Das Alter der beiden prominentesten Kandidaten ist eines der Hauptthemen im kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf: Joe Biden ist 80, Donald Trump 77. Auch im Kongress wirft das fortgeschrittene Alter von Politikerinnen und Politikern Fragen auf. So ist denn neuerdings in den USA eine Amtszeitbeschränkung im Gespräch. Die Bevölkerung würde eine solche begrüssen.
Donald Trump hat sich unlängst masslos über eine Umfrage des «Wall Street Journal» geärgert. Die Befragung ergab, dass rund drei Viertel der amerikanischen Bevölkerung finden, Präsident Joe Biden sei für sein Amt zu alt. So weit, so gut. Doch rund die Hälfte der Befragten erklärten, das treffe auch auf Trump zu, der seinerzeit der drittälteste Präsident der amerikanischen Geschichte war.
Einer Umfrage der University of Maryland zufolge meinen 83 Prozent befragter Wählerinnen und Wähler, für Volksvertreterinnen und Volksvertreter müsse eine Amtszeitbeschränkung gelten. Gemäss einer Befragung des Fernsehsenders CBS News findet eine deutliche Mehrheit, eine solche Grenze müsste bei 70 Jahren oder darunter liegen.
Zwar liegt dem Kongress ein Gesetzesvorschlag von republikanischer Seite vor, die Amtszeit im Repräsentantenhaus auf drei Perioden, d. h. auf insgesamt sechs Jahre, und im Senat auf zwei Perioden, d. h. auf zwölf Jahre zu beschränken. Der Grund: Auf längere Zeit Gewählte hätten weniger Anlass, sich den Anliegen ihrer Wählerschaft gegenüber empfänglich zu zeigen.
Die Chancen auf Annahme des Vorschlags stehen jedoch bei null. Politologen warnen, eine strikte Amtszeitbeschränkung würde einen empfindlichen Verlust an politischer Erfahrung beinhalten. Diese aber sei nötig, wenn es gelte, ein so komplexes und mächtiges Land wie die USA zu lenken.
Doch laut CBS News ist weniger das fortgeschrittene Alter von Politikerinnen und Politikern ein Problem, sondern der Umstand, dass Ältere unter ihnen riskieren, «nicht mehr mit der Zeit zu gehen». Obwohl auch Amerikas Bevölkerung altert: Die ersten nach dem 2. Weltkrieg geborenen Babyboomer wurden Anfang der 2010er-Jahre 65 Jahre alt, die meisten unter ihnen, 1957 geboren, 2022.
Wobei der Begriff «alt» relativ ist und sich dessen Definition im Laufe der Zeit verändert hat. Um 1900 galt Gerontologen zufolge jemand mit 47 Jahren als alt. Heute heisst es gemeinhin, jemand sei mit 65 «jüngst-alt», mit 75 «mittel-alt» und mit 85 «ältest-alt». Unlängst ist ein CNN-Moderator gefeuert worden. weil er über die 51-jährige republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley gesagt hatte, sie habe «ihre Blütezeit hinter sich». Haley ihrerseits hat den US-Senat, der im Schnitt älter geworden ist, auf Fox News als «das privilegierteste Altersheim des Landes» bezeichnet.
Derweil thematisieren prominente Kolumnistinnen und Kolumnisten vermehrt die Altersfrage in der Politik. David Brooks fragt in der «New York Times», warum es der Gerontokratie im Lande gelungen sei, an der Macht zu bleiben. Im selben Blatt stellt Jamelle Bouie fest, die Gerontokratie der demokratischen Partei realisiere nicht, «dass wir am Abgrund stehen».
Susan B. Glasser diagnostiziert im «New Yorker», die Herrschaft der 80-Jährigen sei «ein Risko für die Demokratie». Und unter der Schlagzeile «Amerikas ungesunde Gerontokratie» schreibt Julius Krein in «American Affairs», vielleicht sei die US-Pharmaindustrie so erfolgreich, «weil sie nicht nur der grösste Geldgeber, aber für das Altersheim, das der Kongress darstellt, wahrscheinlich der grösste Versorger ist».
Statistisch gesehen beträgt der Altersdurchschnitt im amerikanischen Senat 65,3 und im Abgeordnetenhaus 46,3 Jahre. Ausser auf Joe Biden und Donald Trump spielen kritische Kolumnen denn vor allem auf die 90-jährige demokratische Senatorin Dianne Feinstein (Kalifornien) und ihren 81-jährigen republikanischen Kollegen Mitch McConnell (Kentucky) an.
