Nicolas Sarkozy malte Schreckgespenster an die Wand und stellte sich vor seine ursprüngliche Klientel : die Reichsten der Reichen. Gleichzeitig kam er mit dem Volk in engen Kontakt.
Spitzengehälter um ein Drittel angestiegen
Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vor gut drei Jahren war Frankreichs Präsident nicht müde geworden, die Morallosigkeit der Finanzwelt anzuprangern, die Steuerparadiese zu schelten, bevor er sie als ausgemerzt bezeichnete. Er wetterte gegen die Boni und die schwindelerregenden Gehälter der Wirtschaftsbosse - den drohende Zeigefinger stets ausgestreckt, so tuend, als genüge ein präsidiales Fingerschnalzen und das Problem sei gelöst.
Von wegen! Krise hin oder her: die französischen Grosskonzerne schreiben nach wie vor Milliardengewinne, die Gehälter ihrer Aufsichtsratsvorsitzenden bewegen sich zwischen 3 und 10 Millionen Euro und sind 2011 um sage und schreibe 34 Prozent gestiegen!
Erinnerungen an Sarkozys Siegesfeier
Wirklich abgenommen hat man Nicolas Sarkozy seine inszenierte Empörung über das grosse Geld und die Gaunereien der Finanzwelt ohnehin nie so richtig. Er konnte noch so laut posaunen und die Franzosen konnten ein noch so kurzes Gedächtnis haben - seine Ursünde hat niemand vergessen : die Feier seines Wahlsiegs 2007 im glitzernd-teueren , nicht mal übermässig guten Restaurant "Le Fouquet's" auf den Pariser Champs- Elysees. Die Restaurantwahl war schon nicht die Beste , schlimmer aber noch die Gästeliste. Auf der standen ganz überwiegend die Namen der Konzernchefs und Finanzgiganten, der Milliarden schweren Bosse des französischen Börsenindex'. Ein Symbol, das Nicolas Sarkozy 5 Jahre später immer noch wie ein Klotz am Fuss hängt.
Noch einmal würde er das nicht machen - stammelte der wahlkämpfende Präsident dieser Tage vor den Fernsehkameras. Er sah dabei aus, wie ein kleiner Bub, den man dazu gezwungen hat, sich für etwas zu entschuldigen , der aber nicht weiss, was er falsch gemacht hat. Im Grunde scheint Nicolas Sarkozy tatsächlich immer noch nicht verstanden zu haben, was an diesem Festmahl mit auserlesenen Gästen vor 5 Jahren und dem anschliessenden Turn auf der Luxusyacht des Grossindustriellen Bolloré so schockierend war.
Dieser hauchdünnen Schicht von Superreichen galt damals, gleich im Sommer 2007, auch eine von Sarkozys ersten Amtshandlungen. Als wäre grösste Eile geboten, kamen sie noch im August in den Genuss des so genannten Steuerschutzschildes – das darin besteht, dass keiner insgesamt mehr als 50 Prozent Steuern auf seine Einkommen zu zahlen hat . Konkret führte das dazu, dass der französische Staat zum Beispiel der l’Oreal-Erbin Bettencourt einen Scheck von fast 300 Millionen Euros für zu viel bezahlte Steuern ausstellen musste.
Der Coup des Francois Hollande
Und in diesem Moment kommt jetzt im Wahlkampf Sarkozys Herausforderer Hollande - entgegen früherer Äusserungen zu diesem Thema und selbst für das eigene Lager überraschend - mit dem Vorschlag, den Teil von Einkünften , der über einer Million Euro jährlich liegt, mit einem Spitzensteuersatz von 75 Prozent zu belegen.
