
Im Grunde ist jedes Streichquartett von Beethoven ein staunenswertes Wunderwerk. Da er aber insgesamt 16 Streichquartette komponiert hat, entwickelt jeder Musikliebhaber mit der Zeit so etwas wie eine Vorliebe.
Unter allen Quartetten ist das in cis-moll op. 131 seit meiner Jugend mir in besonderer Weise lieb und teuer. Ich hatte als Student eine Langspielplatte, die später durch eine CD-Aufnahme ersetzt wurde und die alle Quartette von Beethoven umfasst. Aufgenommen hat sie das Budapest String Quartett 1961 in New York. Auch wenn die meisten grossen Streichquartette von heute das Beethovenwerk eingespielt haben, für mich bleibt diese Aufnahme aus den 60er Jahren unersetzbar.
Beethoven hat das Werk von Ende 1825 bis Juli 1826 komponiert. Es ist 7-sätzig, wobei die Sätze teilweise ohne Abbruch ineinander übergehen. Zum ersten Satz, eine Adagio-Fuge, schrieb Richard Wagner einmal, er sei «wohl das Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist» und verglich es «mit dem Erwachen am Morgen des Tages (…), der in seinem langen Lauf nicht einen Wunsch erfüllen soll, nicht einen! Doch zugleich ist es ein Bussgebet, eine Beratung mit Gott im Glauben an das Gute».
Wer sich heute das komplexe Werk anhört, darf sich frei fühlen in seiner Assoziationsfantasie. Trauer worüber? Daseinsnöte, sogar Daseinsmüdigkeit? Musik will fast immer meditativ und animierend tröstlich sein. Aber auch überraschend und anfeuernd. Das Leben ist nur dank variationenreicher Abwechslungen erträglich.
Es braucht das Harte und das Weiche, das Lustige und das Traurige, das Gewagte und das Demütige. Man soll keck und frech, aber auch nachgiebig und einsichtig sein, Was ist Zartheit in einer Welt voller Rauheit und Härte? Nicht immer ist Tändeln und Tänzeln das Beste. Doch kräftig Dabeisein vielleicht doch?
Soll man ausweichen und Schleifen drehen? Schnurgerade auf etwas zugehen oder eher vorsichtig sich annähern? Sind die Mutigen und Frechen nicht immer die Gewinner? Unter Menschen sogar die Langlebenden?
Der Schluss des Quartetts legt genau so etwas nahe. Manchmal ist das Leben ein hetziges Reiten, nichts als Qual und Atemlosigkeit. Beethoven mag es selbst gelegentlich so gefühlt haben. Alle Werke Beethovens haben etwas Formsprengendes an sich und tendieren zum Ausserordentlichen, ob Klaviersonate, Sinfonie, Kammermusik, Oper oder Kirchenmusik. Die klassische Eleganz eines Joseph Haydn oder die Erfindungsseligkeit eines Mozart werden hinter sich gelassen.
Beethoven sucht das Heldisch-Heroische, geradezu etwas Übermenschliches. Das Schöne erhält eine Nähe und Verwandtschaft zum Erschreckenden und Göttlichen. Das Zeitalter des Wohlgefallens und der interesselosen Spiellust ist vorbei. Seit Beethoven ist Ästhetik definitiv eine existentielle Kategorie, bei der es um nichts Geringeres als um Leben und Tod geht.