Es war eher ein Zufall, dass ich die Mondlandung hautnah mitbekam: Meine Tante und mein Onkel lebten zu der Zeit in Minneapolis, USA, und meine Eltern schickten mich in den Sommerferien 1969 auf Besuch dorthin. Im Gegensatz zu meinen Eltern besassen meine Verwandten einen Fernsehapparat, und für sie war es klar, dass man diese Mondlandung mitverfolgen musste. Und so sassen wir denn an besagtem Tag vor dem Fernseher und erlebten hautnah mit, wie Neil Armstrong seinen Fuss auf den Mond setzte. In meiner Erinnerung waren die Bilder recht unscharf und ich kann auch nicht behaupten, dass ich nachher die Welt mit anderen Augen gesehen hätte.
Mehr Interesse für die Erde als für den Mond
Zurück in der Schweiz war das Ereignis bald in den Hintergrund gerückt. Mein Beschluss, Physik zu studieren, hatte vorerst nichts mit der Mondlandung zu tun, sondern mit meinem Interesse an Naturphänomenen hier auf der Erde. Und so wählte ich als Studienrichtung Festkörperphysik. Nie hätte ich zu dieser Zeit gedacht, dass ich einen Grossteil meines Lebens mit Weltraumforschung verbringen würde. Erst viel später wurden mir die Bedeutung und auch der Hintergrund dieser Mondlandung bewusst.
Nach dem Ende der Mondflüge kam die Zeit der fantastischen unbemannten Missionen. Die Pioneer- und Voyager-Sonden schickten unglaubliche Bilder von den Riesenplaneten Saturn, Uranus und Neptun zur Erde. Marsmissionen hingegen hatten es am Anfang schwer. Viele Missionen verfehlten den Mars oder die Landemodule stürzten unkontrolliert ab. 1971 war Mariner 9 die erste erfolgreiche Marsmission mit einem Orbit um den Mars. Als enorm erfolgreich erwiesen sich dann die Viking I und Viking II Missionen mit den Landungen auf dem Mars. Nach den erfolgreichen Mondlandungen war es damit klar, dass der Mars in Zukunft auch für bemannte Raumfahrt ein Ziel sein würde.
Das Erbe der Mondlandung – Weltraumexperimente aus Bern
Als ich 1982 in Bern in der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie zu arbeiten begann, hatte ich sehr wenig Hintergrundwissen in Weltraumtechnologie, Weltraumforschung und Astronomie, aber ich interessierte mich sehr fürs Labor. Die Gelegenheit, an Instrumenten zu arbeiten, die fürs Weltall bestimmt waren, lockte mich. Das Sonnenwindexperiment auf dem Mond war in Bern noch sehr präsent, und schon bald war ich stolz, Teil einer Abteilung zu sein, die solches vollbracht hatte. Zu dieser Zeit war das erste Berner Massenspektrometer auf der Weltraumsonde GEOS in der Erdmagnetosphäre unterwegs. Das Sonnenwindexperiment bei den Apollo-Missionen hatte den Grundstein gelegt für die äusserst erfolgreichen Weltrauminstrumente mit Berner Beteiligung. Ein Erfolg, der bis heute andauert. Durch das Sonnenwind-Experiment wurde Bern ein bekannter Standort für experimentelle Weltraumforschung. Die massgebenden Leute des Instituts, die Professoren Geiss, Balsiger, Eberhardt, Bochsler etc. bauten ein grosses internationales Netzwerk auf, von dem Bern auch heute noch profitiert.
Dann kam die Zeit der ersten Kometenmissionen …
Giotto, die europäische Sonde, flog 600 Kilometer am Kern des Kometen Halley vorbei. Zum ersten Mal war die Europäische Weltraumagentur ESA federführend bei einer Mission ins Weltall, weg von der Erdumlaufbahn. Auch wenn die Missionsdauer mit nur wenigen Stunden Messzeit beim Kometen Halley äusserst kurz war wegen der grossen Relativgeschwindigkeit zwischen Sonde und Komet, war es doch eine der wissenschaftlich wichtigsten Missionen. Zum ersten Mal konnte man Material aus der Urzeit unseres Sonnensystems analysieren.
Für mich war es der Beginn meiner Karriere in der Weltraumforschung. Unvergessen bleibt mir, wie wir kurz nach Mitternacht am 14. März 1986 die klaren Signaturen der Zusammensetzung der Kometenatmosphäre auf unserem Bildschirm sahen. Selbst wenn die Mission schnell vorbei war, haben uns diese Daten noch über viele Jahre beschäftigt. Auch andere wissenschaftlich äusserst ergiebige Missionen waren im Bau oder schon unterwegs: Ulysses kreiste um die Pole der Sonne, SOHO, das europäisch-amerikanische Sonnenobservatorium, beobachtete die Sonne, Galileo wurde zum Jupiter geschickt und Cassini zum Titan. Diese Missionen haben dazu beigetragen, dass ich fortan Teil des Weltraums wurde, ich mir die riesigen Distanzen plötzlich vorstellen konnte und die entsprechende Technologie mit Bewunderung in mir aufnahm. Erst mit diesen Missionen habe ich die Geschichte der Weltraumfahrt zur Kenntnis genommen und damit auch die Apollo-Missionen richtig einordnen können. Und erst seit ich die Bilder dieser fremden Welten gesehen habe, schaue ich auch mit anderen Augen in den Nachthimmel.
