Der Präsident war persönlich nicht erschienen auf dem ersten Kongress seiner zur Partei gewordenen Bewegung „En Marche“ – was ja so viel heisst wie: „Unterwegs“ oder „Vorwärts“ – und von Anfang an auf jeden Fall Dynamik und Bewegung suggerieren sollte. Und dass die Anfangsbuchstaben von „En Marche“, E und M, dieselben sind, wie die des Vor- und Familiennamens des Präsidenten, ist ja auch kein Zufall, sondern von Anfang an Programm gewesen.
Viel Bewegung und Dynamik war auf dem Parteitag der „Marschierer“ jedoch wahrlich nicht auszumachen, zumal im Vorfeld das meiste bereits ausgemacht war. Der Gründer und Namensgeber der Bewegung schwebt als Staatspräsident heute offiziell über den Untiefen seiner Partei, zieht im Hintergrund aber selbstverständlich die Fäden und brauchte zu diesem Parteitag gar nicht erst zu erscheinen, weil er ohnehin schon vorher bestimmt hatte, was dort zu geschehen hat.
Parteichef von Macrons Gnaden
Den ersten und neuen Parteivorsitzenden von seinen, des Präsidenten Gnaden, hatte Macron bereits Wochen vorher höchstpersönlich selbst bestimmt. Einfach so.
Christoph Castaner, einst sozialistischer Abgeordneter der Region Provence-Alpes-Côtes d’Azur und Bürgermeister der provenzalischen Kleinstadt Fortcalquier, war einer der ersten aus der sozialistischen Partei, der im Frühjahr 2016 auf den Zug Macron aufgesprungen war. Seitdem singt der Mann mit dem Dreitagebart und dem südfranzösischen Akzent, der die Betonsprache perfekt beherrscht, die lautesten Loblieder auf seinen Helden und Präsidenten und putzt Macron die Stiefel, wie kein anderer. Vielleicht darf der Südfranzose mit der kehligen Stimme deswegen auch weiter sein Amt als „Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament“ behalten. Da drohen zwar schon wieder Interessenskonflikte und eigentlich sollte ja mit Ämterhäufungen ohnehin Schluss sein, aber Macron hat es nun einmal so verfügt.
Die Basis
Die rund 750 Delegierten auf dem ersten offiziellen Parteitag von „La République en Marche“ durften Castaner, diesen von oben Auserwählten, abnicken – und das war es dann. Ein Drittel von ihnen blieb dieser Wahl ihres Parteivorsitzenden hinter verschlossenen Türen prompt fern, bei einer Wahl, die nicht geheim, sondern per erhobener Hand abgehalten wurde, als vertraue man der eigenen Basis nicht so richtig. Eine Basis, die nach eineinhalb Jahren des Bestehens von „En Marche“ offiziell aus fast 400’000 Mitgliedern bestehen soll. Mitglied wird man bei „La République en Marche“ per Mausklick, Mitgliedsbeitrag gibt es keinen zu entrichten, die Zahl der Karteileichen bleibt auf diese Art für immer im Dunkeln und könnte theoretisch schon heute Hunderttausende umfassen.
Revolution? Neue Welt?
Die Entwicklung der jetzt zur Partei gewordenen Bewegung ist nur sechs Monate nach Macrons triumphalem Sieg bei den Präsidentschafts- und den anschliessenden Parlamentswahlen inzwischen von reichlich Skepsis und einer gewaltigen Portion Frustration überlagert. Der Enthusiasmus, der diese dynamische, horizontale Bewegung mit zahlreichen basisdemokratischen Elementen anfangs begleitete, ist in kürzester Zeit fast vollständig verflogen.
Erinnert sich noch jemand – so lange ist es ja schliesslich noch nicht her – an die dominierenden Vokabeln im Diskurs des zur Macht strebenden Emmanuel Macron? Da war doch die Rede vom Fortschritt, von einer tiefgreifenden Transformation der Gesellschaft, ja von einer Revolution des politischen Lebens und von einer neuen Welt, die man schaffen wollte.
