In den Medien ist die angeblich baldige Herrschaft „intelligenter“ Maschinen mal wieder en vogue. Wie sehr die Konjunktur solcher Themen schwankt, haben schon die Erwartungen und Befürchtungen beim Thema Gentechnologie gezeigt. Unlängst reichte hier die Aufregung von überrissenen Hoffnungen auf die Heilung von Erbkrankheiten bis zur befürchteten Massenzüchtung von Designerbabies und der Angst vor Eingriffen in die menschliche Evolution.
Selbstverständlich muss der Komplex der Künstlichen Intelligenz (KI) uns beschäftigen (was genauso für das momentan etwas vergessene Thema Gentechnologie gilt). Industrie 4.0, automobile Automobile, roboterisierte Dienstleistungen, autonome Waffen, erweiterte Überwachung, Prognose von Verbrechen und ähnliche Dinge werden, wenn realisiert, vieles ändern. Und sie werden nicht nur Probleme lösen, sondern auch welche schaffen.
In vielen KI-Diskussionen beansprucht die Annahme, Computer würden Menschen eher früher als später überflügeln, mittlerweile den Status einer Gewissheit. Tatsächlich scheint einiges dafür zu sprechen. Schon 1997 schlug das IBM-Programm Deep Blue den Schachweltmeister Garri Kasparow. Zwanzig Jahre danach hat das System AlphaGo die weltbesten Go-Spieler gedemütigt – ein noch viel mächtigeres Signal, da Go um etliche Dimensionen komplexer ist als Schach.
Der Triumph des selbstlernenden neuronalen Netzes AlphaGo gilt als kleiner Vorgeschmack auf das, was den Menschen insgesamt blüht. Seit diesem als Big Bang der KI gedeuteten Meilenstein finden Abdankungsreden auf die Souveränität menschlicher Intelligenz kaum noch Widerspruch.
Bloss: So klar liegen die Dinge keineswegs. Intelligenz ist ein kaum fassbares Konstrukt aus einer schwer überblickbaren Menge von Eigenschaften und Fähigkeiten. Um es zu definieren und zu operationalisieren – etwa zwecks Messung oder Imitation – muss es rigoros vereinfacht, beschnitten und eingegrenzt werden. Wenn AlphaGo „den Menschen überflügelt“, so geht es dabei um eine sehr spezielle menschliche Fähigkeit. Das ist nicht grundsätzlich anders, als wenn ein Vehikel mit Rädern und Benzinmotor „den Menschen überflügelt“, nämlich an Geschwindigkeit der Fortbewegung.
In der Diskussion um menschliche und maschinelle Intelligenz lohnt sich eine Rückbesinnung auf die Wortbedeutung. „Intelligenz“ stammt vom lateinischen „intellegere“: verstehen, entscheiden – eigentlich: dazwischen lesen, unter mindestens zwei Optionen aus-lesen, also wählen. Intelligenz ist keine freischwebende Potenz, sondern das Verhalten und Tun eines Subjekts: Es ist jemand da, der versteht, auswählt oder entscheidet. Zum Konzept der Intelligenz gehört – das sagt uns der genuine, genaue Sinn des Wortes – ein handelndes Wesen, ein seiner selbst bewusstes Ich.
Im Go zu gewinnen, ein Auto durch den Verkehr zu steuern, einen Text zu übersetzen, das alles sind intelligente Leistungen. Wenn ein Computersystem sie zustande bringt, ist der Begriff KI durchaus angebracht. Aber selbst wenn Maschinen dereinst ganze Kataloge solcher Kunststücke fertigbrächten, würde noch immer gelten: So lange die Computer kein Bewusstsein und keine Persönlichkeit haben, sind sie mit Menschen nicht zu vergleichen. Zwischen ihren Leistungen und menschlichem Verhalten klafft die Lücke der kategorialen Differenz. Erst wenn ein Computer Ich sagt, Charakter zeigt, Verantwortung übernimmt, Schmerz und Freude kennt, träumt, hofft, sich ärgert oder begeistert ist – erst dann wird der kategoriale Unterschied zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz zu verschwimmen anfangen.
Die Prognose sei gewagt: Dies wird ein ziemliches Stück länger dauern, als beflügelte KI-Propheten annehmen.