Es gibt die wunderbare Kinderfrage: Wohin geht das Licht, wenn es ausgeht? Dagegen ist die Frage, über die schon Kurt Tucholsky eine launige Glosse schrieb, geradezu trivial: Woher kommen die Löcher im Käse? Entschieden vertrackter wird es, wenn man die nur scheinbar banale Frage stellt: Was sind eigentlich Schulden? Wie kommen sie in die Welt und wo gehen sie hin, wenn sie weggehen? Wie meistens bei Finanzfragen fängt es einfach an und wird schnell hübsch kompliziert. Ist aber durchschaubar.
Der einfache Fall
Heiri leiht sich von Fritz 100 Franken. Fritz hat eine Hunderternote aus seinem Portemonnaie gezogen und Heiri gegeben. Das Geld besitzt Fritz, weil er dafür gearbeitet oder gehandelt, also eine Wertschöpfung vollbracht hat. Fritz könnte es auch im Lotto gewonnen haben oder Banker von Beruf sein. Aber lassen wir diese beiden Fälle mal auf der Seite. Nun dauert eine solche Schuld meistens nicht ewig. Fritz und Heiri haben sich vor der Übergabe darauf geeinigt, wann die Schuld beglichen wird. Mit oder ohne Zinsen, also einer Risikoprämie für Fritz. Da gibt es zwei einfache Möglichkeiten. Fritz kriegt sein Geld zurück – oder nicht. Entweder auf Termin oder, mit Ausflüchten und Entschuldigungen, irgendwann später.
In diesem Fall hat sich die Schuld erledigt, aufgelöst, ist verschwunden. Oder Fritz kriegt sein Geld nicht zurück. Definitiv, nie. Dann hat sich die Schuld auch erledigt, selbst wenn Fritz noch jahrelang der Hoffnung nachhängt, sein Geld doch irgendwann wiederzusehen. Wie auch immer, für eine Schuld braucht es einen Schuldner und einen Gläubiger. In der normalen Welt.
Der komplizierte Fall
Ein Unternehmen bekommt einen Kredit. Fester Zinssatz, feste Rückzahlungsmodalitäten. Das Unternehmen investiert das Geld in eine neue Produktionsstrasse, in Forschung, in Werbung. Immer mit der Absicht und in der Hoffnung, dass damit genügend zusätzlicher Gewinn entsteht, der es dem Unternehmen ermöglicht, sowohl Kredit wie Zinsen zu zahlen und erst noch darüber hinaus Profit zu machen.
Falls das nicht gelingt, kann das Unternehmen versuchen, sich einen neuen Kredit zu verschaffen, um den alten zurückzuzahlen, logischerweise mit höheren Zinsen. Das schiebt den Zeitpunkt der Begleichung hinaus und kann gutgehen. Dann hat sich die Schuld auch erledigt. Oder die Firma kann nicht zahlen und kriegt auch keinen neuen Kredit. Dann ist sie pleite, macht den Laden zu und aus der Konkursmasse, so vorhanden, kriegt der Gläubiger einen Teil seines Kredits zurück – oder geht leer aus. Fall erledigt, in der normalen Welt.
Der staatliche Fall
Ein Staat braucht Geld, das er mit seinen Steuereinnahmen nicht abdecken kann. Also druckt er einen Schuldschein und veredelt ihn mit grossem Brimborium zu einem Schatzbrief. Garantiert durch den hochwohllöblichen griechischen, spanischen oder deutschen Staat. Dann winkt er damit rum und sucht Käufer im Geldmarkt. Findet er keine, beispielsweise, weil der Zins, die Risikoprämie, unterhalb der Inflation liegt, der Gläubiger also Geld verliert, indem er Geld verleiht, hätte er eigentlich ein Problem. Aber glücklicherweise gibt es ja Banken. Und noch besser: Der Staat hat auch eine Bank. Eine ganz spezielle, die selber Geld drucken kann. Und den Zinssatz festlegen kann, zu dem sie Geld verleiht. Beispielsweise auf Null.
