Ein aktueller Hollywood-Film zeigt, wie ein Bürgerkrieg in Amerika künftig ablaufen könnte. Über dessen Ursachen sagt er nichts. Doch wie nah kommt «Civil War» – halb Kriegsfilm, halb Road Movie – der Realität einer gespaltenen Nation?
Vor 89 Jahren schrieb Sinclair Lewis den dystopischen Roman «It Can’t Happen Here». Was zu Zeiten Adolf Hitlers in den USA nicht möglich schien, war der rasche Aufstieg des amerikanischen Politikers Berzelius «Buzz» Windrip zum Präsidenten und ersten Diktator des Landes.
Vergangene Woche ist in hiesigen Kinos der Firm «Civil War» des britischen Regisseurs Alex Garland angelaufen. Der 109-minütige Streifen geht davon aus, dass in Amerika ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist, und zeigt in packenden Action-Sequenzen, wie sich ein solcher Konflikt abspielen könnte: «It Can Happen Here». Zum selben Schluss kommt 2007 der liberale Autor Joe Conason, der während der Präsidentschaft von George W. Bush und nach dem Krieg im Irak 2003 in den USA einen Trend zum Autoritarismus diagnostizierte.
Das tut 2021 auch der Anthropologe und Genozid-Experte Alexander Laban Hinton von der Rutgers University. In seinem Buch «It Can Happen Here» warnt er angesichts steigender Sympathien für «White Supremacy», dass in den USA «eine reale Gefahr brutaler Grausamkeiten» bestehe. Nicht zu vergessen Ex-Präsident Donald J. Trump, der bei Wahlkampfauftritten wiederholt davon gesprochen hat, es werde im Land zu einem «Blutbad» kommen, falls er im November nicht gewählt werde. «Niemand in Amerika wollte den Bürgerkrieg oder erwartete ihn oder beabsichtigte ihn», hat indes zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Enkel des 6. amerikanischen Präsidenten John Quicy Adams (1767–1848) gesagt.
Luftangriffe auf Zivilisten
Der Plot von «Civil War» geht davon aus, dass sich die Staaten Texas und Kalifornien zu den «Western Forces» (WF) zusammengeschlossen haben und unterstützt von der «Florida Alliance» gegen die «Loyalist States» an der Ostküste und im Landesinnern kämpfen. Das Ziel der WF: das Weisse Haus in Washington DC einzunehmen, wo sich ein autokratischer Präsident verschanzt hat, der das FBI aufgelöst und Luftangriffe auf Zivilisten befohlen hat.
Der Plan erinnert von fern an den Sturm auf das US-Capitol vom 6. Januar 2021. Einer Umfrage zufolge haben vor zwei Jahren 43 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner geantwortet, sie hielten einen Bürgerkrieg innerhalb der nächsten zehn Jahre zumindest für etwas wahrscheinlich. Auch wenn wenig realistisch ist, dass in einem solchen Fall, wie im Film, das republikanische Texas und das demokratische Kalifornien eine Allianz eingehen würden.
Der Film lässt offen, wann und warum der blutige Konflikt ausgebrochen ist und wer auf wessen Seite steht. Das lassen auch die vier unerschrockenen Protagonisten offen, zwei Fotoreporterinnen und zwei Pressejournalisten, die zusammen in einem weissen SUV auf Umwegen von New York über Charlottesville nach Washington DC fahren, um dort, wie sie hoffen, ein letztes Interview mit dem Präsidenten und ein letztes Bild zu ergattern. Unterwegs werden sie Zeugen heftiger Kampfhandlungen, stossen auf ein Massengrab und übernachten in einem Flüchtlingslager. Wer da jeweils auf wen schiesst, wer wen tötet oder wer warum flieht, bleibt offen.
Vage bleibt am Ende auch die Motivation der vier Medienschaffenden, die nichts sagen, was einer Parteinahme gleichkäme. Moralische Fragen, sagt im Film die erfahrene Kriegsreporterin Lee, sollen sich jene stellen, die ihre Bilder anschauen: «Jedes Mal, wenn ich in einem Krieg überlebt und ein Bild geschossen hatte, das alles sagte, dachte ich, ich würde eine Warnung nach Hause schicken: Tut das nicht.»