Ganz offen stellte er von vorneherein klar, dass diese Massnahme nicht wirklich das grosse Geld in die Staatskassen bringen würde, sondern dass dies angesichts der Tatsache, dass in Frankreich Woche für Woche mehr Menschen unter den Auswirkungen der Krise leiden, vor allem ein symbolischer Akt gegen den wildgewordenen Neoliberalismus sei, der mit Patriotismus und Solidarität zu tun habe. Und man erinnerte daran, dass eine ähnliche Regelung in den USA seit der Nachkriegszeit und bis zum Amtsantritt Ronald Reagans, dem Ideol der wirtschaftsliberalen Lobby, fast vier Jahrzehnte lang existiert hatte und ganz offensichtlich die grösste Wirtschaftsmacht der Welt durchaus nicht in die Knie gezwungen hatte.
Gutbetuchte auf der Flucht?
Für Sarkozy kam Hollandes Vorschlag , der auch gleich von über 60 Prozent der Bevölkerung gut geheissen wurde, denkbar ungelegen. Sarkozy , der den Beginn seines Wahlkampfs unter das Motto gestellt hatte: durch das Volk, mit dem Volk, für das Volk, konnte plötzlich nicht anders, als sich als der zu bekennen, der er ist und war : der Freund der Reichen. Wenn man so will, waren die Dinge wieder im Lot, der Präsident wieder dort angekommen, wo er begonnen hatte.
Unüberlegt, dilletantisch und amateurhaft nannte Nicolas Sarkozy den Vorschlag des sozialistischen Kandidaten und malte lautstark das Gespenst der Flucht jener an die Wand, die Arbeitsplätze und Reichtum schaffen .
In der Tat haben einige unter Frankreichs Vermögenden bereits begonnen, ihren Steuerranzen zu schnüren. Wirtschaftsanwälte und Vermögensberater in London, Brüssel und Genf arbeiten schon seit Wochen auf Hochtouren. Sarkozys saubere Freunde mit den dicken Brieftaschen laufen ihnen die Türen ein - so als würde in Frankreich wieder der Bolschewismus drohen und wäre François Hollande der Kinder fressende Sozialist mit dem Messer zwischen den Zähnen.
Fussball ist unser Leben
Und Nicolas Sarkozy kennt diese vor dem Fiskus fliehenden Menschen nur zu gut, weiss, was sie bewegt und wie sie denken. Schliesslich soll er als Wirtschaftsanwalt in den 90-er Jahren den einen oder anderen , z.B. den Tennisstar Henri Leconte , dabei beraten haben, sein Geld in die Schweiz zu schaffen.
Schneller noch und lauter als Präsident Sarkozy - und das will bekanntlich etwas heissen - empörte sich die Welt des französischen Fussballs über den Vorschlag Hollandes. Da ging ein regelrechtes Aufheulen durch die Reihen von Frankreichs hoch bezahlten Kickern, selbstsicheren Vereinsbossen, angestaubten Verbandsfunktionären und dubiosen Managern und Spielervermittlern. Frankreichs Fussball werde in die 2. Liga absteigen, die Profivereine würden das nicht überleben, es sei das Ende des französischen Spitzensports schlechthin , dröhnte es von allen Seiten.
Die Stimme eines Besonnen
Dabei brachten die meisten Ballzauberer , wie üblich , auch bei dieser Gelegenheit kaum ein vernünftiges Wort über die Lippen, schauten mit hohlem Blick und den Stöpseln im Ohr nur verständnislos - Patriotismus, Solidarität in Krisenzeiten, was geht mich das an, wovon redet dieser Herr Hollande , dieser Holländer da eigentlich , ja wer ist er ? Ein Franck Ribery verdient im Monat 883000 Euro – na und ? Wagt es etwa wirklich ein Politiker der Republik, sich mit König Fussball anzulegen?
Man musste in dieser Woche schon die Sportart wechseln, um auch andere Töne zu hören . Frankreichs Handball - Nationaltrainer Claude Onesta , der mit seinen Spielern im letzten Jahrzehnt bei Welt- und Europameisterschaften deutlich mehr internationale Trophäen eingeheimst hat, als die 11 blauen Balltreter der Equipe Tricolore, mahnte am Wochenende , man solle ein wenig überlegen, bevor man so laut schreie, schliesslich lebe man als Sportler nicht ausserhalb der Gesellschaft und diese Gehälter mit den vielen Nullen am Ende seien durchaus schockierend.