Und jetzt kommt der Zaubertrick. Die Bank kauft den Schatzbrief und hinterlegt ihn als Sicherheit bei der Notenbank. Und die zahlt der Bank das Geld aus. Simsalabim, eine Schuld verwandelt sich in ein Guthaben. Schuldner und Gläubiger verschmelzen. Wäre grossartig: Endlich entstehen Werte aus dem Nichts. Das funktioniert aber natürlich nur solange, wie genügend Gaffer an diesen Zaubertrick glauben. Mit anderen Worten: Diesem Staatsgeld, konkret dem Euro, konkret dem Dollar, konkret dem Yen, vertrauen. Seiner Werthaltigkeit vertrauen. Falls nicht mehr: Ui ui, auweia, dann ist die Währung futsch. Damit hätte sich allerdings das Problem der Schulden auch erledigt, die sind, genauso wie alle Guthaben in dieser Währung, weg.
Kleine Irrwege verwirren zusätzlich
Wenn man von Wirtschaftskreisläufen als geschlossenen Systemen ausgeht, stehen Schulden immer gleich viel Guthaben gegenüber. Also beispielsweise Privatunternehmen machen Gewinne und leihen das Geld dem Staat. Ist aber Pipifax. Selbst wenn da Gewinne von 4 oder 5 oder mehr Prozent vom BIP angefallen sein sollten, werden die ja zunächst mal versteuert, dann an die Besitzer, normalerweise Aktionäre, ausbezahlt, reinvestiert – und nicht einfach der ganze Betrag dem Staat ausgeliehen. Eine wichtigere und fatalere Rolle spielen da schon die sogenannten institutionellen Anleger. Beispielsweise Pensionskassen sind gesetzlich verpflichtet, einen hübschen Batzen in Staatspapieren zu halten.
Und dann gibt es noch einen simplen Bilanztrick. Heiri schuldet nicht Fritz 100 Franken, sondern Heiri Enterprise schuldet einer Bank 100 Millionen Franken. Zum vereinbarten Termin kann Heiri Enterprise den Kredit nicht zurückzahlen, und die Bank weiss, dass Heiri auch von niemand anderem Geld geliehen kriegt. Und die 100 Mio. auch in Zukunft nicht zurückzahlen kann. Eigentlich klarer Fall, Heiri ist pleite, die 100 Mio. werden ausgebucht. Wäre aber blöd, wenn das Eigenkapital der Bank nur 50 Mio. beträgt. Dann wäre die Bank auch blank. Aber es gibt eine einfache Lösung: Die Bank verlängert den Kredit um ein, zwei Jahre. Damit steht er weiterhin in den Aktiva, die Bank ist nicht blank und Heiri hat zwei Jahre Zeit, den Kredit weiterhin nicht zu bezahlen. Sind doch alle froh und glücklich.
Kein geschlossener Kreislauf
Ausserdem ist dieser Wirtschaftskreislauf kein geschlossenes System. Sowohl unter Anwendung von doppelter Buchhaltung wie dem einfachen Einmaleins gibt es einen Mitspieler, der etwas machen kann, was das System sprengt, wenn er es verantwortungslos macht: Die Notenbank kann Geld herstellen. Aus dem Nichts. Weil das brandgefährlich werden kann, ist es ihr eigentlich verboten, Staatsschuldpapiere aufzukaufen. Weder direkt noch über den Umweg Geschäftsbank. Genau das tun aber die wichtigsten Notenbanken der Welt seit Jahren.
Wenn ein Privatunternehmen Geld selber herstellen dürfte, um Schulden aufzunehmen, wäre für jeden einsichtig, dass das in den Wahnsinn führte. Wenn’s der Staat macht, meinen einige, dass das dann schon irgendwie geht. Gutgeht. Notfalls wird die Hoffnung mit dem ewigen Satz befeuert: Alles andere wäre noch schlimmer, deshalb ist das alternativlos. Nein, das ist alternativlos falsch. Ausser, das Einmaleins ist falsch. Schuld bezahlt mit Schuld ist doppelte Schuld. Und löst sich nicht in Null oder in Wohlgefallen auf.
Was sind dann Schulden?
Ich habe keine kindergerechte Antwort auf die Frage, was mit dem Licht passiert und wie Löcher in Käse kommen. Aber was Schulden sind, lässt sich erklären. Eigentlich etwas Wunderbares, nämlich gekaufte Zeit. Ich kann heute auch mit Geld, das es eigentlich gar nicht gibt, Wertschöpfung betreiben, die es mir ermöglicht, morgen mit realem Geld meine Schulden zu begleichen. Grossartige Erfindung. Ausser, man missbraucht sie und verpulvert heute Geld, das es eigentlich nicht gibt.