Es will einfach nichts werden. Seit einem Jahrzehnt grosse Worte und Konferenzen, ob unter Präsident Sarkozy oder Hollande. Am Ende: so gut wie nichts. Wenn es um erneuerbare Energien, um moderne Umwelttechnologien und generell um eine echte Energiewende geht, will das chronische Hinterherhinken Frankreichs einfach kein Ende nehmen.
Das grösste Windrad
Nur ein konkretes Beispiel: Während Dänemark 1991 seine erste Windpark-Versuchsanlage auf den Weg gebracht hatte, meldete Frankreich … im März 2012 voller Stolz, dass die Firma Alstom ihr erstes Offshore-Versuchswindrad vor der Küste der Bretagne in Betrieb genommen hatte. Allerdings, und dies hat, mit Verlaub, etwas ziemlich typisch Französisches: Es ist das grösste der Welt.
Der Atomstaat Frankreich hat, was die Windenergie angeht, rund zwanzig Jahre Rückstand, aber wenn er sich dann mal daran macht, lässt er's krachen. Geht es allerdings darum, diese Windparks, die vor den normannischen und bretonischen Küsten in den nächsten Jahren geplant sind, vor Fécamp und Saint Nazaire zum Beispiel, auch wirklich zu installieren, dann muss man sich Partner und Experten in Dänemark und Deutschland suchen – Dong Energy und WPD Offshore heissen sie.
Ähnliches gilt auch für jeden, der sich in Frankreich ein modernes energiesparendes Haus bauen will. Er muss nicht nur die Materialien in Deutschland, Österreich oder Skandinavien zusammenkaufen, sondern sich auch mit der Sorge rumplagen, ob er überhaupt Facharbeiter finden kann, die in der Lage sind, solche Häuser zu bauen.
Staat im Staat
Hier rächt sich langsam, für alle sichtbar und reichlich grausam die Tatsache, dass seit über fünf Jahrzehnten fast 90 Prozent der Forschungsgelder für den Energiesektor nur in die Atomenergie geflossen sind. Eine Energie, die seit Ewigkeiten rund 75 Prozent des französischen Stroms liefert, produziert und gemanagt von einem Wirtschaftszweig, der auch heute noch – trotz leicht zunehmender Transparenz – so etwas wie ein geheimer Staat im Staat ist, mit einer ausserhalb Frankreichs nur schwer vorstellbaren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und letztlich politischen Machtstellung.
Diese französische Atomwirtschaft, auf deren strategisch entscheidenden Posten seit Anfang und bis heute noch fast ausschliesslich Ingenieure der zwei Elitehochschulen X-Mines und Polytechnique sitzen, hat ein ganzes Land darauf getrimmt, bedenkenlos mit dem angeblich so billigen Atomstrom zu heizen und diesen auch sonst kräftig zu konsumieren, damit die 58 Atomreaktoren im Land auch Sinn machen. Angesichts dessen war das Wort Energiesparen in Frankreich bis vor einem knappen Jahrzehnt praktisch ein Fremdwort.
Die auch heute noch zwiespältige und zögernde Haltung der französischen Regierung und der Stromproduzenten zu einer wirklichen Energiewende im Land ist geradezu wunderbar grotesk symbolisiert an einem Ort im Rhonetal, der mit Atomanlagen vollgepflastert ist.
Wenige Kilometer nördlich von Montélimar dampfen die vier mächtigen Kühltürme des AKW Cruas rund um die Uhr, während sich an der Nordspitze des Geländes seit wenigen Jahren zwei winzige Windräder drehen, zwei kleine Trostpflaster, die guten Willen bezeugen sollen und doch nur lächerlich wirken.
Greenpeace zu Gast in Fessenheim
Angesichts dessen eine Energiewende einzuläuten und dabei unter anderem bis zum Jahr 2025 den Atomstromanteil von 75 zumindest auf 50 Prozent zurückzufahren, wie Präsident Hollande dies in seinem Wahlkampf vor zwei Jahren versprochen hat, dürfte eine Herkulesarbeit werden. Eine Arbeit, mit der man bisher noch nicht mal begonnen hat.
Alle Experten sind sich einig: Selbst das einzige konkrete Versprechen von Präsident Hollande in diesem Zusammenhang wird nicht eingehalten werden. Die zwei ältesten französischen Atommeiler im elsässischen Fessenheim, die seit 37 respektive 36 Jahren in Betrieb sind, bis 2016 wirklich abzuschalten, ist kaum realistisch. Ganz abgesehen davon, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung vor Ort dagegen Sturm läuft und niemand in der Lage ist zu sagen, was man den weit über 3’000 direkt und indirekt Beschäftigten als Ersatz anbieten könnte – Fukushima und Erdbebengefahr im Rheingraben hin oder her. Ausserdem wird der Betreiber, Frankreichs Stromriese EDF, Regressansprüche in Milliardenhöhe stellen. Bei den chronischen leeren Staatskassen Frankreichs durchaus ein weiteres Argument, möglichst nichts zu tun.
Nicht zufällig hatten mehrere Dutzend Greenpeace-Aktivisten letzte Woche Fessenheim für eine ihrer spektakulären Aktionen gewählt. Fast sechzig von ihnen war es nicht nur gelungen, am frühen Morgen auf das AKW-Gelände vorzudringen, rund fünfzehn schafften es sogar auf die Betonkuppel des Reaktors No. 1 – um darauf hinzuweisen, dass nicht nur in Fessenheim, sondern in ganz Europa Dutzende Kernkraftwerke stehen, deren Betriebsdauer die dreissig Jahre überschritten hat.
