Das Rahmenabkommen (InstA) ist die einzig mögliche Brücke, ausser einem EU-Beitritt, über die die Schweiz im Moment ihre Teilnahme am europäischen Binnenmarkt fortführen kann. Eine Lösung für unsere Beziehungen zur EU, die ursprünglich von schweizerischer Seite stammt. Und an der „Linke, Rechte und Mittige seit Wochen und Monaten Vivisektion betreiben (...), um dem zerfleddernden Ergebnis am Ende die Mehrheitsfähigkeit abzusprechen“, wie der professionelle Europakenner und Journalist Fabian Renz in einem treffenden Tages Anzeiger-Kommentar festhält.
Internationale Nachbarn
Für Verhandlungen braucht es zwei Seiten. Dabei kann es nichts schaden, wenn man versucht, neben den eigenen Vorstellungen auch jene seines Gegenübers zu verstehen. So jedenfalls in allen Verhandlungen mit der EU, wo sich die uns in jeder Beziehung am nächsten stehenden Länder zusammengefunden haben. Und wo bei weitem nicht nur ein reines Interessenabkommen auf dem Spiele steht, wie etwa im Falle der Aushandlung eines Freihandelsvertrages mit China.
Weg der Schweiz in Europa
Sondern nicht weniger als der zukünftige Weg der Schweiz in Europa. Das Europa, das heute weiterhin von der EU definiert wird. Diese hat sich im Moment der Pandemiebekämpfung zu mehr Solidarität und auch mehr Kampf gegen Ungleichheit – im Innern der EU-Mitgliedsländer und zwischen ihnen – zusammengerauft. Wie der Wiederaufbaufonds zeigt, mit dessen Hilfe etwa unser grosser Nachbar Italien unter der Führung des Euro-Urgesteins Mario Draghi auf einen nachhaltigen Wachstumspfad einschwenken soll.
Herausforderungen an Europa
Europa hat andere und ungleich grössere Probleme, als sich endlos mit schweizerischen Ängsten herumzuschlagen wegen künftiger, bescheidener Sozialhilfe (Unionsbürgerrichtlinie) und angeblichem Zwang via Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Dazu sind zahlreiche und kenntnisreiche Erläuterungen nachzulesen, wie etwa bei „Progresuisse" (www.progresuisse.ch) oder der „Plattform Schweiz-Europa“ (www.p-s-e.ch).
Von den 40 Tönnern zu den Nachtzügen
Ohne InstA wird die Schweiz von zahlreichen Sektoren der Zusammenarbeit über unsere Landesgrenzen ausgeschlossen werden. Nehmen wir einmal die Verkehrspolitik als Beispiel. Von der im Moment niemand spricht, wohl weil wir vieles als selbstverständlich betrachten, was tatsächlich Frucht von Verhandlungen und von vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unseren EU-Nachbarländern war und weiter bleiben sollte.
Wie in der Vergangenheit etwa die 40-Tönnerregel und das Nachtfahrverbot. Und in Zukunft die informelle Mitarbeit in ebenso technisch klingenden wie für die Schweiz vitalen Gremien, wie der EU-Agency for Railways, wo von internationalen Standards bis zu den europäischen Nachtzügen unendlich viel Detailarbeit geleistet wird.
Oder im EU-Programm Shift2Rail, der zentralen Schaltstelle der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Solcher oft informeller Zusammenarbeit liegt vertraglich das bilaterale Verkehrsabkommen zu Grunde, welches ohne InstA jederzeit wegfallen kann. Bereits heute berichten schweizerische Unterhändler an Schnittstellen unserer Beziehungen zur EU von rapide schwindendem Vertrauen der Schweiz gegenüber. Weil wir beim InstA unendlich zögern. Und so der soliden helvetischen Tradition des „Rosinenpickens“ unverändert treu bleiben, ohne Anzeichen, dass die offizielle Schweiz sich an allen Aspekten europäischer Integration und entsprechender Solidarität beteiligen will.
Mehr Echo für Fachleute
Unverständlich erscheint, warum im Rahmen der InstA-Diskussion schweizerische Fachleute in den technischen Bereichen nicht mehr mediales Echo erhalten. Sie alle könnten von der Wirklichkeit unserer Beziehungen mit der EU erzählen. Dadurch würde ersichtlich, warum der Abschluss des InstA nicht nur nötig erscheint, sondern für den Erhalt unseres Wohlstands unverzichtbar ist.
Kleine Medienschelte
Hier ist zu fragen, wie und warum grosse Deutschweizer Tageszeitungen solchen Fachleuten kaum Platz einräumen. Wohl aber offensichtlichem Unsinn – wie etwa schweizerische Gaskraftwerke zu bauen anstatt im europäischen Stromverbund weiter mitzutun. So die Sonntagszeitung vom vergangenen Wochenende in einem Interview mit einem „Fachmann“ ohne europäischen Kompass. Das hat nichts zu tun mit dem Gebot, auch unterschiedliche Meinungen anzuhören. Wie Einstein festgestellt hat, haben alle ein Recht auf eine eigene Meinung, nicht aber auf eine eigene Wahrheit. Alternative Wahrheiten vom Typ Trump sollten in seriöser Meinungsbildung keinen Platz finden.