Wenn das, was man dringend benötigt, die eigenen Mittel übersteigt, muss man es sich leihen. So ist es im gewöhnlichen Leben. Die FDP macht das auch in der Politik so. Sie ist die einzige Partei, die Stimmen leiht. Der Haken daran: Stimmen werden abgegeben, nicht verliehen. Schliesslich kann sie keine Partei zurückgeben. Wer seine Stimme „verleiht“, muss dabei schon heftig mit den Augen zwinkern.
Doch kommt man nicht umhin, der FDP für diese Erfindung ein Riesenkompliment zu machen. Denn ist es nicht so, dass auch im Alltag der Übergang vom „Leihen“ zum endgültigen „Behalten“ fliessend ist? Wenn man ein Buch, ein Werkzeug oder einen kleineren Geldbetrag endgültig loswerden will, muss man diese Dinge nur „verleihen“. Wer will sich schon lächerlich machen, indem er einen Schraubenzieher oder ein schon etwas angeschmutztes Kochbuch zurückfordert?
Das Verleihen und Leihen ist die Verflüssigung eines Besitzwechsels. Jeder weiss es, keiner spricht es aus, denn dann wäre das Ungefähre, das die ganze Sache so erleichtert, dahin. Man gibt etwas ein bisschen weg – wie einen jungen Hund, den man das erste Mal von der Leine lässt.
Das Ganze hat etwas Spielerisches. Wer ist schon so humorlos und geradezu hartherzig, der FDP, die doch für das freie Spiel der Kräfte eintritt, diesen kleinen Spass zu verwehren?
Die Kanzlerin. Sie sagt, keine einzige Stimme sei zu verschenken. Sie durchschaut den faulen Zauber der Verleiherei. Die harten Münzen der Stimmern sollen ihr nicht vom Tisch gehen.
Trotzig hält die FDP dagegen. Während in den Zeitungen noch von „Leihstimmen“ die Rede ist, überklebt sie ihre eigenen Plakate mit „Zweitstimme FDP“. Das wirkt wie eine Freudsche Fehlleistung: Die FDP ist nicht die erste Stimme. Sie spielt die zweite Geige, nicht die erste, aber dafür braucht sie eben: geliehene Zweitstimmen.