Im Mai wird es vier Jahre her sein, dass der tiefe Sturz des Dominique Strauss-Kahn seinen Lauf nahm: In New York, kurz vor dem Start nach Paris, wird der Chef des Internationalen Währungsfonds aus dem Flugzeug heraus verhaftet, in Handschellen ab- und vorgeführt, verbringt düstere Stunden an Seiten von Drogendealern und schwersten Jungs in einem der dunkelsten New Yorker Gefängnisse, ein Verfahren wegen Vergewaltigung wird gegen ihn angestrengt, doch letztlich eingestellt, im späteren Zivilverfahren einigt man sich Ende 2012 auf 1,5 Millionen Dollar Entschädigung für das mutmassliche Opfer im New Yorker Sofitel-Hotel. Dominique Strauss-Kahn weilte da schon längst wieder in Frankreich, seine politische Karriere war zu Ende, für viele seiner ehemaligen Weggefährten war er ein Aussätziger geworden, der Präsidentschaftswahlkampf und die Wahl 2012 hatten ohne ihn stattgefunden.
Schwieriges neues Leben
Seitdem ist der Mann am Boden, am Ende, ja platt gewalzt – für die französische und internationale Gesellschaft der oberen Zehntausend, in der er sich Jahrzehnte lang weltmännisch bewegte, ein schwarzes Schaf, mit dem man sich nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen will und darf. Weit weg von Frankreich versuchte er wieder den einen oder anderen Fuss auf unsicheren Boden zu bekommen - als Berater der Regierungen von Serbien und Südsudan, oder als Aufsichtsratsmitglied in irgendwelchen russischen Banken mit direktem Draht zu Putin und reichlich glücklos sogar als Hedge-Fond-Manager. Bei den Filmfestspielen in Cannes oder beim Tennisturnier von Rolland Garros zeigte er sich im letzten Jahr sogar wieder in der Öffentlichkeit, mit neuer Begleiterin, als wolle er signalisieren: Es gibt mich doch noch, trotz alledem.
Recht oder Moral
Jetzt also muss der Mann, dessen Rückkehr in die französische Politik seit Jahren bereits undenkbar ist, diesen Prozess hinter sich bringen, beim dem von Anfang an der Verdacht besteht, dass es dabei weniger um das Recht, sondern vielmehr um die Moral geht.
Im Grunde geht es bei diesem Verfahren, das es ohne den berühmten Angeklagten Strauss-Kahn wahrscheinlich gar nicht geben würde, schlicht um die Frage: War der ehemalige IWF-Chef nur ein Hurenbock oder zudem sogar noch ein Zuhälter, wie man ihm das vorwirft?
Ersteres darf als gesichert gelten, zweites wird kaum zu beweisen sein und scheint für viele Experten an den Haaren herbeigezogen und der Verlauf der ersten beiden Prozesswochen scheint diesen Experten Recht zu geben.
15 Sex-Partys, die Bekannte Strauss-Kahns zwischen 2008 und 2011 für ihn in Paris, Brüssel und New York organisiert und dafür Callgirls angeheuert hatten, machen aus dem früheren Anwärter auf das französische Präsidentenamt kaum einen Zuhälter. Dabei ist im Grunde auch ziemlich egal, ob Strauss-Kahn wusste oder nicht, dass die Teilnehmerinnen an den Sexparties bezahlte Call Girls waren.
Medienauflauf
Doch trotz dieser Anklage auf wackligen Füssen hat man in Lille die ganz grosse Medienarmada aufgefahren, über 300 Journalisten aus dem In- und Ausland haben sich akkreditieren lassen, arme Reporter der Info-TVs reden rund um die Uhr und erzählen alle möglichen Dinge, die sie nicht wissen oder Dinge, die der Zuschauer ohnehin schon weiss.
Doch der Stoff taugt offensichtlich dazu, dass in den Hirnen von möglichst vielen Sehern möglichst viel Platz bleibt, um für die Werbespots zwischen den Einstiegen der Gerichtsreporter empfänglich zu bleiben - wie dies der ehemalige Chef des grossen Privatsenders TF 1 einmal formuliert hatte.
Nachsicht der Franzosen
Dabei sind Strauss-Kahns Sexualverhalten und sein unersättlicher Appetit auf Sex nun schon seit Jahren allseits bekannt und breit getreten worden. Die einen mögen das verwerflich finden, andere staunen, viele zucken mit den Schultern, weil es ihnen im Grunde egal ist.