Einst galten dreissig Jahre als das absolute Maximum. Ganz nebenbei hat die Aktion erneut gezeigt, dass vollständige Sicherheit bei Atomkraftwerken nicht mal existiert, wenn es um ihre Bewachung geht. Immerhin war es in Frankreich mittlerweile das vierte Mal in nur drei Jahren, dass Greepeace mehr oder weniger unbehelligt auf im Prinzip streng überwachtes Gelände von Atomkraftwerken vordringen konnte: Blaye, Tricastin, Nogent-sur-Seine, nur 120 Kilometer südöstlich von Paris und jetzt Fessenheim.
Jedesmal gingen Betreiber und Innenministerium hinterher für einige Tage auf Tauchstation und erklärten bestenfalls, man habe sofort gesehen, dass es sich um Umweltaktivisten gehandelt habe. Was ist aber nun, wenn Leute, die anderes im Sinn haben, sich als Umweltaktivisten verkleiden? Eine echte Antwort auf die Frage, wie ein solches Eindringen auf ein AKW-Gelände überhaupt möglich und denkbar sei, hat es nie gegeben.
Feinstaub aus dem Osten
Just als Greenpeace im Elsass zugeschlagen hatte, plagte sich die Elf-Millionen-Region Ile de France rund um Paris immer noch mit einer ganz aussergewöhnlichen, kaum jemals dagewesenen Luftverschmutzung aus Feinstaubpartikeln. Drei, vier, fünf Tage ging das, zehntausende Touristen konnten kein historisches Monument von Paris mehr photographieren, und Millionen atmeten die ungeniessbare Luft. Die Schadstoffwerte hatten die Alarmstufe fast um das Vierfache überschritten – und nichts war passiert.
Irgendwann ist die Regierung von Premierminister Ayrault dann doch noch erwacht und hat zumindest für einen Tag ein Teilfahrverbot für Paris und 22 umliegende Gemeinden verhängt, bevor dann glücklicherweise der Wind endlich wieder zu wehen anfing und das Spektakel mit Hundertschaften von Polizisten, die Tausende Strafzettel bei Zuwiderhandlung schrieben, vorbei war. Gegen alle Erwartungen hatten sich die meisten Autofahrer mit geraden Endziffern auf ihren Nummernschildern doch tatsächlich an das Fahrverbot gehalten. Die Boulevards der Pariser Innenstadt sahen aus wie im Monat August, die Ruhe war zum Teil gespenstisch. Von wegen kein ziviles Verhalten und kein Verantwortungsbewusstsein der ständig gestressten Pariser!
Der Witz folgte dann zwei Tage nach Ende der Krise, sozusagen in der Nachbereitung. Irgendwelche selbsternannte Experten streuten in der konservativen Tageszeitung Le Figaro und in anderen Blättern, die Wirtschaftskreisen eher eng verbunden sind, die verblüffende Analyse, wonach der Feinstaub der bleifarbenen Glocke, unter der Paris tagelang verschwunden war, …. aus dem Osten gekommen sei.
Natürlich! Das Nachbarland Deutschland, das seine Atomkraftwerke abstellte und jetzt verstärkt auf Braunkohle macht, hat seinen Dreck nach Westen ins Nachbarland Frankreich geblasen. Schliesslich weiss ja jeder, dass der Wind in Paris hauptsächlich aus dem Osten weht. Hanebüchen! Ein Anruf bei Meteorologen hätte genügt um zu erfahren, dass dies nicht mal an einem Zehntel der Tage im Jahr der Fall und die dominierende Windrichtung in Paris West oder Südwest ist – und dass dies auch an den Tagen vor dem Smog so war. Drei Tage hat es gebraucht, bis dieses hirnrissige Argument zur Erklärung des gigantischen Smogs über Paris wieder aus der Welt geschafft war.
Da erst wurde klar, dass der wichtigste unter mehreren Gründen für die Feinstaubdecke über Paris schlicht der war, dass der französische Automobilpark zu rund 70 Prozent aus Dieselfahrzeugen besteht, gerade von Peugeot und Renault. Die Franzosen sind Europameister im Dieselfahren, und es gibt in diesem Land eine extrem starke Lobby, die von diesem Treibstoff nicht lassen will. Jeder Versuch, die Dieselpreise denen des bleifreien Benzins anzugleichen, ist hier seit einem Jahrzehnt kläglich gescheitert.
Tschernobylwolke
Erstaunlich auch, dass die Erfinder dieser Mär, wonach der Feinstaub aus Deutschland importiert worden sei, nicht auf dem Laufenden waren, dass in Frankreich doch spätestens seit 1986 Luftmassen oder Wolken, die Schädliches enthalten, ja bekanntlich an den Landesgrenzen einfach Halt machen. So war das schliesslich zu Zeiten von Tschernobyl, und so soll es bleiben. Wochenlang hatten sich die Behörden damals bekanntermassen nicht entblödet, Frankreichs Bürgern einzureden, die Tschernobylwolke habe es nicht über die französische Landesgrenze geschafft. Zwanzig Jahre später hatte man versucht, den Verantwortlichen für diese lächerliche Informationspolitik vom Frühjahr 1986 vor Gericht verurteilen zu lassen. Er wurde natürlich freigesprochen.