Amy Nicholson bringt es in ihrer Filmkritik in der «Washington Post» auf den Punkt: «Doch die Scheuklappen, die Garland der Geschichte auflegt, sorgen dafür, dass sie mit Elan vorwärtsstürmt. Dies ist ein schlanker, grausamer Film über die Ethik des Fotografierens von Gewalt, ein Dilemma, in das jeder von uns geraten könnte, wenn wir in einer Krise ein Smartphone in der Hand halten.»
Kein Happy End
Regisseur Alexander Garland zufolge soll sein Film aufzeigen, wie verhängnisvoll ein Bürgerkrieg wäre und wie wichtig eine funktionierende Presse für eine freie Gesellschaft ist: «Medienschaffende sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Sie sind so wichtig wie die Justiz, die Exekutive oder die Legislative. Sie sind buchstäblich ebenso wichtig – eine freie Presse, die respektiert und der vertraut wird.»
Einzelne amerikanische Kritiker argumentieren, die Freigabe von «Civil War» in einem Wahljahr berge Risiken und allein das Reden über einen potenziellen Konflikt könne dessen Ausbruch wahrscheinlicher oder zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung machen. Was aber der kanadische Autor Stephen Marche, Autor des Sachbuches «The Next Civil War», für falsch hält: «Damit wird nicht nur die Macht des geschriebenen Wortes oder des bewegten Bildes überschätzt, sondern es wird auch an den wirklichen Kräften vorbeigegangen, welche die Vereinigten Staaten in eine immer tiefere Spaltung treiben: Ungleichheit, ein überparteiliches Duopol und eine antiquierte und zunehmend dysfunktionale Verfassung. Blosse Geschichten sind nicht stark genug, um diese Realitäten zu ändern.»
Auch Marche aber schliesst nicht aus, dass es in absehbarer Zeit in den USA eine Diktatur der Rechten geben könnte. Er skizziert fünf Szenarien, wie ein Bürgerkrieg in den USA ablaufen könnte: eine gewaltsame Konfrontation zwischen der Bundesregierung und einem Aufgebot rechtsextremer Milizen, die Ermordung eines demokratischen Präsidenten, die Zerstörung von New York City durch einen Superhurrikan, die Detonation einer schmutzigen Bombe in Washington DC, und die relativ friedliche Abspaltung von Staaten, die erkannt haben, dass ihre kulturellen und politischen Unterschiede schwerer wiegen als ihre gemeinsame Geschichte.
Anders als viele Hollywood-Filme kennt «Civil War» kein Happy End, weder für die Nation noch für die Medienschaffenden. Und wie endet Sinclair Lewis’ «It Can’t Happen Here»? Mitarbeiter aus «Buzz» Windrips engster Umgebung putschten gegen den Präsidenten und schicken ihn nach Frankreich ins Exil. Sein Nachfolger, General Dewey Haik, versucht den schleichenden Machtverlust seiner Regierung, die mit einflussreichen Geschäftsleuten verbandelt ist, durch eine Invasion Mexikos einzudämmen. Doch ein neuer Bürgerkrieg bricht aus.
Weniger spektakulär, aber der Realität näher kommt der neue Dokumentarfilm «War Game» von Jesse Moss und Tony Gerber. Auf den Ereignissen von 1/6 basierend simuliert er einen bewaffneten Angriff auf das US-Capitol am 6. Januar 2025 und zeigt, wie eine überparteiliche Gruppe früherer Entscheidungsträger aus dem Pentagon, den Geheimdiensten und der Politik auf den Putschversuch von Elementen der US-Armee reagiert. Ziel des sechsstündigen Manövers war es, «über das Undenkbare nachzudenken». Auf die Frage, ob ein solches Szenario wahrscheinlich sei, antwortete die frühere demokratische Senatorin Heidi Heitkamp: «Wahrscheinlich nicht.» Wäre es möglich? «Absolut.»