War die Mondlandung vor 50 Jahren mehr als nur ein Spektakel, eine Rache an den Sowjets, die mit Sputnik und Juri Gagarin die Führung in der Eroberung des Weltraums übernommen hatten?
Aus Anlass des 50. Jahrestages der Mondlandung werden viele Mond-Bücher publiziert. Dieses ist ein besonderes, auch deshalb, weil er fast ausschliesslich Schweizer zu Wort kommen lässt. Die meisten von ihnen waren direkt in das Abenteuer verwickelt. Zudem beleuchtet das mit reichem Fotomaterial bebilderte Buch viele Schweizer Aspekte des Unternehmens. Die Schweiz hatte einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dem gewagten Unterfangen. „Ein grosser Sprung für die Menscheit?“ – so lautet der Titel des Werks. Roland Jeanneret, der Herausgeber und Journal21-Autor, setzt bewusst ein Fragzeichen. *)
Zu Wort kommen Claude Nicollier sowie verschiedene Fachleute: Professoren, Raumfahrtspezialisten, Physiker, Elektronikingenieure, Journalisten und Publizisten. Auch ein Science-Fiction-Spezialist und ein Theologe berichten.
Politisches Ziel
Einig sind sich alle: Das Mondlande-Unternehmen hatte in erster Linie ein politisches Ziel. Die Sowjets hatten während des Kalten Krieges 1957 als erste einen Satelliten (Sputnik) in eine Erdumlaufbahn geschossen. Und am 11. April 1961 umkreiste Juri Gagarin als erster Mensch eine Erdumlaufbahn – für die USA ein schlimmer Prestigeverlust.
Die amerikanischen Weltraumspezialisten waren denn auch in Eile, das Mondprogramm aufzugleisen. Immer fürchteten sie, die Sowjets würden ihnen zuvorkommen.
Nach Landung der Fähre – ab ins Bett!
500 Millionen Menschen verfolgten die Mondlandung am Fernsehen. Der Raumfahrt- und Astronomie-Experte Men Schmitt erzählt, wie er in seinem Unterengadiner Dorf Sent das Ereignis erlebte. Im Dorf habe es damals nur zwei Fernsehapparate gegeben. Sie waren in zwei Restaurants aufgestellt und zeigten „verschneite“ Bilder.
Schmitt, damals ein Kind, das sich für die Weltraumfahrt begeisterte, hörte von der Landung am Radio. Um 21.18 hatte die Fähre auf dem Mond aufgesetzt. Dann musste der Knabe ins Bett. Doch die Eltern versprachen ihm, ihn zu wecken, wenn der Mondspaziergang begann. So wurde er um halb vier geweckt.
„Definitiv ein Riesenschritt für die Menschheit“
Doch was brachte das Mondlande-Programm ausser politischem Prestige? Für Claude Nicollier war der symbolische erste Schritt auf dem Mond „definitiv ein Riesenschritt für die Menschheit“.
Alle hätten vom Wettlauf zum Mond profitiert, schreibt Schmitt: „Anstatt immer grössere, leistungsfähigere und damit noch teurere Systeme zu entwickeln, bemühte man sich, bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit, alles so klein und leicht wie möglich zu machen.“
Tausende Patente
Viele zogen Nutzen aus dem Mondlandeprogramm: die Computerindustrie, die Handyhersteller, die Solarindustrie, selbst die Hörgeräte-Hersteller. Die Übertragung von Bildsignalen wurde weiterentwickelt, hitzebeständige Materialen wurden erfunden und getestet. Tausende Patente gingen aus dem Mondlandeprogramm hervor.
„Elektronik, Digitalisierung, Fernmeldetechnik, Miniaturisierung, Materialentwicklung, Automobil- und Flugzeugtechnik – alle haben von diesen Erfahrungen profitiert“, schreibt der Herausgeber.
Switzerland first
Der damals in Bern lehrende Physikprofessor Hans Balsiger war Mitglied des wissenschaftlichen Apollo-Teams der NASA. Während der Mondlandung war er in Houston dabei. In dem Buch weist er mit Stolz darauf hin, dass das an der Universität Bern entwickelte Sonnenwindsegel als erstes auf dem Mond gehisst wurde – vor der Flagge der USA.
Dies sei „ein kleines Wunder“, schreibt Balsiger. „Eroberungsgeschichtlich könnte man demnach spasseshalber sagen, die Schweiz habe den Mond erobert“, schreibt Balsiger.
