Crioulo von Cabo Verde – unterzeichneten vor allem Einzelpersonen, von denen manche als Aktivisten von Gewerkschaften und linken Parteien, Organisationen gegen Rassismus und für die Integration von Ausländern bekannt sind. Zu Figuren aus der Wissenschaft und Kultur gesellen sich aber auch Reinigungsfrauen – ein selten breites Bündnis. Und vielleicht ein Hinweis an die Regierung, dass auch das sprichwörtliche portugiesische Talent der Improvisation und des Durchwurschtelns seine Grenzen hat.