Arabische Potentaten müssen wieder einmal die Credit Suisse retten, und mit ihrem Gas und Öl sollen sie uns von drohendem Energiemangel befreien. Aber für ihre Menschenrechtsverletzungen sollen sie kritisiert werden. Das ist nicht leicht unter einen Hut zu bringen.
Was wären wir ohne die Wüstensöhne, oder etwas sachlicher: ohne die Financiers aus der Region des Persischen Golfs? Die einst hochangesehene Credit Suisse befände sich in ernsthaften Schwierigkeiten, hätten die Saudis jetzt nicht eineinhalb Milliarden eingeschossen. Sie wäre schon früher in die Bredouille geraten, hätten damals (2008) nicht die Qatarer ihre Geldbeutel – es handelte sich um etwa 2,5 Milliarden – geöffnet.
Und was wäre aus den klassischen Luxushotels auf dem Bürgenstock, dem Schweizerhof in Bern und dem Royal Savoy in Lausanne ohne klingende Münze aus Qatar geworden? Aus der reichen und auf die eigene Hoteltradition so stolzen Schweiz wollte offenkundig niemand das notwendige Geld für Umbauten und Renovationen einbringen – auch nicht für das Atlantis in Zürich. Auch da passierte nichts, bis Financiers aus Qatar sich gnädig zum Friesenberg-Quartier begaben und ein paar hundert Milliönchen freigaben. Und als die Qatarer genug hatten vom Friesenberg, traten, oh Glück, die Dubaier an ihre Stelle.
Widersprüche der Globalisierung
Wir leben in einer globalisierten Welt. So weit, so problematisch. Denn in dieser Welt häufen sich die Widersprüche. Westliche Länder, deren Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger, werden immer abhängiger von Kräften und Mächten jenseits des eigenen Einflussbereichs. Manchmal überwiegen da die positiven Aspekte – wir in hochentwickelten westlichen Gemeinschaften verkaufen sozusagen Know-how an weniger entwickelte und erhalten von ihnen Güter zu günstigen Preisen. Das funktionierte lange Zeit beispielsweise im Austausch mit China. Bis ein Kipp-Punkt erreicht wurde, das heisst, bis wir im Westen erkannten, dass es in unseren Regionen keine Unternehmen mehr gibt, die zu konkurrenzfähigen Preisen die Grundmaterialien für Medikamente herstellen. Oder keine hoch entwickelten Chips für unsere Alltags-Gebrauchsgüter.
Als zu Beginn des Jahres 2020 Corona die Welt bedrohte, gelobten Politikerinnen, Politiker und Wirtschafts-Koryphäen in allen westlichen Ländern, sie würden für fundamentale Veränderungen sorgen. Bis zum Herbst 2022 war in dieser Hinsicht allerdings noch kaum etwas Wesentliches zu erkennen. Störungen der Lieferketten wurden medial zunächst mit dicksten Headlines beschrieben, dann wurden sie so normal, dass die Meldungen über dieses Thema in den Zeitungen und den elektronischen Medien immer weiter nach hinten rutschten. Eine neue Dramatisierung des Abhängigkeits- und Mangelthemas folgte dann nach dem Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine. Jetzt wurde auch die Drohkulisse eines Mangels an Rohstoffen, an Gas und Öl vor allem, immer gewaltiger.
Pflichtschuldigst die Menschenrechte thematisieren
Die Ministerinnen, Minister, Fachbeamten, unsere Bundesrätinnen und -Räte tun das, was in einer solchen Notlage eben getan werden kann: Sie reisen zu jenen Partnern, von denen sie sich (gegen Bezahlung jedwelcher Preise, versteht sich) Hilfe in der Not versprechen. Also, vor allem an den Golf (den die Iraner den Persischen, die Araber den Arabischen Golf nennen) und treffen sich mit Scheichs, Kronprinzen, Königen, Ministern, Geschäftsleuten. Im Gepäck haben sie nicht nur Bestellungen für Erdgas oder Erdöl, sondern, auf Drängen von humanitären Organisationen, auch Anliegen, die das heikle Thema Menschenrechte betreffen.
Wahrscheinlich tun sie das jeweils pflichtschuldigst, um danach «zur Sache» zu kommen, zur Bitte nämlich, uns im Westen möglichst bald und möglichst viel Erdgas und Erdöl zu liefern. Doch manchmal werden die Widersprüche zwischen Moral und Realpolitik offenkundig. Deutschlands Wirtschaftsminister Habeck handelte in Qatar einen Vertrag über Flüssiggas aus und kehrte, erfüllt von Dankbarkeit, nach Berlin zurück. Danach kritisierte Innenministerin Faeser die Regierung in Doha aber so hart wegen der Missachtung der Rechte von Gastarbeitern beim Bau der Stadien für die Fussball-WM, dass der deutsche Botschafter ins qatarische Aussenministerium zitiert wurde. Und hierzulande diskutiert man die Frage, ob die Übertragung der WM in Qatar (sie beginnt am 20. November) boykottiert werden sollte.
Doch die Gelder aus Qatar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudiarabien, die nehmen wir dann doch mit Freuden entgegen. Diskutiert wird jetzt lediglich im Zürcher Stadtteil Friesenberg, ob man sich allfälligen Nachtschwärmer-Lärm aus der Bar des Hotels Five (Besitzer sind, wie erwähnt, Financiers aus Dubai) bis um drei Uhr früh gefallen lassen müsse.
Aber diese Frage wird ja möglicherweise ohnehin bald einmal obsolet, wenn das Lokal wegen Strommangels nicht mehr unbeschränkt lange beleuchtet und geheizt werden kann. Für diesen Fall wird man dann eventuell wieder mit den Scheichs reden, ob sie uns doch noch etwas mehr Gas und Öl liefern könnten. Um die Menschenrechte machen wir uns zwar Sorgen, aber deswegen im Dunkeln verharren oder gar frieren, das wollen wir auf keinen Fall.