Patrick Rohner (*1959) lebt in Rüti, weit hinten in Glarnerland. Die Geologie dieses Gebirgstales ist seit dreissig Jahren sein Thema. Eine grosse Publikation zeigt, wie er das anstellt.
Vor über dreissig Jahren, im Jahr 1990, liess sich der Künstler Patrick Rohner in Rüti nieder, beinahe zuhinterst im Kanton Glarus. Er wuchs in der Innerschweiz auf, studierte an der Düsseldorfer Akademie und wurde Meisterschüler des Niederländers Jan Dibbets.
Ein grösserer Bruch lässt sich kaum vorstellen: Dort die quirlige Kunststadt am Rhein und der Professor aus dem radikalen Flachland, der sich mit der Ausmessung tiefster Horizonte und der Wahrnehmung einer ins Nichts sich ausweitenden Welt befasst. Hier die schrundige enge Bergwelt, das tief eingeschnittene Tal, nackte Felswände, tosende Bäche, Runsen, Erdrutsche, weisse Föhnwolken, die über den tiefblauen Himmel ziehen, prasselnder Regen, Gewitter mit Donner und Blitz, Schnee meterhoch.
Die Inbrunst des Amateurs
In Patrick Rohner steckt immer noch einiges von Jan Dibbets, der seine Welt mit Land- und Konzept-Art vermass. Und doch führte der dreissigjährige Weg den Künstler in eine andere Welt, der er sich bis heute mit unverwechselbaren Methoden annähert und in der er sich mit Hilfe eines breiten Spektrums von medialen Möglichkeiten wie Malerei, Wasserarbeiten, Zeichnung, Fotografie, Begehungen und in Archiven abgelegten Dokumentationen verortet.
Dazu kommt, und das führt weit weg vom früheren niederländischen Lehrer, Rohners wissenschaftliches Interesse an Geologie. Da ist er Autodidakt und Amateur: Er hat sich sein Wissen über persönliche Kontakte zu Wissenschaftern, über Lektüre und über langjähriges Befragen dessen, was er in seiner Welt erfuhr, erworben. Und er baut dieses sein Wissen mit Hartnäckigkeit und geradezu mit Inbrunst weiter aus, wie das eben nur ein Amateur tun kann, der genau wissen will, wie es um seinen Lebensraum bestellt ist und, vor allem, welchen Gefährdungen dieser Lebensraum ausgesetzt ist.
Dass diese seine künstlerische Beschäftigung mit der Natur in ihrem Urzustand, wie er im hintersten Glarnerland zu erahnen ist, heute im Trend liegt, stellte sich Patrick Rohner vor dreissig Jahren kaum vor. Das ergab sich absichtslos aus seiner künstlerischen Haltung, die ihm Kompromisse zu verbieten scheint.
Der Blick aufs Ganze
Kürzlich erschien unter dem Titel «Massenbewegungen» eine umfassend illustrierte Publikation über die Arbeiten Patrick Rohners. 14 Autorinnen und Autoren – Kunstfachleute, Geologen, Architektinnen, Kuratoren – beleuchten dieses Werk aus verschiedenen Blickwinkeln. Das Buch dokumentiert alle Ebenen und Schritte von Patrick Rohners Arbeit und all das, was ihn als in vielen Medien versierten Künstler, aber auch als Amateur-Geologen beschäftigt. Im Vordergrund steht dabei das, was seine Disziplinen verbindet – jene des gestaltenden Künstlers und jene des naturwissenschaftliche Belange befragenden Denkers.
Es ist eine Gesamtschau, die auch Gesellschaftspolitisches einschliesst, wie Rohner es in einem bei früherer Gelegenheit geführten Gespräch ausführte: «Ich bin ein Künstler, der Zugang zu allen wissenschaftlichen Untersuchungen braucht, um ein umfassendes gegenwärtiges Denken zu entwickeln und um damit politische und gesellschaftlich relevante Aussagen zu machen. Die Kunst und damit der Künstler hat für mich genau diese Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. (…) Aus meiner Sicht muss es dem Künstler darum gehen, das immerwährende Hinterfragen der Wirklichkeit und das Wechselspiel zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen sichtbar zu machen. Diese Entwicklung zu einem differenzierten Denken soll beim Betrachter Wahrnehmungsveränderungen und Eigenverantwortlichkeit provozieren.»