Inzwischen wirkt diese neue Welt so alt wie die 5. Republik, mit einer Präsidentenpartei, die bei Fuss zu stehen und abzuwinken hat, was das Staatsoberhaupt wünscht. Der Verdacht schleicht sich ein, Macron betrachte seine Partei schlicht als ein von vertrauten Managern geführtes Unternehmen, in dem Effizienz absolute Priorität hat. Also: Mund halten und Applaus für den da oben auf der Pyramide. Schöne „Neue Welt“ und wahrlich eine „Revolution“!
Ich bin der Chef
Macrons extrem vertikale Konzeption der Machtausübung und des politischen Handelns tritt den horizontalen Gedanken, der mit der Gründung der Bewegung ureigenst verbunden war, geradezu mit Füssen. Ein Widerspruch, der sich auch mit allen Mitteln der Kommunikation und perfektem Schönreden nicht wird auflösen lassen. Da konnten sich der Premierminister (ein ehemaliger Konservativer bei den Republikanern) und der Innenminister (ehemals Sozialist) auf dem ersten Parteikogress von „La Republique en Marche“ den Mund noch so fusselig reden und die demokratischen Qualitäten und das Neue und Besondere der neuen Partei beschwören – es wirkte einfach hohl.
Was so neu, ja revolutionär sein sollte in der politischen Landschaft Frankreichs, sieht ein halbes Jahr nach Macrons Machtübernahme plötzlich bereits ausgesprochen alt aus. Die Art und Weise, wie der Staatspräsident vor dem Gründungsparteitag den künftigen Parteichef bestimmt hat, versetzte den Hoffnungen nach Veränderung und Erneuerung des politischen Lebens den Gnadenstoss. Die Partei als Ideenliferant und Ort auch der inhaltlichen Arbeit? Von wegen! Das war gut für den Wahlkampf und klang während der entscheidenden Monate im öffentlichen Diskurs sehr gut. Heute hat die „Marschierende Republik“ gefälligst stramm zu stehen oder, falls sie noch marschieren will, es ausschliesslich in die Richtung zu tun, die von ganz oben diktiert wird, und dafür zu sorgen, dass Jupiter Macrons Image da oben auf dem Gipfel nicht angekratzt wird.
Storytelling
Nur wenige von der Basis hatten öffentlich aufgemuckt, aber immerhin. Rund hundert Mitglieder verurteilten in einem offenen Brief kurz vor dem Parteitag Arroganz, autoritäres Gehabe und einen Personenkult, der sich in der Umgebung Macrons breitmache, es gehe dort inzwischen zu wie im „Ancien Régime“, hiess es.
Den Staatspräsidenten scheint das nicht weiter anzufechten. Er selbst vertraut derweil weiter auf das grosse Storytelling. In dem Zusammenhang hat er letzte Woche unter anderem im wöchentlichen Hochglanzmagazin „Paris Match“ eine Reportage fabrizieren lassen, die in der europäischen Pressewelt ihresgleichen suchen dürfte. Unter dem Titel „Eine Woche mit Emmanuel Macron“ – mit zwei Dutzend vorteilhaftesten Fotos und einem unvorstellbar liebhudelnden Text, der bei den Autoren tagelange Schamröte verursachen musste – werden dort zwischen Besuchen in Abu Dhabi und Riad, einer Gedenkzeremonie im Elsass zum Ende des Ersten Weltkriegs und dem Arbeitsalltag im Élyséepalast Genialität, Arbeitsfähigkeit, Sensibilität, Umsicht und Weitblick des jungen und dynamischen Staatspräsidenten in einer Art und Weise gepriesen, dass es einem schlicht die Schuhe auszieht.
Kommunikation – die alte Politik
Das Anbeten des Präsidenten reicht in diesem hochlobenden Artikel bis hin zu Sätzen wie: „Er sucht ständig den Blickkontakt zu seiner Frau Brigitte“, oder: „Tränen in den Augen“, anlässlich eines Empfangs für Familienmitglieder von Soldaten, die in den letzten Jahren bei Einsätzen der französischen Armee ums Leben kamen.
Angesichts dessen kommt man nicht umhin zu sagen: Der alte Alltag im Politikgeschäft ist unter Macron schon längst wieder eingekehrt und dieser Präsident steht – zumindest was das Storytelling angeht – seinen Vorgängern, besonders einem gewissem Nicolas Sarkozy, wahrlich in nichts nach – ja, im Gegenteil.