Hebdomana Horribilis
Für den Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy war die letzte Woche jedenfalls eine schreckliche, vielleicht sogar schon vorentscheidend im Kampf um das höchste Amt im Staat. Seine Umgebung, die herumschwänzelnden Berater, die zynischen Strategen und Kommunikationsexperten ziehen lange Gesichter , sind konsterniert und hoffen nur noch auf ein Wunder. Nichts läuft, wie geplant. In diesen Tagen, da war man sich sicher, müsse der Einstieg Nicolas Sarkozys in den Wahlkampf sich nun aber auch endlich in den Meinungsumfragen niederschlagen und zwar positiv.
Der amtierende Präsident, so seine Strategen, hätte dieser Tage in den Prognosen für den ersten Wahlgang am 22.April an seinem Herausforderer , Francois Hollande , vorbeiziehen müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall: der sozialistische Kandidat liegt weiter mit 29 Prozent in Front, Sarkozy hat immer noch drei bis vier Punkte Rückstand. Seine Gefolgsleute scheinen nach dieser Woche unter Schock zu stehen und man kann sie verstehen. Denn seit 1969 , da der Präsident im April und Mai gewählt wird , war bei allen Wahlen eines zu beobachten : Ende Februar, Anfang März sind die groben Tendenzen , was die Gunst der Wähler für die einzelnen Kandidaten angeht, weitgehend verfestigt . In den Wochen danach ändert sich in den Meinungsumfragen nichts Grundlegendes mehr.
Wir schreiben jetzt Anfang März. Die Prognosen für die Stichwahl am 6. Mai sehen Francois Hollande, wie schon seit Wochen, bei 56/57 Prozent , Nicolas Sarkozy bei 43 bis 44 Prozent.
Spiessrutenlauf in Bayonne
Und dann waren da in der letzten Woche zu allem Überfluss auch noch die Basken, die Nicolas Sarkozy zu schaffen machten. Wahlkampfbesuch in Bayonne. Man war gewarnt. Der konservative Bürgermeister der Stadt im Südwesten Frankreichs hatte Sarkozys Wahlkampfmanagern angedeutet, es könnte heiss werden. Und es wurde heiss. Der noch amtierende Präsident bekam es hautnah mit Gegnern zu tun .
Fast 5 Jahre lang hatte Nicolas Sarkozy derartiges nicht mehr erleben müssen - Hunderte von Polizisten hatten bei jedem Präsidentenbesuch in der schönen französischen Provinz das Volk von ihm fern gehalten. Nur ein paar dutzend Auserwählte aus dem konservativen Parteivolk durften für die Fernsehbilder in die Nähe des republikanischen Monarchen, um zu klatschen und dessen Hand zu schütteln.
Doch in Bayonne kam nicht der Präsident , sondern der Kandidat und Wahlkämpfer und sein Spaziergang im Pulk von Kameras und Photographen durch die engen Gassen der Altstadt wurde zu einem wahren Spiessrutenlauf , vorbei an mehreren hundert Gegenern und Unzufriedenen aller Art. Baskische Separatisten, Autonome, Gymnasiasten , einfache Schaulustige und ein paar Anhänger der sozialistischen Partei hatten sich versammelt.
Flucht ins Café
Eine halbe Stunde lang erntete Nicolas Sarkozy gellende Pfiffe und Buhrufe , Papierkugeln und Flugblätter wurden aus den Fenstern geworfen , Sicherheitskräfte marschierten auf und einer von Sarkozys Leibwächtern spannte einen mehrere Tausend Euro teuren Spezialregenschirm auf, um das Haupt des Präsidenten zu schützen, dem die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Am Ende floh er in ein Cafe , improvisierte dort eine Pressekonferenz und verlangte von seinem sozialistischen Herausforderer forsch, er müsse diese Ausschreitungen umgehend verurteilen.
Dann fügte er noch hinzu : François Hollande habe unter Richtern, Beamten und Diplomaten, die mit ihm nicht einer Meinung seien, für den Fall seines Wahlsiegs eine grosse Säuberung angekündigt , dies habe bei den Menschen an der Basis dann eben auch solche Auswirkungen, wie die Vorfälle der letzten Stunde.
