Frankreich kochte eine Woche lang unter der Juni-Hitze, doch Emmanuel Macron gab den coolen Präsidenten, der in den ersten Wochen seiner Amtszeit so gut wie nichts falsch gemacht hatte und seine Kommunikationsstrategen vor allem über die Auswahl von vorteilhaften Fernsehbildern wachen liess.
Und Macron konnte sich auch durchaus cool geben. Schliesslich hatte der Newcomer in der französischen Politik Skeptiker schon wieder Lügen gestraft, auch die Parlamentswahlen noch gewonnen und eine deutliche Regierungsmehrheit hinter sich gebracht. Nur sechs Wochen früher, nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten, hatte das praktisch niemand für möglich gehalten. Wer hätte schon gewagt, einer Bewegung, die gerade ein Jahr alt ist und sich erst seit kurzem Partei nennt – „La République en Marche“ (LREM) – mit Kandidaten, die in kaum einem Wahlkreis verankert, ja nicht einmal wirklich bekannt waren, eine Mehrheit im Parlament vorherzusagen?
Erneuerung
Doch Macron hat diese Mehrheit bekommen. Sie ist satt, aber nicht ausufernd und erschlagend, wie es die Meinungsforschungsinstitute in den Tagen vor der Wahl noch prophezeit hatten. Macron hat diese Parlamentsmehrheit bekommen, obwohl die Hälfte der Kandidaten seiner Partei für einen Abgeordnetensitz absolute Novizen im politischen Geschäft sind. Oder vielleicht gerade deswegen?
Schliesslich war das grosse Abräumen von Altpolitikern in Frankreich in den Wochen, als das Parlament gewählt wurde, bereits in vollem Gang und der neue Präsident hat letztlich über Monate hinweg von diesem Klima profitiert: Das Auftauchen von Macron und seiner Bewegung „En Marche“ und der Wahlmarathon der vorhergehenden Monate – besonders die Primärwahlen bei den Konservativen und bei den Sozialisten – hatten dafür gesorgt, dass mit Sarkozy und Hollande zwei frühere Präsidenten endgültig von der politischen Bühne verschwunden sind, mit Juppé und Fillon zwei ehemalige Premierminister und ein dritter, Manuel Valls, nach der Parlamentswahl nur knapp überlebt hat, als simpler Abgeordneter. Mit nur 139 Stimmen Vorsprung war Valls in seinem angestammten Wahlkreis in der Pariser Vorstadt Évry gerade noch einer letzten Erniedrigung entgangen. Vor etwas mehr als sechs Monaten war derselbe Mann noch Frankreichs Premierminister gewesen und seit 15 Jahren eine der zentralen Figuren der Sozialistischen Partei. Nun irrte er als vereinsamter Abgeordneter durch die Nationalversammlung, auf der Suche nach einer Fraktion, an die er sich anhängen konnte. Die Sozialistische Partei und das, was von ihr noch übrigbleibt, wollte ihn nicht mehr haben, inzwischen hat Valls sie auch offiziell verlassen.
Grossreinemachen
Das politische Grossreinemachen war seit der Wahl Macrons zum Präsidenten der Republik anschliessend auch im Parlament nicht mehr aufzuhalten. Hauptsache neu und ein wenig anders, schien das Motto zu lauten. Dutzende sozialistische und konservative Abgeordnete, die durchaus keine fürchterlichen Apparatschiks waren (sie hatten bisher eher ordentlich gearbeitet und sich nichts zu Schulden kommen lassen), wurden – ohne dass sie so recht verstanden, wie ihnen geschah – von Macrons Kandidaten an vielen Orten einfach hinweggefegt. Dass unter den Macron-Boys und -Girls durchaus einige waren, die im Wahlkampf grösste Schwierigkeiten hatten, ein ganz normales Interview durchzustehen oder vor einer Kamera drei verständliche Sätze aneinander zu reihen, spielte letztlich in den Augen der Wähler kaum eine Rolle.
Frankreichs Parlament ist runderneuert worden, wie nie in den fast sechs Jahrzehnten seit Gründung der 5. Republik. Drei Viertel der Abgeordneten sind neu im Hohen Haus. Das Durchschnittsalter ist abrupt um fünf Jahre gesunken und fast 40% der Volksvertreter sind Frauen. 2007 waren es gerade 20%. Macrons Schlagwort „Erneuerung“, das er monatelang bis zum Überdruss gebraucht hatte, schlägt sich im altehrwürdigen Palais Bourbon plötzlich in der Realität nieder.
Gegner zertrümmert
Seit den Parlamentswahlen ist endgültig klar: Macron ist es innerhalb von nur einem Jahr gelungen, die beiden traditionellen französischen Volksparteien fertig zu machen.
Die Sozialisten sowieso, die schlicht nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Nach fünf Jahren Präsidentschaft Hollande und einem monatelangen Wahlmarathon, bei dem so ziemlich alles daneben ging, was daneben gehen konnte, liegt die ehemalige Volkspartei PS in Trümmern. Angefangen hatte alles mit den Primärwahlen im Januar, aus denen am Ende ein Präsidentschaftskandidat, Benoît Hamon, hervorging, der bei der Wahl etwas mehr als 6% zustande brachte, jetzt ebenfalls die Sozialistische Partei verlassen und seinerseits – weil das bei Macron so gut ankam – eine „Bewegung“ gegründet hat: „Le Mouvement du 1er juillet“ .
