Tim Guldimann diskutiert mit dem früheren Direktor des Bundesamtes für Verkehr in Bern, Peter Füglistaler, und Susanne Landwehr, Korrespondentin der Deutschen Verkehrszeitung.
Der frühere Direktor des Bundesamtes für Verkehr in Bern, Peter Füglistaler kritisiert die frühere Politik: «Der grosse Irrtum wurde mit der deutschen Bahnreform 1996 gemacht. Da war die Idee: Wir sanieren die Deutsche Bahn jetzt einmal, sehr grosszügig, dann wird sie wettbewerbsfähig, geht an die Börse und schreibt Gewinn. Als Politik bin ich das Problem los. (…) Das ist das ganz grosse Problem, das Fehlurteil.» – Susanne Landwehr, Korrespondentin der Deutschen Verkehrszeitung bestätigt: «Die Politik wollte nicht kontrollieren oder sie hatte einfach ganz andere Prioritäten.»
Füglistaler: «Ein Bahnnetz ist das Problem des Staates. (…) Das kommt jetzt ganz langsam in Deutschland, dass die Politik erkennt: Die Bahn ist mein Problem. (…) Das ist ein sehr langsamer Prozess. (…) Wir haben in der Schweiz auch 30 Jahre dafür gebraucht, von einer Bahn, (…) die sagt (…), ich mache es dort, wo es rentabel ist, zu einem Bahnsystem zu kommen, das politisch definiert ist. (…) Die Politik (…) gibt die Vorgaben, aber die operative Umsetzung muss bei der Bahn bleiben. Und diese Klärung hat in Deutschland gerade begonnen.»
Weiss man denn, was man will? – Landwehr: «Also im Moment habe ich den Eindruck, dass Bahn und Bund oder Bahn und das Verkehrsministerium sich die Bälle zuspielen. Die Strategie des Bundes ist nicht so ganz klar.» – Füglistaler relativiert: «So negativ sehe ich es nicht. Es wurde jetzt der erste Schritt gemacht mit der der DB-InfraGO (die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft der Deutschen Bahn AG). (…) Das ist der erste Schritt in diesem Tansformationsprozess. (…) Beim Ministerium ist das angekommen, aber das reicht ja noch nicht. Es muss bei der Regierung ankommen, beim Parlament und am Schluss beim Volk.»
Kann das Ziel der Verlagerung des Gütertransports von der Strasse auf die Schiene erreicht werden? – Füglistaler: «Ja selbstverständlich, aber es geht nicht schnell.» Die Alpeninitiative hat 1994 in der schweizerischen Verfassung festgelegt, dass die transalpinen Fahrten auf die Schiene verlagert werden müssen. «Man hat sieben Jahre gebraucht, um den Anstieg zu stoppen (…), aber es dauert Jahrzehnte (…). Wir sind seit 30 Jahren dran (…) Bei den vorgeschriebenen Fahrten ist man heute noch nicht ganz da bei 650‘000, man ist noch bei 900‘000, man war mal bei 1,4 Mio. Ohne diese Initative hätten wir Zustände wie in Oesterreich: 2,5 Mio Fahrten.»
Ist der Plan realistisch, 40 Hochleistungskorridore bei Vollsperrung zu sanieren? – Landwehr: «Ich glaube, dass das funktioniert (…) Das ist der einzige Weg.» – Bis jetzt wurde aber nur einer von 40 realisiert, wie lange dauert das? – Füglistaler: «40 Jahre, aber das ist auch die übliche Nutzungsdauer bei einer Bahninfrastruktur, man lebt in ganz anderen Zeiträumen als die übrige Wirtschaft. Wenn eine Bahnstrecke saniert wird, dann macht man das auf 25 bis 40 Jahre.» – Also retten wir die Bahn für unsere Grosskinder? – Füglistaler: «Nein, für die Kinder.»
Kann eine Finanzierungstruktur mit heute 180 Finanzierungsquellen der Bahn reformiert werden? – Landwehr: «Die Schweiz ist ja das Vorbild. Die Schweiz hat ja einen grossen Finanzuierungsfonds für die Schiene. Alle kucken auf die Schweiz, wie habt ihr das gemacht? So wollen wir das auch machen.»
Geht’s wieder aufwärts oder kann nur der Niedergang gestoppt werden? Landwehr: «Ich bin eher pragmatisch und optimistisch. (…) Der Zeitrahmen so mit 20 Jahren ist schon realistisch.» – Füglistaler: «Man hat die Talsohle erreicht.» Früher seien die Probleme nur negiert worden. «Es war immer alles wunderbar, nur kam nie etwas. Und das hat sich fundamental geändert. (…) Es wurde erkannt, dass die Qualität der Deutschen Bahn schlecht ist, grottenschlecht. (…) Das ist neu in der deutschen Politik, dass man für die Bahn eine Lösung braucht. Und das lässt mich optimistisch in die Zukunft schauen.»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.