François Heissbourg, einer der grossen Sicherheitsspezialisten Frankreichs, hat gerade ein böses Buch geschrieben: „Wie man den Krieg gegen den Terrorismus verliert", so der Titel. Der Präsident des „Internationalen Instituts für strategische Studien“ in London und des „Zentrums für Sicherheitspolitik“ in Genf hat in diesem Opus Staatspräsident Hollande und seinem Premierminister ihre Kriegsrhetorik seit den Terroranschlägen von Paris um die Ohren gehauen. In seiner Argumentation findet sich unter anderem auch der schlichte Satz: "Im Krieg trägt man keine Fussballeuropameisterschaft aus.“ Dagegen lässt sich eigentlich wenig sagen.
23 Balltreter
Doch die EURO 2016 findet natürlich statt. Einer der Hauptsponsoren verunstaltet in Paris gerade schon mit giftgrünen, durchsichtigen Folien die Fenster von Tabakgeschäften und Bars, wo man auf Pferde wetten und andere Glücksspiele betreiben kann. "Diese Bar ist Fan der Blauen", steht darauf. Die Blauen sind in dem Fall nicht die Polizei, sondern die 23 Balltreter der Equipe Tricolore.
Frankreich hat zwar den quasi permanenten Ausnahmezustand über das Land verhängt. Alle drei Tage spricht ein Minister von der terroristischen Bedrohung, die noch nie so hoch gewesen sei wie jetzt, und gleichzeitig sagen mehrere seiner Kollegen: „Wir lassen uns die EM und das Fussballfest nicht verderben.“ - Anders gesagt: "The games must go on."
Überstunden, Überstunden
Gleichzeitig spricht man aber einen Monat vor Beginn der EM in Frankreich und ausserhalb zehn mal mehr über die Sicherheitsmassnahmen, als über das Fest.
Es gibt sogar teilnehmende Nationalmannschaften und die dazu gehörenden Damen und Herren der Sportpresse, die eine Art Sicherheitspraktikum bei den Antiterrror-Spezialeinheiten ihres jeweiligen Landes absolvieren mussten. Willkommen zum Fest!
Für die Sicherheitskräfte des Gastgeberlandes, ob Polizei oder Armee, die spätestens seit den Terroranschlägen im letzten November endgültig auf dem Zahnfleisch gehen, völlig überlastet sind und Millionen Überstunden angehäuft haben, gilt während des EM–Monats selbstverständlich absolutes Urlaubsverbot . Die Stimmung der Ordnungshüter wird grossartig sein beim Fest!
Das Fest wird lustig.
Bei allen Aufrufen, sich eben dieses Fussballfest nicht verderben zu lassen, steht jedoch immer noch der Satz des französischen Innenministers im Raum, man könne sich bei besonderer Gefährdungslage während dieser EM durchaus auch ein Spiel ohne Zuschauer im Stadion vorstellen.
Letzteren würden dann eventuell noch die Fanzonen in den jeweiligen Städten bleiben, womit wir beim Thema wären:
Der Ort, von dem aus wohl die meisten Bilder um den Erdball gehen werden, obwohl dort der Eifelturm im Weg steht, ist gerade offiziell präsentiert worden, und man sagt sich: Das Fest wird lustig.
Fürsorgliche Überwachung
13 Hektar gross ist diese Fanzone auf dem Marsfeld vor dem bombastischen Gebäude der École Militaire aus dem 18. Jahrhundert - vollständig von Absperrgittern umzäunt.
Über 90´000 Menschen sollen hineinpassen und angeblich jeweils durch einen der lediglich 6 Eingänge hinein kommen. Dabei wird jeder zweimal kontrolliert und abgetastet, eventuell von Hunden beschnuppert, von Drohnen überflogen, auf jeden Fall von 40 Überwachungskameras gefilmt - von aussen wird der so umsorgte Fan dann von Polizisten und Gendarmen überwacht.
Im Inneren der Zone befinden sich zusätzlich 400 stiernackige, schwarzgekleidete und kurzgeschorene privaten Sicherheitskräfte mit dem scharfen Blick und den Stöpseln im Ohr. 16 Millionen Euro wird der ganze Spass kosten – ein Konzert von DJ David Guetta inklusive, am Vorabend des Eröffnungstags der EM. Die Sportabteilung des Lagardere–Konzerns, der ansonsten als Pressemogul und Waffenfabrikant fungiert, soll das ganze etwas sponsern.
Generalprotest
Paris bekommt aber noch eine andere Fanzone, und die ist auf andere Weise problematisch. Public Viewing auf dem Platz der Republik – dem zur Terrorgedenkstädte verwandelten Platz mit der Marianne im Zentrum, der nun schon seit Wochen von der Bewegung der Aufständischen oder Aufrechten der Nacht belagert wird – die permanente, nächtliche Agora mit dem Versuch, in endlosen Diskussionsrunden eine bessere Gesellschaft zu erfinden, ausgelöst durch eine umstrittene Arbeitsmarktreform der sozialistischen Regierung. Sie ist mittlerweile längst zum Generalprotest einer enttäuschten Jugend gegen Präsident Hollande mutiert.
Die Anhänger der Bewegung " Nuit Debout "sind aber eher keine grossen Fussballfreunde und dürften wenig Lust auf Public Viewing haben.
Was will der Platz?
Für Präsident Hollande und seine Regierung - in schwerer Bedrängnis - sowie für das Pariser Rathaus, ist die Einrichtung der Fanzone jedoch eine willkommene Gelegenheit, der allnächtlichen Belagerung des Platzes ein Ende zu bereiten. Feiernde und diskutierende, eher junge aufständische Menschen, die von der Regierung bislang mit Sorge und wie die Milch auf dem Feuer überwacht wurden, sollen nun von gröhlenden Fussballfans ersetzt werden. Das ist ein Wechsel, der Anfang Juni nicht ganz ohne Kratzer über die Bühne gehen wird.
Wenn nicht alles täuscht, dürfte es schwer werden, diesen mittlerweile von der jüngsten Geschichte in Beschlag genommenen Platz in unmittelbarer Nähe zu den Attentatsorten in eine abgesperrte Fanmeile zu verwandeln, wo über 22 Männer in kurzen Hosen und Kickerstiefeln gejubelt und geschimpft werden darf. Es ist, als sei der Platz der Republik noch nicht bereit, einfach wieder zum Alltag zurückzukehren.