Unbemannte versus bemannte Raumfahrt
In der bemannten Raumfahrt waren die Apollo-Missionen nach 1972 mit der letzten Landung auf dem Mond von Apollo 17 Geschichte. Dafür wurden nun Weltraumlabors gebaut: Saljut, Skylab, MIR, ISS. Von diesen Labors hat man sich wissenschaftlich viel erhofft. Die Weltraumlabors dümpelten aber eher vor sich hin, ohne dabei grosse Begeisterung zu entfachen. Und auch heute, wenn ich wieder einmal die ISS vorbeiziehen sehe, verbinde ich das weniger mit dem Weltall als mit einem hoch fliegenden Flugzeug, ist doch die ISS von Bern dann nur etwa gleich weit entfernt wie München …
Ist bemannte Raumfahrt überflüssig?
Der Schritt vom Ionen-Massenspektrometer auf Giotto, an dem ich mitarbeiten konnte, zu ROSINA, dem Gas-Massenspektrometer auf der Raumsonde Rosetta, zeigt, wie sehr die unbemannte Weltraumtechnologie in den letzten vierzig Jahren vorangeschritten ist. Dies führte zur Entdeckung unzähliger neuer Substanzen im Kometenkern, die unser Bild vom Ursprung des Materials im Sonnensystem und von unserem eigenen Ursprung massgeblich verändern. Auch wenn die Methoden in irdischen Labors noch empfindlichere Messungen erlauben als im All, sind wir mit Instrumenten auf Sonden bereits auf einem sehr hohen Niveau angelangt. Bilder vom Kometen, Bilder vom Mars, von den Saturnmonden etc. sind qualitativ um vieles besser als vor 30 Jahren. Komplexe miniaturisierte Experimente werden in den Weltraum geschickt. Lastwagengrosse Landemodule fahren auf dem Mars. Robotik im Weltall ist allgegenwärtig, sodass sich die Frage stellt: Wofür brauchen wir noch eine bemannte Raumfahrt?
Derzeit kommen die grossen wissenschaftlichen Entdeckungen von der unbemannten Raumfahrt und von den immer besseren erdgebundenen Teleskopen. Die Entdeckung von Exoplaneten vor gut 15 Jahren hat uns nochmals ganz neue Welten eröffnet, die zwar mit bemannter Weltraumfahrt nie erforscht werden können, die Frage nach Leben im All jedoch neu angefacht hat. Bis vor 15 Jahren waren die Planeten im Sonnensystem einzigartig. Nun kennen wir mehr als 4000 Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems und nur 8 innerhalb. Unsere Erde ist wahrscheinlich nicht der einzige Planet im Universum, der flüssiges Wasser und eine Atmosphäre hat. Die Antwort auf obige Frage nach Leben anderswo scheint jetzt plötzlich im Bereich des Möglichen zu liegen, auch wenn es noch viele Jahre oder Jahrzehnte dauern kann, bis wir soweit sind. Im Vergleich dazu sind wir mit bemannter Raumfahrt auf dem Entwicklungsstand von Apollo zurzeit stehen geblieben. Der Sprung für die Menschheit ins Weltall hat sich in dieser Beziehung als Fehlstart erwiesen.
Bemannte Raumfahrt ist heute eigentlich weniger weit fortgeschritten als vor 50 Jahren. Zurzeit existiert keine Rakete, die Astronauten auf den Mond bringen könnte. Nur schon das Auswechseln der Crew auf der Internationalen Raumstation ISS zeigt, wie schwierig, gefährlich und teuer bemannte Raumfahrt nach wie vor ist. Sechs bis zwölf Astronauten waren für den Betrieb der ISS vorgesehen, meist sind es jetzt nur drei; sie können die ISS gerade mal am Leben erhalten. Zwar werden in letzter Zeit von Politikern und Geschäftsleuten bemannte Missionen zum Mars versprochen und sie beflügeln damit die Träume der Menschen. Doch wie nahe an einer solchen Mission sind wir tatsächlich?