Ziemlich toter Himmelskörper
Für Balsiger bestand „die wissenschaftliche Ausbeute im Wesentlichen im zurückgebrachten Mondmaterial, dem Laser Ranging Retroreflektor, mit dem hoch heute die wechselnde Distanz zum Mond gemessen werden kann, und dem Seismometer, das die Vermutung bestätigte, dass der Mond „ein ziemlich ‚toter’ Himmelskörper ist“.
Doch ganz glatt verlief die Mondlandung nicht, wie man uns weismachte. Es gab „schwierige und sogar lebensgefährliche Momente“, schreibt Balsiger. „Insbesondere bei der eigentlichen Mondlandung meldete der Computer mehrmals einen unbekannten Fehler, der ignoriert wurde.“
Chinesische Ambitionen
Das Buch beschreibt nicht nur die eigentliche Mondlandung, sondern erzählt auf attraktive, farbige Art die gesamte neuere Geschichte der Weltraumeroberung und porträtiert die wichtigsten Akteure und Astronauten. Peter Achten, China-Korrespondent und Journal21-Autor berichtet über das chinesische Raumfahrtprogramm.
Mit der Superrakete „Langer Marsch 9“ wollen die Chinesen zwischen 2025 und 2040 auf dem Mond landen. Der Erdtrabant soll dann Ausgangspunkt für weitere Weltraumeroberungen sein.
Ist bemannte Raumfahrrt überflüssig?
Und jetzt, 50 Jahre danach, wie steht es um die Eroberung des Weltraums? Professorin Kathrin Altwegg, lange Zeit einzige Weltraumphysikerin der Schweiz, fragt sich, ob nun bemannte Raumfahrt überflüssig ist.
Derzeit würden die grossen wissenschaftlichen Entdeckungen von der unbemannten Raumfahrt kommen, schreibt sie, vor allem von den immer besseren erdgebundenen Teleskopen. „Die Entdeckung von Exoplaneten vor gut 15 Jahren hat uns nochmals ganz neue Welten eröffnet, die mit bemannter Weltraumfahrt nie erforscht werden können, die Frage nach Leben im All jedoch neu angefacht hat.“
Einweg-Reise zum Mars
Die bemannte Raumfahrt aber sei auf dem Stand von Apollo stehen geblieben. „Der Sprung für die Menschheit ins Weltall hat sich in dieser Beziehung als Fehlstart erwiesen.“ Und: „Bemannte Weltraumfahrt ist heute eigentlich weniger weit fortgeschritten als vor 50 Jahren. Zurzeit existiert keine Rakete, die Astronauten auf den Mond bringen könnte.“
Und nach dem Mond, der Mars? Eine Reise zum Mars wäre mit den heutigen technologischen Möglichkeiten „eine Einweg-Reise“, schreibt Altwegg. „Und damit sind wir bei der Ethik: Darf man Menschen aus Neugierde in ihren sicheren Tod schicken? Ich vertrete die Meinung, dass staatliche Organisationen wie die NASA oder ESA das nicht dürfen.“
Unser Leben würde anders aussehen
Alle Autoren sind sich einig, dass das Mondlandeprogramm nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Wirtschaft und vor allem der Industrie einen riesigen Schub gebracht hat. Unser Leben würde heute anders aussehen ohne Mondprogramm. Ob aber bemannte Raumflüge für die nächsten Jahre (oder Jahrzehnte?) sinnvoll sind – darüber gehen die Meinungen auseinander.
Roland Jeanneret weist darauf hin, dass der Aufwand für die Eroberung des Mondes gigantisch war. Knapp 24 Milliarden Dollar verschlang das amerikanische Mondprogramm (das entspricht heute einem Wert von 120 Milliarden). Zeitweise beschäftigte des Programm bis zu 400’000 Leute. Ein solcher Aufwand wäre heute undenkbar.
Verletzlichkeit unseres Lebensraums
Mit der Mondlandung wurde nicht nur der Mond, sondern auch die Erde entdeckt. Erinnern Sie sich an die Bilder unseres Planeten, die die Astronauten vor 50 Jahren zur Erde schickten?
Claude Nicollier schreibt: „Der Anblick unseres Planeten aus dem Weltraum, insbesondere aus der grosser Distanz, die uns vom Mond trennt, haben uns das Bewusstsein der Verletzlichkeit unseres Lebensraums sowie unsere Verantwortung für die Erhaltung seiner Lebensfähigkeit nachhaltig geschärft.“ Den Klima-Demonstranten von heute werden solche Sätze gefallen.
*) „Ein grosser Sprung für die Menschheit?“ Weltbild Verlag, 2019, 144 Seiten, fester Einband, reich bebildert, ca. CHF 30.--, Herausgeber Roland Jeanneret.
(J21/hh)