Die Partei mit dem grossen Geld pflastert die Landschaft mit bedrohlich wirkenden Plakaten voll und doppelt mit einer gleich gestrickten Inseratenkampagne nach. „Ivan S. Vergewaltiger bald Schweizer?“ Oder „Frank B. Mörder bald Schweizer?“ so lautet die bange Frage aus der SVP-Propagandaküche. Und im Text dazu heisst es, Ivan. S. und Frank B. würden nicht ausgeschafft, „weil die Behörden es so wollen“.
Dass es sich um erfundene Beispiele und um harmlose Fotomodelle handelt, ist nicht überraschend. Längst gehören solche Scheinbeispiele zum Standardrepertoire der Abstimmungskämpfer. Verwerflich ist es jedoch, dass die SVP mit diesen Pseudobeispielen dem Stimmvolk weismachen will, dass Mörder und Vergewaltiger heute nicht ausgeschafft würden, und dass die Gegner der Initiative derart schlimme Straftäter sogar noch einbürgern möchten. Dabei ist die Praxis klar: Mörder, Kinderschänder und Vergewaltiger müssen das Land verlassen, sofern sie nicht glückliche Besitzer eines Schweizer Passes sind.
Keine Gnade bei Einbrechern
Fragwürdig ist diese Inseratenkampagne noch aus einem anderen Grund. Die Initianten erwecken damit den Anschein, als ob sich ihr Volksbegehren in erster Linie gegen Schwerstkriminelle richten würde. Dabei würde die automatische Ausschaffung viel mehr Ausländerinnen und Ausländer treffen, die bloss ein relativ geringfügiges Delikt begangen haben.
So stellt die Initiative Einbruchdiebstähle auf die gleiche Ebene wie Mord und Vergewaltigung. Ob es sich um gefährliche Einbrecherbanden oder einen einzelnen glimpflich ablaufenden Einbruch mit einem geringen Schaden handelt, macht für die Initianten keinen Unterschied. Eine Beurteilung des konkreten Falles darf es nicht geben. Der Täter muss das Land ohne wenn und aber verlassen, selbst wenn er nur eine bedingte Strafe erhalten hat.
Schläger und Raser müssen die Initiative nicht fürchten
Wie sich das mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbaren lässt, bleibt das Geheimnis der Initianten. Zumal die Initiative bei Gewalttätern nicht den gleichen strengen Massstab anlegt wie beim Einbruch. Glimpflicher davon kommen würden laut dem Initiativtext Raser, die einen Menschen über den Haufen fahren und schwer verletzen.
Das Gleiche gilt für Ausländer, die andere brutal zusammenschlagen und den wehrlosen Opfern mit Fusstritten schwere Kopfverletzungen zufügen. Offensichtlich haben die Schöpfer der Initiative bei ihrem rasch zusammengeschusterten Begehren vergessen, dass Delikte wie die schwere Körperverletzung für das Opfer weit schlimmere Folgen haben als ein Einbruchdiebstahl. Trotzdem tut das SVP-Komitee so, als ob es dieses seltsame Ungleichgewicht im Initiativtext nicht geben würde. Und behauptet auf seiner Webseite ungerührt, schwere Körperverletzung und Entführung würden automatisch zur Ausschaffung führen.
Nicht nur Einbrecher würden ausnahmslos von der ganzen Härte der SVP-Initiative erfasst. Auch beim Drogenhandel führt bereits der Verkauf kleinster Mengen zwingend zur Ausschaffung. Keine Gnade kennt die Initiative auch beim missbräuchlichen Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen und der Sozialhilfe. Es muss kein strafbarer arglistiger Betrug vorliegen. Es genügt, dass ein Ausländer seine Meldepflicht verletzt und einen kleinen Zusatzverdienst nicht angegeben hat.
Was sich aus der Urteilsstatistik ablesen lässt
Im Abstimmungskampf streiten sich Befürworter und Gegner darum, wieweit die Initiative angesichts der übergeordneten Grundsätze der Verfassung und des Völkerrechts überhaupt umsetzbar sei. Nicht viel Worte werden darüber verloren, was für Menschen die automatische Ausschaffung treffen würde und wie es sich damit beim Gegenvorschlag verhält. Dabei hat das Bundesamt für Statistik vor einem Jahr Anhaltspunkte dafür geliefert, was ein Ja für Folgen hätte.