Beide haben sie im erlauchten Gremium einflussreiche Positionen: Feinstein als Mitglied einflussreicher Kommissionen, McConnell als Fraktionsführer seiner Partei. Beide haben sie unübersehbar mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die ihre Kompetenz in Frage stellen. Die Senatorin blieb dem Senat wegen eines zehnwöchigen Spitalaufenthalts fern und verzichtete vorübergehend auf ihren Sitz im mächtigen Justizausschuss. In Sitzungen wirkte sie gelegentlich vergesslich oder verwirrt.
Ein Rücktritt kam für Diane Feinstein nie in Frage. Sie hat aber angekündigt, 2025 nicht mehr kandidieren zu wollen. Dagegen hat ihre Parteikollegin, die 83-jährige Abgeordnete und Ex-Fraktionsführerin Nancy Pelosi, bekannt gegeben, nächstes Jahr erneut für einen Sitz im Repräsentantenhaus antreten zu wollen, was in Kreisen ihrer Partei auf überschaubarere Begeisterung stiess.
Mitch McConnell hatte in zwei Fällen bei Pressekonferenzen abrupte Absenzen, beim zweiten Mal eine halbe Minute lang, während der er wie erstarrt und sprachlos am Podium stand. Ausserdem hatte er nach einem schweren Sturz im frühen März eine Gehirnerschütterung. Zwar teilte sein Büro mit, es habe sich lediglich um Schwindelanfälle gehandelt, und auch ein Arzt erklärte, von einem Schlaganfall oder einer Bewegungsstörung wie Parkinson könne keine Rede sein. Angesichts näherer Informationen aber bleiben in Washington DC erhebliche Zweifel, was McConnells Gesundheitszustand betrifft.
Ungleich akribischer werden Joe Bidens öffentliche Auftritte beobachtet. Jedes Stolpern, jeden Sturz, jeden Versprecher und jeden Aussetzer registrieren und sezieren vor allem rechte Medien wie Fox News mit Gusto. Wer ihnen glaubt, könnte zum Schluss kommen, der 80-Jährige, seit 36 Jahren in der nationalen Politik, sei hochgradig senil und inkompetent. Selbst Demokraten hegen privat Zweifel, was den Gesundheitszustand und die Fitness ihres Präsidenten betrifft. Auf jeden Fall fällt auf, dass Biden, anders als früher und entgegen seinem Temperament, bei Auftritten vor der Presse nur noch wenige Fragen beantwortet.
Joe Bidens Verteidiger argumentieren, auch Donald Trump, der sich häufig inkohärent und wirr äussert, sei nicht eben ein Paradebeispiel mentaler Kompetenz und sein Gesundheitszustand – gereizt, übergewichtig und mit ungesunden Essmanieren – wohl auch nicht der beste. Ein Kolumnist der «New York Times» räumt ein, Trump rede lauter und schneller und bewege sich auch kraftvoller als Biden: «Er ist wie ein Frachtzug im Vergleich zu Bidens Seilbahn oder wie eine grosse, voluminöse Tuba im Vergleich zu Bidens filigranem Piccolo.» Ironisch, dass Trump in einer Rede Biden – «dem total korruptesten und schlechtesten Präsidenten in der Geschichte unseres Landes» – unlängst vorgeworfen hat, «kognitiv behindert» zu sein und als Begründung anführte, sein Nachfolger werde die USA «in einen zweiten [so!] Weltkrieg» führen.
«Ich stelle fest, wie Leute alle älteren Personen in einen Topf werfen und den Begriff Gerontokratie verwenden», sagt die Geriaterin Rosanne M. Leipzig vom Mount Sinai Spital in New York: «Es gibt keine Gruppe von Leuten, die unterschiedlicher sind als ältere Menschen. Es gibt sogar einen Begriff dafür – die Heterogenität des Älterwerdens.»
Bleibt der Umstand, dass es ein Armutszeugnis für Amerika mit einer Bevölkerung von 333 Millionen Menschen ist, keine jüngeren Politikerinnen und Politiker zu finden, die sich als Kandidatinnen und Kandidaten für höchste Ämter eignen. Ohne eine ältere Generation diskriminieren zu wollen, wäre eine Amtszeitbeschränkung wohl denk- und wünschbar.
Nicht zu vergessen der Aspekt nationale Sicherheit, den eine Studie der RAND Corporation im Frühling aufs Tapet gebracht hat. Der Denkfabrik zufolge können Individuen, die Zugang zu Geheiminformationen haben oder hatten, zum Sicherheitsrisiko werden, wenn sie an Demenz erkranken und unbeabsichtigt Regierungsgeheimnisse verraten. «Wenn Leute länger leben und später in den Ruhestand gehen, müssen die Herausforderungen angegangen werden, die sich bezogen auf eine geistige Beeinträchtigung am Arbeitsplatz stellen», fordert der Report.