Meinungsforschungsinstitute, die bemüht wurden, bringen dieser Tage auch keine Klarheit und veröffentlichen eher merkwürdige Ergebnisse: nur 56% der Franzosen sprechen sich angeblich gegen eine Rückkehr Strauss-Kahns in die Politik aus – fast die Hälfte kann sich das also durchaus vorstellen. Beinahe 80% der Befragten meinen angeblich sogar, Strauss-Kahn wäre ein besserer Staatspräsident gewesen, als François Hollande das heute ist und: fast 60% seien tatsächlich der Meinung, es würde ihnen heute wirtschaftlich besser gehen, sässe der Erotomane Strauss-Kahn im Elyséepalast.
Details
Das Publikum in und ausserhalb des Justizpalastes in Lille durfte sich nun also Tage lang suhlen, als die vier Callgirls, die als Nebenklägerinnen auftraten, zu ihren Aussagen vor den Untersuchungsrichtern über den Verlauf der Sex-Parties befragt wurden - wie genau und wie oft und ob brutal oder dominant, ob sie einverstanden waren oder gezwungen wurden zum Verkehr.
Diese Details, die ohnehin schon seit Jahren auf Grund permanenter Verletzung des Untersuchungsgeheimnisses in der Presse herumgegeistert waren, wurden Tage lang noch einmal aufgewärmt und die niedersten Instinkte der Fernsehzuschauer in unzähligen Sendeminuten bedient, mit dieser Mischung aus Sex, Macht und Geld und der Figur eines berühmten Gefallenen, der einst beinahe französischer Staatspräsident geworden wäre.
Heuchelei
Dieser Prozess wegen Zuhälterei hat etwas zutiefst Heuchlerisches. Die urigste Figur unter den 14 Angeklagten hat das schon seit Beginn der Ermittlungen bei jeder Gelgenheit unterstrichen: Dominique Alderweirled, selbstbewusster, stolzer Besitzer von 11 Bordellen entlang der belgisch-französischen Grenze, auf belgischer Seite. In der Halbwelt hat man ihm den Spitznamen «Dodo la Saumure» verpasst – weil Makrerlen in Salzlake (saumure) eingelegt werden und ein «Maquereau» im französischen nicht nur eine Makrele, sondern auch ein Zuhälter ist.
Seit zwei Jahren macht er, der einige Prostituierte zu den Sex-Parties mit Strauss Kahn vermittelt hatte, sich mit wunderbar trockenem Humor bei jeder Gelegenheit lustig über das empörte Getue der Medien und der französischen Ermittler. Wenn Strauss-Kahn ein Zuhälter sei, dann sei er, Dodo La Saumure, der Papst, gab die schillernde Figur zu Protokoll. Und Dodo kennt sich ja wohl aus – im Zuhältergeschäft. Dass er jetzt allerdings gemeinsam mit Strauss-Kahn die Gerichtsbank drücken müsse, sei für sein Image und sein Geschäft alles andere als gut, brummte der Herr mit dem permanent zynischen Lächeln und dem Unterkiefer eines Panzerknackers. Ja, die Präsenz des einstigen Hoffnungsträgers der französichen Sozialisten an seiner Seite sei für ihn gar so etwas wie Rufschädigung.
Sexualpraktiken
Alle Mitangklagten haben Strauss-Kahns Argumentation, wonach er nicht gewusste habe, dass es sich bei den weiblichen Teilnehmerinnen der Parties um bezahlte Prostituierte handelte, bislang untersstützt, die vier Callgirls als Nebenklägerinnen eingeschlossen, die bestätigten, sie hätten mit dem Ex-IWF-Chef nie über Geld gesprochen und niemand wollte der Anklage die entscheidenden Argumente liefern, wonach Strauss-Kahn der eigentliche Organisator der libertären Begegnungen gewesen sei und sich damit als Zuhälter betätigt habe. Das Gericht musste sich in den Tage langen Ausführungen über den Verlauf der Orgien sogar zurecht den Rüffel gefallen lassen, aussergewöhnliche Sexualpraktiken, über die man sich endlos ausbreitete, seien schliesslich nicht Gegenstand des Prozess und seit Jahrzehnten auch juristisch gesehen kein Delikt mehr.
Dieser Prozess wird einen unguten Nachgeschmack hinterlassen auf Grund des Eindrucks, dass man mit aller Gewalt versucht hatte, Dominique Strauss-Kahn eines Vergehens anzuklagen, das vor der Justiz von vorne herein praktisch keine Chance hatte, Bestand zu haben. Die Justiz hat ein Spektakel veranstaltet und die Medien haben sich Hals über Kopf darauf gestürzt und sich gelabt an dem Fall eines einst weltberühmten Mannes, der ohnehin schon fix und fertig ist und kaum noch tiefer stürzen kann, als das bereits der Fall ist. Eine Woche lang darf der Voyeurismus sich im und um den Gerichtssaal in Lille noch ausbreiten, dann wird der zunehmend gebeugter erscheinende Strauss-Kahn wieder in der relativen Anonymität verschwinden - aber wohl kaum als verurteilter Zuhälter.