Bei der Ausschaffungsinitiative ergibt sich auf Grund der Urteilsstatistik für 2008 das folgende Bild: Wegen vorsätzlichen Tötungsdelikten hätten 38 Ausländer zwingend ausgeschafft werden müssen. Ausserdem hätten 128 Ausländer wegen schweren Sexualdelikten gehen müssen. Wesentlich höher war mit 927 die Zahl jener, die bloss einen Einbruch begangen hatten und deswegen automatisch ausgewiesen worden wären. 2996 Personen hätte wegen Drogenhandels das gleiche Schicksal gedroht, wobei zwei Drittel der Verurteilungen geringe Mengen betrafen. Gar nicht beziffern konnten die Statistiker den Missbrauch von Sozialhilfe und Sozialversicherungen, weil es sich um keinen klar definierten Straftatbestand handelt.
Auch beim Gegenvorschlag zählt nicht nur die Schwere der Tat
Die Anhänger des Gegenvorschlags halten gerne fest, ihr Projekt nenne anders als die Initiative nicht einzelne willkürlich ausgewählte Delikte, die eine Ausweissung zur Folge haben müssten, sondern stelle allein auf die Schwere der Tat ab. Tatsächlich sieht das Gegenprojekt eine Ausschaffung dann vor, wenn die entsprechende Tat laut Gesetz mit mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bestraft wird.
Das ergibt eine stattliche Liste von über 30 Delikten, also weit mehr als die in der Initiative aufgeführten Straftatbestände. Der Gegenentwurf erfasst im Unterschied zur Initiative auch die schwere Körperverletzung, Geiselnahme und Entführungen. Auf der andern Seite beschränkt sich der Gegenvorschlag auch beim Drogenhandel auf die gewichtigeren Fälle.
Allein auf schwere Straftaten wollen sich jedoch Bundsrat und Parlamentsmehrheit nicht beschränken. Die Ausschaffung droht laut dem Gegenvorschlag auch Tätern, die geringfügige Delikte begangen haben, sofern sie innerhalb von 10 Jahren mehr als einmal straffällig geworden sind. Das kann auch ein Diebstahl, ein Fahren ohne Ausweis oder eine Sachbeschädigung sein. Es genügt, wenn die in den vergangenen zehn Jahren ausgesprochen Strafen zusammengerechnet 720 Tagessätze Geldstrafe oder Freiheitsstrafe ergeben. Aus der Urteilsstatistik lässt sich ablesen, wie viele Ausländerinnen und Ausländer diese Bestimmung erfassen würde. Im Jahr 2008 hätte unter diesem Titel immerhin 889 Personen die Ausschaffung gedroht.
Ganz neu wäre das allerdings nicht, wie die St. Galler Justiz- und Polizeidirektorin Karin Keller-Sutter erklärt hat. Schon heute können auch weniger schwere Delikte zum Entzug der Aufenthaltsbewilligung führen, sofern der Täter rückfällig geworden ist. Es sei denn, dieser würde aus einem EU-Staat stammen.
Bedingt und trotzdem ausgeschafft
Beim Zusammenrechnen von kleineren Strafen soll es laut dem Gegenvorschlag auch keine Rolle spielen, ob es sich um unbedingte oder bedingte Strafen handelt. Das stösst beim linksgrünen „2xNein“-Komitee auf harsche Kritik. Tatsächlich kann diese Klausel zu extrem widersprüchlichen Ergebnissen führen. So wird ein Ausländer selbst dann ausgeschafft, wenn das Strafgericht davon überzeugt ist, dass dieser die Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat und keine weiteren Delikte mehr begehen wird. Mit anderen Worten: Die Strafjustiz stellt ihm eine gute Prognose aus. Doch für die Ausländerbehörden bleibt er ein potentieller Serientäter, der das Land verlassen muss.
Sollen Menschen selbst dann ausgeschafft werden, wenn sie keine schweren Delikte begangen haben, ist es umso wichtiger, dass auf die Prüfung des konkreten Falles nicht verzichtet wird, wie das die Initiative ultimativ fordert. Geht es um Kriminaltouristen, die in die Schweiz gekommen sind, um hier Delikte zu begehen, kann eine Ausweisung angebracht sein, auch wenn es bloss um Taschendiebstähle oder den Verkauf von Kleinstmengen an Drogen geht. Wird dagegen ein hier aufgewachsener Ausländer wegen geringfügiger Delikte in ein Land ausgeschafft, in dem er gar nie gelebt hat, erscheint das unverhältnismässig. Erst recht, wenn die Strafjustiz in seinem Fall den bedingten Strafvollzug für ausreichend gehalten hat.