Sogar in der Anrede in Briefen war es getilgt worden. „Sehr geehrter Herr Pappenheimer!“ hiess es früher. Dann wurde das Ausrufezeichen durch ein Komma ersetzt, dann verschwand auch das Komma.
Jetzt, in Comics, auf Facebook und Twitter, in SMS und E-Mails werden wir mit Ausrufezeichen überschüttet.
Laut Duden „verleiht das Ausrufezeichen dem Vorangegangenen einen besonderen Nachdruck“. Oft genügt ein einziger "besonderer Nachdruck" nicht mehr: man setzt mehrere Ausrufezeichen. Das ist doch toll!!!
„Nicht neben die Schüssel pinkeln!!!!!“, las ich auf der Toilette eines Hamburger Restaurants. Fünf Ausrufezeichen. Da erschrickt jeder und verhält sich artig.
Natürlich werden die Kultur-Pessimisten sagen, wir können uns sprachlich nicht mehr ausdrücken. Wir können nicht mehr mit Worten die Wichtigkeit eines Satzes hervorheben. Deshalb brauchen wir das Ausrufezeichen.
Lassen wir die Kultur-Pessimisten. Wir lieben das Ausrufezeichen. Es soll nicht nur Nachdruck verschaffen, es hat auch die Bedeutung von "Wowww, da ist was Besonderes". "Wowww" mit drei "w" natürlich.
Diese Bedeutung hatte es schon vor über 150 Jahren. Damals lebte Victor Hugo im Exil auf der Kanalinsel Guernsey. Dort schrieb er sein Werk "Les Misérables" und schickte es seinen Verlegern Hurst und Blackett.
Später wollte er wissen, wie sich das Buch verkauft. Er schrieb den Verlegern einen Brief mit einem einzigen Satzzeichen: "?". Die Antwort liess nicht auf sich warten: "!". Ein einziges Ausrufezeichen. Will heissen: Wowww, das Buch verkauft sich gut. Das war der wohl kürzeste Briefwechsel in der Weltgeschichte.
Wir setzen heute nicht nur mehrere Ausrufezeichen hinter einen Satz. Auch Fragezeichen stehen in den sozialen Medien selten allein. "Kommst Du heute Abend zur mir???
Und natürlich gibt es die Kombination von beiden Zeichen. „Ist das nun wirklich der Weisheit letzter Schluss?!?!?!“
Ausrufezeichen und Fragezeichen waren ja eigentlich - im weitesten Sinn - die ersten Ikonen unserer Sprache. Und Ikonen sind heute auf dem Vormarsch. Nicht nur die schon etwas betagten Smileys. Der Kreativität und Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Smileys, die Bier tinken, Esel, Kühe, Schafe, Schildkröten, Sonnenblumen, Rosen, Glückskäferchen, Victory-Zeichen. Und so weiter. Die Ikonen-Sprache, der "Ikonismus", verbreitet sich. Sie hat den Vorteil, dass sie in fast allen Sprachen das Gleiche bedeutet. Das "Zeit Magazin" druckte letzte Woche ein Beispiel:
Vielleicht kommt die Zeit, in der wir die Sprache nicht mehr brauchen, sondern nur noch via Ikonen miteinander verkehren. Schon meldet die Frankfurter Allgemeine am letzten Sonntag: "Nur noch Analphabeten. Abschied von der Schrift. Das Ende der Schriftkultur hat längst begonnen".
Wirklich?