Im Parlament ist die sozialistische Fraktion von bisher 280 auf gerade mal 31 Abgeordnete geschmolzen, mit ein paar unabhängigen Linken und den ewigen Bündnispartnern von den so genannten „Radikalsozialisten“ kommt man mühsam auf 44, ein verschwindendes Häufchen im weiten Rund der Pariser Nationalversammlung.
Rein nummerisch stehen die traditionellen Konservativen und ihre Partei „Les Républicains“ durchaus besser da – rund 130 Abgeordnete haben sie trotz allem noch ins Parlament entsenden können. Doch auch hier kriselt es schwer.
Ein Grossteil der Abgeordneten will strikt auf Oppositionskurs zur Regierung von Édouard Philippe gehen. Ein paar Dutzend aber halten das für Unsinn und haben prompt eine eigene Fraktion ins Leben gerufen, nennen sich die „Konstruktiven“. Es riecht schon nach Kasperltheater im Parlament und nach Spaltung der gesamten Partei im kommenden Herbst. Die harte Rechte, die seit Jahren dem „Front National“ hinterherläuft und der liberale, gemässigte Flügel haben sich nicht mehr viel zu sagen und inzwischen ist keiner mehr da, der sie zusammenhalten könnte.
Währenddessen stellt Macrons Partei „La République en Marche“ rund 2/3 der Abgeordneten im Parlament – die restlichen 220 von 577 Abgeordneten haben sich in sechs Fraktionen aufgespaltet, entsprechend lächerlich wird ihr Gewicht sein – auch eine solche Konstellation hat es in der Pariser Nationalversammlung seit 1958 noch nie gegeben.
Weg frei
Schliesslich hat sich Macron bei der traditionellen Regierungsumbildung nach den Parlamentswahlen auch noch der drei Minister – darunter immerhin die Verteidigungsministerin und der Justizminister – von der Zentrumspartei MoDem entledigt, die unter dem Verdacht stehen, in Scheinbeschäftigungsaffären von Parlamentsassistenten im EU-Parlament verwickelt zu sein. Am Ende steht nun eine Regierung, der kaum ein politisches Schwergewicht angehört und sich hauptsächlich aus weitgehend anerkannten Fachkräften zusammensetzt, die einzig und allein von Macrons Gnaden auf ihren Posten sitzen, unter ihnen ein halbes Dutzend von jungen Staatssekretären, Abgänger der Elitehochschulen für Wirtschaft und Handel, die von Anfang an aktiv bei der Gründung der Bewegung „En Marche“ dabei waren und so etwas wie Macrons Taskforce darstellen.
Der junge Präsident hat definitiv alle Hebel der Macht in der Hand, als politische Gegengewichte bleiben nur noch Regionen, Departements und Gemeinden, wo Macrons junge Partei noch nicht vertreten sein kann und der Verfassungsrat. Selbst im altehrwürdigen Senat, in der 2. Kammer, hat ein Macron-Anhänger, ein ehemaliger Sozialist, bereits dafür gesorgt, dass es eine Fraktion von rund 40 dem Präsidenten treuen Senatoren geben wird.
Machtfülle
Und Frankreichs neuer Präsident schickt sich an, diese Machtfülle auch voll und ganz in Anspruch zu nehmen. Bereits mehrfach hat er deutlich gemacht, dass er als Präsident einen Stil wählt, der eine Art Mischung aus De Gaulle und Mitterrand sein könnte und dass er sich ohne grosse Hemmungen sämtlicher Attribute der republikanischen Monarchie bedienen wird.
Im Lauf der letzten beiden Wochen hagelte es daraufhin in der Presse und bei politischen Gegner immer häufiger Attribute wie Jupiter, Napoleon und zuletzt sogar Pharao ...
Keine zwei Monate im Amt und schon wird Macron sich zwei Mal des Prunks von Versailles für sein eigenes Image bedient haben: erst aussenpolitisch, indem er Russlands Präsident Putin im Königsschloss empfing, jetzt innenpolitisch, indem er diesen Montag den Kongress – die Parlamentarier der Nationalversammlung und des Senats, der zweiten Kammer – einberuft, um die grossen Richtlinien seiner Politik zu verkünden, in Zukunft – so hat er schon angekündigt – wird er das ein Mal pro Jahr machen, eine Art Rede über die Lage der Nation – die USA und vor allem sein Vorbild in mehrfacher Hinsicht, Barack Obama, lassen grüssen. Eine Rede ohne Gegenrede – Macron gibt den Sonnenkönig, so die Kritiker.
Abgeordnete mehrerer Parteien haben angekündigt, den Auftritt des Präsidenten zu boykottieren. Der Hauptvorwurf: der Präsident hält diese Grundsatzrede just am Tag vor der Regierungserklärung seines Premierministers, Macrons Terminwahl sei eine Erniedrigung seines Regierungschefs und eine Geringschätzung der Nationalversammlung.
Ganz nebenbei hat der Präsident dieser Tage noch ein weiteres Element geliefert für den Eindruck seiner gewollten Allmächtigkeit: am 14. Juli, am Nationalfeiertag – zu dessen Militärparade er ausserdem Donald Trump eingeladen hat – wird er nicht, wie seit 40 Jahren üblich, das traditionelle Fernsehinterview geben. Aus der Umgebung Macrons, der sich seit zwei Monaten die Presse konsequent vom Leib hält, verlautete, dieses Format des Fernsehinterviews sei für die Komplexität des Denkens des Präsidenten ungeeignet.
„Il a pris le melon“, sagen die Franzosen in so einem Fall gerne, mit anderen Worten, er ist grossköpfig geworden.