Wenn in diesem Präsidentschaftswahlkampf von Geld die Rede ist, dann selten von der französischen Gesamtverschuldung, die sich der 3-Billionen-Grenze annähert und den berühmten 100 Prozent.
Teure Versprechungen
Ab und an hört man etwas vom gesetzlichen Mindestlohn, den einige der Kandidaten auf 1‘500, 1‘700 oder 1‘800 Euro erhöhen wollen.
Gelegentlich redet man auch von Milliarden, wenn es darum geht, das Verteidigungsbudget auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hochzuschrauben, weil schliesslich der Terrorismus droht und man im Wahlkampf den Franzosen Schutz und Sicherheit versprechen muss.
Und dann ist da noch das Geld, das nicht da ist und eingespart werden soll: Der eine Kandidat will in den nächsten 5 Jahren 100 Milliarden Euro weniger ausgeben, der andere nur 60. Die meisten wollen überhaupt nichts kürzen und wieder andere Investitionsprogramme in zweistelliger Milliardenhöhe auflegen.
Üppige Honorare
Inwieweit diese Zahlen bei Frankreichs Wählern hängen bleiben, ist ungewiss. Dafür haben sie in diesem Wahlkampf seit Ende Januar eine ganze Reihe von anderen Zahlen fast gezwungenermassen auswendig lernen müssen.
Sie haben zum Beispiel gelernt, dass die Assistentin eines Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung unter bestimmten Bedingungen mehr verdienen kann als der Abgeordnete selbst. Im Fall einer gewissen Penelope Fillon waren es eine Zeitlang 7‘000 Euro im Monat.
Oder aber dass ein Ferienjob für bestimmte Studenten, sofern sie den Namen Fillon tragen, nicht wie üblich 1‘200–1‘500, sondern durchaus 3‘800 Euro im Monat einbringen kann, wenn sie dem Vater assistieren und dabei für sein nächstes Buch recherchieren, was natürlich von allgemeinem Interesse ist und deswegen auch entsprechend entlohnt werden muss.
Teure Aufmerksamkeiten
Ausserdem haben die Franzosen gelernt, dass ein Massanzug beim Luxusschneider im 6. Pariser Arrondissement derzeit rund 65‘000 Euro kostet und ein Kaschmirpullover fast zwei Monate eines Minimaleinkommens, dass ein Politiker sich schon mal von relativ dunklen Gestalten Kleidungsstücke im Wert von insgesamt 50‘000 Euro schenken lässt, und als Erklärung dafür nur die Frage übrig hat: „Na und?“
Oder dass ein französischer Premierminister namens Fillon auch mal eine Uhr im Wert von 12‘000 Euro als Geschenk von einem Schweizer Geschäftsmann akzeptiert und sich nichts weiter dabei denkt.
Lukrative Beratungsfirma
Ausserdem musste sich der französische Wähler erzählen lassen, dass ein kleines Schloss mit 1‘000 Quadratmetern Wohnfläche und 2‘000 Quadratmetern in den Dependancen auf insgesamt 10 Hektar Grund im westfranzösischen Departement Sarthe nicht mehr als 750‘000 Euro wert ist, was ihn zum Schmunzeln gebracht hat.
Und diese schmunzelnden Wähler haben letztendlich durch den Fall François Fillon auch noch gelernt, dass ein ehemaliger Premierminister, der noch schnell vor seiner Rückkehr als einfacher Abgeordneter ins Parlament 2012 eine Ein-Mann-Beraterfirma gegründet hatte und auf diese Art in in drei Jahren seines aufreibenden Abgeordnetendaseins nebenbei 750‘000 Euro verdienen konnte.
Zahlen über Zahlen – von denen der Meinungsumfragen ganz zu schweigen – gepaart mit Verrat über Verrat .
Jeder übt an jedem Verrat
Denn alle haben so ziemlich alle verraten in diesem Wahlkampf, der im Grunde vor einem Jahr mit dem sich abzeichnenden Verrat eines jungen Wirtschaftsministers namens Macron begann. Im April 2016 hat er seine Bewegung „En Marche“ gegründet, und Präsident Hollande, sein politischer Ziehvater, wollte an nichts Böses denken. Fünf Monate später trat Macron als Wirtschaftsminister zurück, um im November endgültig den Brutus zu geben und seine eigene Präsidentschaftskandidatur anzukündigen. Das Resultat: Zwei Wochen danach verkündete mit François Hollande erstmals ein amtierender Staatspräsident in Frankreich, dass er nicht zur Wiederwahl antritt.
Im gleichen Monat November hatte der Verrat auch bei Frankreichs Konservativen absolute Hochkonjunktur. Alle aus der zweiten Linie, die etwas werden wollten und sich für wichtig hielten, mussten sich für einen der Kandidaten – Sarkozy, Juppé oder Fillon – entscheiden. Fast alle hatten Fillon den Rücken gekehrt und waren überwiegend Sarkozy hinterhergelaufen, bevor sie nach Fillons fulminantem Sieg ohne mit der Wimper zu zucken, ja fast im Brustton der Überzeugung, zu Kreuze krochen und nun wieder bei Fillon anklopften. Sarkozys ehemaliger Finanzminister Woerth oder die konservative Präsidentin der Region Paris, die Frau mit dem perfektesten blonden Brushing auf der politischen Bühne Frankreichs, Valery Pecresse, waren dabei ganz besonders schamlos.
Benoît Hamon – allein auf weiter Flur
Das Verratskarussell rund um Fillon drehte sich dann ab Ende Januar ein zweites Mal und noch schneller. Nach der Enthüllung der mutmasslichen jahrzehntelangen Scheinbeschäftigung von Madame Fillon wandten sich zunächst Dutzende namhafte Konservative empört von François Fillon ab und nahmen grosse Worte in den Mund. Doch als Fillon sich stur zeigte und nicht abtrat, krochen sie auch hier nach und nach und zum Teil ziemlich schnell wieder zu ihm zurück.
Was die Konservativen können, können wir allemal – hatten sich Frankreichs Sozialisten ebenfalls im Monat Januar gesagt, als sie ihrerseits Primärwahlen organisieren mussten. Jeder Kandidat hatte sich verpflichtet, sogar schriftlich, nach der Wahl den Sieger während des Präsidentschaftswahlkampfs aktiv zu unterstützen.
Doch Ex-Premierminister Valls war durch seine Wahlschlappe gegen Hamon, den Kandidaten des linken Flügels, derartig erschüttert, dass er erst einmal für Wochen in der Versenkung verschwand. Und als er wieder auftauchte, fiel er als erstes dem offiziellen Kandidaten der Partei, Benoît Hamon, in den Rücken und erklärte öffentlich, er werde für den Mitte-Links-Kandidaten Macron stimmen. Gleich fünf amtierende sozialistische Minister oder Staatssekretäre taten es ihm gleich. Und fast alle anderen Granden der französischen Sozialisten sind von perfekter Diskretion, wenn es darum geht, ihren offiziellen Kandidaten zu unterstützen. Ab und an twittert mal einer, persönlich aber zeigt sich so gut wie niemand an der Seite von Benoît Hamon, der am Ende dieser Präsidentschaftswahlen gerade mal 10 Prozent der Stimmen erreichen dürfte und die sozialistische Partei wohl zu Grabe tragen darf.