Zusammenarbeit statt Wettrennen …
Diesbezüglich zunächst ein Blick zurück zu Apollo: Die Mondlandung ist ein Kind des kalten Krieges, da gibt es keinen Zweifel. Das Rennen zwischen den beiden Supermächten UdSSR und USA zum Mond war ein Stellvertreterkrieg um die Vormachtstellung im Weltall. Der erste bemannte Flug der UdSSR mit Gagarin an Bord war ein Weckruf für die USA, ein Schock, der fast noch grösser war als der Sputnik-Schock 1957. Präsident Kennedy erhob eine bemannte Mondlandung zur ersten Priorität der USA. Keine Kosten, keine personellen Ressourcen wurden gescheut, um dieses Ziel zu erreichen. Und da liegt für mich der Haupteffekt der Mondlandung: Nie zuvor und bisher auch nie wieder flossen so viele Ressourcen in Technologie und Wissenschaft wie bei diesem Projekt.
Wie bereits erwähnt, traten in der Folge Weltraumlabors an die Stelle von Mondlandungen. Auch wenn sie für die Wissenschaft einen beschränkten Wert hatten und haben, ist auch hier die Politik der treibende Faktor. Während da unten noch immer eiskalter Krieg herrschte, hat oben bereits 1975 eine Sojus an einer Apollo Raumfähre angedockt und die Kosmonauten der UdSSR haben zusammen mit den Astronauten der USA Borschtsch gegessen. Für mich ein sehr schönes Beispiel, wie im Weltall Zusammenarbeit funktioniert. Nicht zu vergessen, dass auch bei der ISS die Russen, die Amerikaner, die Europäer und die Japaner zusammenarbeiten. Ohne die russische Raumfähre Sojus gäbe es keine bemannten Raumflüge zur ISS mehr.
Das Tor zum Universum?
Während unbemannte Raumsonden dank fortschreitender Robotik immer ausgeklügelter werden, bleibt die Zukunft der bemannten Raumfahrt nach wie vor in der Schwebe. Als nächstes Projekt in der bemannten Raumfahrt wird heute ernsthaft über den „Gateway to Space“ diskutiert, eine Raumstation, die nicht mehr nur in 300 bis 400 Kilometer Höhe um die Erde kreist, sondern um den Mond oder zusammen mit dem Mond um die Erde. Damit läge sie nicht mehr in der irdischen Atmosphäre und auch nicht mehr im Magnetfeld der Erde. Beteiligt wären wiederum die USA, Russland, Europa, möglicherweise China und Japan. Der Mond wäre dann nur noch einen Katzensprung von der Raumstation entfernt.
Persönlich habe ich hier allerdings einige Zweifel. Ausserhalb der Atmosphäre und des Erdmagnetfeldes sind die Astronauten der kosmischen Strahlung ungeschützt ausgeliefert. Diese Strahlung besteht vorwiegend aus schnellen Protonen, die nicht wie Radioaktivität einfach abgeschirmt werden können. Von daher werden sich die Astronauten nur wenige Tage in der Raumstation aufhalten können, was deren Betrieb äusserst teuer machen würde. Auch der Sinn einer solchen, meist unbesetzten Station ist nicht wirklich einsehbar. Sicher wird man dort Erfahrungen sammeln können für eine spätere Reise zum Mars, die ich allerdings als noch in weiter Ferne liegend einschätze. Der Grund ist der Mensch, der einfach nicht für das Weltall geschaffen ist. Kürzlich durchgeführte Messungen auf der ExoMars-Sonde haben gezeigt, dass eine Sonde während der Reise zum Mars ca. 60% der für einen Menschen tödlichen Strahlung erhält. Eine Reise zum Mars wäre deshalb mit den heutigen technologischen Möglichkeiten eine Einweg-Reise. Und damit sind wir bei der Ethik: Darf man Menschen aus Neugierde in ihren sicheren Tod schicken? Ich vertrete die Meinung, dass staatliche Organisationen wie NASA oder ESA das nicht dürfen.
Fazit: Ein grosser Sprung – ja, aber …
Wenn ich versuche, die Mondlandung einzuordnen, dann ist es für mich weniger der Schritt von Armstrong auf dem Mond, der ein grosser Sprung für die Menschheit sein soll, sondern die Tatsache, dass man in kürzester Zeit enorme, kaum vorstellbare technologische Fortschritte erzielen kann. Das gibt mir Hoffnung, dass die Menschheit, sofern sie nur will, auch dringende Umwelt- und Energieprobleme lösen kann, bevor es zu spät ist. Allerdings wird auch dies nur mit Sonderanstrengungen und einer Bündelung aller Kräfte gelingen – genauso wie einst die Landung auf dem Mond.
*) Die Astrophysikerin Kathrin Altwegg, assoziierte Professorin an der Universität Bern, war lange Zeit die einzige Schweizer Weltraumphysikerin. Sie war Projektleiterin des Massenspektrometers Rosina und ehemalige Direktorin des Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern.
Kathrin Altwegg ist eine der Autorinnen/Autoren des neuen Buchs „Ein grosser Sprung für die Menschheit – 50 Jahre Mondlandung“, das vom Journalisten, Publizisten und Journal21-Autor Roland Jeanneret herausgegeben wurde. Weltbild Verlag, 2019, 144 Seiten, fester Einband, reich bebildert, ca. CHF 30.--.