Sarkozy hatte für Säuberung das französische Wort „ Epuration“ gebraucht. Ein Wort, das in Frankreich historisch ganz eindeutig besetzt ist und vor allem eines evoziert: die Peinigungen und Hinrichtungen tausender französischer Kollaborateure, oft ohne jeden Prozess, nach dem Ende der deutschen Besatzung 1944/45.
Eine derartige Empörung empörte in Frankreich nicht nur die Sozialisten. Deren Präsidentschaftskandidatin vor 5 Jahren, Segolène Royal, die in der Vergangenheit nicht immer nur Schlauheiten von sich gegeben hat, dürfte diesmal richtig liegen mit ihrer Äusserung , Nicolas Sarkozy habe bei den Vorfällen in Bayonne letztlich nur geerntet, was er 10 Jahre lang als Inneminister und dann als Präsident gesät hat . Seine permanente verbale Gewalt gegenüber Minderheiten und einzelnen Gruppen der französischen Gesellschaft, gegen Andersdenkende , bestimmte Berufsgattungen, gegen die Jugend, die Armen oder Ausländer könne irgendwann eben auch derartige Reaktionen zur Folge haben, wie jetzt in Bayonne.
Schüsse nach hinten
Es war eine Woche , in der so ziemlich alles, was Nicolas Sarkozy in die Wahlkampfarena warf, nach hinten los ging. Fast täglich wurde eine seiner Äusserungen, vor allem von der Internetgemeinde , mehr als von der Presse, innerhalb kürzester Zeit als faustdicke Lüge enttarnt . Nur ein Beispiel : in einem Interview, in dem es um die Probleme des französischen Schulwesens und den Stellenabbau bei Lehrern in den letzten Jahren ging, griff der Kandidat Sarkozy in die Vollen: in den letzten 10 Jahren sei die Zahl der Schüler in Frankreichs Schulen um 400 000 zurückgegangen, die der Lehrer aber um 40 000 gestiegen.
De facto gibt es rund 120 000 Schüler weniger und die Lehrerzahl ist in diesem Zeitraum um 10 000 gestiegen . Selbst Angela Merkels merkwürdige Wahlkampfhilfe für den Kandidaten Sarkozy dürfte sich in einen Schuss verwandeln, der nach hinten los geht. Eine - laut Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ - Absprache mit den italienischen und spanischen Premierministern, der sich auch der britische Premier angeschlossen haben soll , den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Hollande, entgegen bisheriger Usanzen, vor der Wahl in den jeweiligen Hauptstädten nicht zu empfangen – dies riecht nach Boykott und Verschwörung , angezettelt von einer Deutschen.
Wo sind die neuen Ideen?
Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass der französische Wähler an einem derart engstirnigen Verhalten Gefallen findet , ja geneigt ist, sich derartige Bevormundungen und Einmischungen gefallen zu lassen. Nicolas Sarkozy wirkt dieser Tage wie einer, dem das Wasser bis zum Hals steht. Seine Vorschläge bei Wahlkampfauftritten schmecken aufgekocht . Neue Ideen hatte er versprochen, eine Idee pro Tag - doch es sind überwiegend die Ideen, mit denen Nicolas Sarkozy schon im Wahlkampf 2007 gewuchert hatte . Da fragen sich dann natürlich viele im Land : was hat dieser Kandidat in den letzten 5 Jahren, als er Präsident war, eigentlich gemacht?
Es war , alles in allem, eine "hebdomana horribilis" . So hätte es die Monarchin gesagt, in deren Glanz sich Präsident Sarkozy zu Beginn seiner Amtszeit mit der damals frisch angetrauten Carla bei einem Staatsbesuch jenseits des Ärmelkanals gesonnt hatte. Es war eine Visite mit grossem Pomp, angeblich gut fürs Image, von der am Ende hauptsächlich eines in Erinnerung blieb: der Hofknicks der Bruni war perfekt.