Der republikanische Wahlbeauftragte in der Hauptstadt von Georgia hätte es gegenüber von CNN nicht besser formulieren können: «Donald Trump ist zu 100 Prozent für die Niederlage der Republikaner bei der Nachwahl in den US-Senat verantwortlich.» Und für die knappen Siege der beiden demokratischen Kandidaten: des 33-jährigen Jon Ossoff, eines früheren Journalisten, und des 51-jährigen Reverend Raphael Warnock, der als eines von zwölf Geschwistern in einer Sozialwohnung in Savannah aufwuchs.
Die beiden sind laut «Spiegel» ein «kurioses Duo». Das Magazin zitiert Ossoffs Mutter, die einst aus Australien in die USA gekommen ist: «Der junge, jüdische Immigrantensohn, dessen Mentor John Lewis (der kürzlich verstorbene schwarze Bürgerrechtler) war, und ein schwarzer Prediger, der auf Dr. Kings Kanzel steht.».
Zwar hat der noch amtierende Präsident vor dem 5. Januar nichts unversucht gelassen, seine Basis mit oft wirrer, von Lügen durchsetzter Rhetorik zu mobilisieren. Doch sein Unterfangen, wie ein Mafia-Boss in einem Telefongespräch am Wochenende Georgias obersten Wahlaufseher zu erpressen, ihm jene 11’780 Stimmen «zu finden», die ihm am 3. November zum Wahlsieg gefehlt hatten, war ein Schlag ins Leere.
Der verzweifelte Schritt dürfte das Gegenteil der erhofften Wirkung erzielt haben. Nicht wenige Republikaner, von Donald Trumps Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug abgeschreckt, gingen wohl am 5. Januar nicht mehr zur Urne. Und Demokraten motivierte der mutmasslich illegale Schachzug des Präsidenten erst recht, für Ossoff und Warnock zu stimmen.
Denn Donald Trump spaltete die eigene Partei, die ihm zuvor sklavisch ergeben gewesen war. Auch sein Aufruf an die Republikaner im Kongress, Mitte der Woche die Bestätigung Joe Bidens durch das Electoral College zu sabotieren, zeigte wenig Wirkung. Zu den Abtrünnigen, die Trumps irrer Aufforderung folgten, gehörte im Übrigen auch Senatorin Kelly Loeffler, die jetzt in Georgia gegen ihren Kontrahenten verloren hat.
Gleichzeitig ist es den Demokraten in Georgia gelungen, ihre Anhängerschaft wie nie zuvor zum Wählen zu bewegen, in erster Linie Angehörige der schwarzen Minderheit sowie Junge und Vertreterinnen und Vertreter der asiatischen und der lateinamerikanischen Volksgruppe. Dank jahrelanger Bemühungen von schwarzen Aktivistinnen wie Stacey Abrams und aufgrund demografischer Veränderungen ist aus Georgia, das einst eine uneinnehmbare Hochburg konservativer Republikaner war, mit der Senatswahl ein «blauer», das heisst demokratischer Bundesstaat geworden. Nicht auszuschliessen, dass dereinst auch andere Südstaaten dem Vorbild des «Peach State» folgen und schwarze Politiker wie Raphael Warnock nach Washington DC entsenden werden.
Mit dem Wahlsieg in Georgia gewinnt die demokratische Partei zwar nicht die Mehrheit im 100-köpfigen US-Senat, wird aber mit 50 Sitzen gleich stark sein wie die Republikaner. Wobei bei Stimmengleichstand die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris jeweils den Stichentscheid fällen wird. Auf jeden Fall dürfte es Joe Biden nach seiner Amtseinsetzung am 20. Januar leichter fallen, seine politischen Vorhaben ohne die zynische Obstruktion des bisherigen republikanischen Senatsvorsitzenden Mitch McConnell, der zu Recht den Übernamen «Dr. No» trägt, durchzusetzen.
Das betrifft die Bestätigung von Kabinettsmitgliedern, die Ernennung von Bundesrichtern oder die Besetzung eines allenfalls freiwerdenden Sitzes im neunköpfigen Supreme Court, wo die Republikaner derzeit mit sechs zu drei Stimmen die Mehrheit haben. Auch wird es den Demokraten im Senat ein gesetzgeberischer Mechanismus namens «reconciliation» erleichtern, Vorhaben zu verabschieden, die das Budget oder besondere Ausgaben etwa zur Linderung der Corona-Krise betreffen und wofür in der kleinen Kammer eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen genügt. Die übrige Gesetzgebung unterliegt nach wie vor den Regeln des sogenannten Filibuster, zu dessen Überwindung 60 Stimmen nötig sind.
An den Republikanern liegt es nach der Niederlage in Georgia, sich zu entscheiden, ob sie künftig weiterhin auf Trumpismus setzen oder ein eigenes Rückgrat mit anderen Prioritäten als jenen des Präsidenten entwickeln wollen. Es wird in der Partei laut «New York Times» eine epische Schlacht zwischen Loyalität und Realität einsetzen und noch lässt sich angesichts einer von Donald Trump in die Irre geführten Basis nur schlecht abschätzen, wer diesen Richtungskampf gewinnen wird: «Die einzigen Dogmen, welche sie (die Republikaner) derzeit noch anerkennen, sind die Impulse und Lügen eines Präsidenten, der für keine erkennbaren Prinzipien ausser für sein Eigeninteresse steht.» Joe Bidens Herausforderung als neuer Präsident wird es sein, in den nächsten vier Jahren nicht nur die Demokraten, sondern alle Amerikanerinnen und Amerikaner gewinnen zu lassen.