Arbeit als Prozess
Patrick Rohners Arbeit zielt nicht primär auf feststehende Endergebnisse. Seine Arbeit präsentiert sich als eine stete Entwicklung, die – analog zur Natur – nicht aufzuhalten ist, sondern über verschiedene Stufen unaufhaltsam weiterführt. Das gilt sowohl für sein ganzes Schaffen als auch für das einzelne Werk.
Die grossen schweren Ölmalereien (zum Teil messen sie 180 auf 300 cm) mit ihren dicken Farbschichten, die Patrick Rohner auf- und wieder abträgt und wiederum neu auf den Malgrund setzt, erwecken den Eindruck, als handle es sich um während Jahrhunderten entstandene Moorlandschaften. Tatsächlich entstehen sie teils über Jahre hinweg in einem natürlich anmutenden Prozess.
Ähnliches gilt von seinen Wasserarbeiten. Der Künstler bildet aus dickem Papier grosse flache Wannen, in die er mit verschiedenen Pigmenten und anderen Materialien angereichertes Wasser giesst. Der Trocknungsvorgang kann Monate andauern. Der Künstler wiederholt den Prozess mehrfach. Er überwacht ihn, ohne ihn aber im Detail kontrollieren zu können und ohne einzugreifen: Er lässt geschehen, was geschehen will, analog zur Natur, zum Beispiel zu einem mäandrierenden Fluss mit seinen Ablagerungen oder zu einem Rinnsal im Moor.
In den Ölmalereien und Wasserarbeiten zeigt Patrick Rohner Landschaft, ohne ein Landschaftsmaler zu sein. Er zeigt kein Abbild, sondern lässt zum Bild werden, was Landschaft ausmacht. Er nähert sich auch zeichnend den Felsformationen an und hält in langen Reihen von Fotografien Landschaftsstrukturen und Landschaftsveränderungen fest. Zu seinem Konzept fügt sich auch, dass er Landschaft sinnlich erfahren und auch für andere erfahrbar machen will – in Begehungen, die ihn durchs ganze Glarnerland, aber auch bis nach Island und bis auf die Hebriden führten, und in einzelnen auch für Publikum offenen Projekten in der Bergwelt.
Die Natur als Künstlerin
In den «Steinzeichnungen» lässt Patrick Rohner die Natur zur Künstlerin werden. Er legt Steinbrocken auf weisses Büttenpapier und setzt sie während Wochen oder Monaten in freier Bergwelt der Witterung aus. Je nach Sonneneinstrahlung und je nach Beschaffenheit der Steine und ihrer mineralogischen Zusammensetzung entsteht ein Bild, eine «Zeichnung». Der Prozess macht Spuren des Steins sichtbar, die ein rasches Hinsehen niemals entdecken würde, die uns aber, wegen der langen Dauer des Vorganges, Geheimnisse der Natur erahnen lassen.
Patrick Rohner verlässt hier den Bereich traditioneller Bild-Ästhetik, wird aber trotzdem nicht zum rational argumentierenden Naturwissenschafter. Dem Künstler – als Künstler sieht er sich in erster Linie und nicht als Wissenschafter – öffnet sich in der poetischen Verbindung beider Bereiche ein Weg zur Gesamtschau der Natur, in der er lebt. Sein Blick geht dabei über das Glarnerland hinaus und zielt ab auf ein vertieftes Naturbewusstsein – grundsätzliche politische Forderungen inklusive.
Patrick Rohner – Massenbewegungen. Texte von Konrad Bitterli (Direktor Kunst Museum Winterthur), Kaja Blomberg (Direktorin Haus am Waldsee, Berlin), Annette Gigon (Architektin), Helmut J. Weissert (Geologe), Johannes M. Hedinger Kunstwissenschafter) und anderen. Herausgeber: ILEA Institute for Land and Environmental Art Johannes M. Hedinger. 342 Seiten, illustriert. Vexer Verlag St. Gallen und Berlin. 42 Franken.
Fotos 1–3: Niklaus Oberholzer; Foto 4: Patrick Rohner