Kommentatoren im Ausland erwarten von der neuen israelischen Regierung Fortschritte im «Friedensprozess», weil schliesslich auf die Justizministerin Tsipi Livni die Aufgabe zukomme, eine zentrale Rolle in künftigen Verhandlungen zu spielen. Zugleich fragen israelische und US-amerikanische Beobachter längst, warum Barack Obama überhaupt nach Jerusalem und Ramallah reise. Sein stellvertretender Sicherheitschef habe doch angekündigt, dass eine politische Initiative ausgeschlossen sei und dass sich der hohe Besuch darauf beschränken wolle, Benjamin Netanjahu und Machmud Abbas zuzuhören – und darüber Iran und Syrien nicht zu vergessen.
Vage Nahostpolitik der USA
Ist die Vergesslichkeit ins Weisse Haus eingezogen? Hatte Obama nicht vor der UN-Vollversammlung im September 2011 den Palästinensern versprochen, sie im kommenden Jahr als Vollmitglied zu begrüssen? Erfüllt sich die sarkastische Bemerkung eines «Haaretz»-Kommentators, dass der Präsident wohl Israel und die USA meine, wenn er von der Zweistaatenlösung spreche? Und wenn schon von Israel als einziger Demokratie im Nahen Osten die Rede ist: Was ist von der Absicht des wichtigsten Bündnispartners in der Region zu halten, sein Grundgesetz «Menschliche Würde und Freiheit» von 1992 so zu ändern, dass fortan der jüdische vor dem demokratischen Charakter des Staates Vorrang haben solle?
Obama könnte sich die Reise zwischen dem 20. und 22. März glatt ersparen, wenn er bei seinen Diplomaten nachgefragt hätte, was aus den Koalitionsverhandlungen über die politischen Leitlinien Israels nach aussen gedrungen sei. Dann wäre ihm aufgefallen, dass dort statt von einer Zweistaatenregelung ganz unverbindlich von Verhandlungen die Rede ist, die auf eine «diplomatische Vereinbarung» zusteuern sollen. Als Israel 1991 von Washington zur Teilnahme an der internationalen Friedenskonferenz in Madrid angehalten wurde, hatte der damalige Premier Yitzhak Shamir zu Protokoll gegeben, dass seine Delegation alle Verhandlungen aussitzen werde.
Blockierte Verhältnisse in Israel
Von Netanjahu und seinem Kabinett ist nichts zu erwarten, bis die internationale Diplomatie klarstellt, dass die palästinensischen Gebiete kein Teil der israelischen Innenpolitik sind. Bis es so weit kommt, bleibt es, wie es seit Jahren ist.
Nur das Personal der israelischen Politik wechselt teilweise. Naftali Bennett übernimmt neben dem Ministerium für Industrie und Handel das Jerusalem-Portfolio. Uri Ariel – Rechtsaussen im Likud und ein Jahrzehnt lang Vorsitzender des Rates der Siedlungen – ist das Wohnungsbauministerium sowie die Verantwortung für die Bodennutzung angetragen worden. Avigdor Lieberman muss sich an seine Zusage erinnern, sein Regierungsamt nach seinem Strafprozess wegen Betrugs und Vertrauensbruch abzugeben. Finanzminister Yair Lapid steht schon in den Startlöchern, ihn im Aussenamt zu beerben, und hat zudem seine Wahlzusage gebrochen, sich für die Zivilehe einzusetzen. Es bedarf längst nicht mehr der Mitwirkung der religiösen Parteien in der Regierung, um «Judäa und Samaria» endgültig zu annektieren.
Kein Friedensprozess in Sicht
Werden wir nach der Ansprache Obamas am 22. März im Jerusalemer Kongresszentrum alle klüger sein? Lässt sich in Berlin und in Europa die Idee reaktivieren, die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zu Israel in Wirtschaft und Handel, in Kultur und Wissenschaft an substantielle Fortschritte im Friedensprozess zu binden? An die Wiederbelebung des SPD-Antrags vom Sommer 2011 – er fiel der deutschen Koalitionsräson zum Opfer – wagt man wohl gar nicht zu denken. Er wollte festhalten, dass «das Existenzrecht des Staates Israel und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat (…) niemals in Frage gestellt werden (dürfen)».