
Stürzt die linke 48-jährige ecuadorianische Politikerin und Rechtsanwältin Luisa González den rechtsgerichteten 36-jährigen Daniel Noboa vom Präsidentenstuhl? Das Rennen bei den Wahlen an diesem Sonntag ist völlig offen. Meinungsumfragen widersprechen sich.
Die jetzige Stichwahl war nötig, weil beim ersten Wahlgang am 13. Februar niemand das nötige absolute Mehr erreicht hat. Für Noboa, einen Senkrechtstarter, der aus einer der reichsten Familien Ecuadors, einer Bananendynastie, stammt, stimmten 44,17 Prozent der Wahlberechtigen. Für González, die für das progressive «Movimiento Revolución Ciudadana» antritt, votierten 44,0 Prozent. Würde González gewinnen, wäre sie die erste ecuadorianische Präsidentin.
Einer der wichtigsten Drogen-Hubs
Noboa regiert seit 18 Monaten. Die Opposition wirft ihm vor, fast nichts im Kampf gegen die Drogenkriminalität erreicht zu haben. Die Gewalt in Ecuador ist vor allem auf das organisierte Verbrechen zurückzuführen. Täglich sterben Dutzende Menschen. Ecuador, ein einst eher ruhiges Land am Pazifik, ist heute einer der wichtigsten Drogen-Umschlagplätze. Rauschgift, vor allem Kokain aus Kolumbien und Peru, werden über ecuadorianische Häfen in die USA, nach Europa und Asien verschifft.
Die ersten Monate dieses Jahres seien die gewalttätigsten in der Geschichte Ecuadors gewesen, erklärt das Movimiento Revolución Ciudadana. Die Zahl der Morde, Erpressungen, Raubüberfälle und Anschläge sei auf ein Rekordhoch gestiegen. Vor allem junge Menschen, die keine Arbeit finden, rutschten immer mehr in die Kriminalität ab. Deshalb fordert Luisa González massive Investitionen in Bildung, Beschäftigung und Sport.
Eine halbe Million verliess das Land
Der Wirtschaft geht es schlecht. Seit acht Jahren geht es bergab. Seit 2017 haben mehr als eine halbe Million der insgesamt 18 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen wegen fehlender Arbeit das Land verlassen. Ecuador ist Dollar-orientiert. Kriminelle Banden nutzen das Land als Basis für die Geldwäsche. «Wenn wir keine Kontrolle über das Finanzsystem haben, wird die finanzielle Kapazität der kriminellen Banden immer grösser», erklärt Diego Borja, ein enger Mitstreiter von González. Diese fordert mehr internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Kriminalität. Mit der Technologie des 21. Jahrhunderts sollte es gelingen, die Kriminalität einzudämmen, heisst es.
Wie will González mit Trumps Rauswurf lateinamerikanischer Migranten umgehen? «Wir respektieren Trumps Einwanderungspolitik», heisst es in Kreisen der linken Präsidentschaftskandidatin. «Aber wir werden fordern, dass unsere Migranten in Würde zurückgebracht werden. Sie sollten nicht gefesselt und angekettet werden. Sie sind keine Kriminellen, sondern hart arbeitende Menschen, die wegen mangelnder Möglichkeiten gegangen sind. Deshalb müssen wir die Verhandlungskapazitäten nutzen.»
Buhlen um die Stimmen der Ureinwohner
Um die Wahl zu gewinnen, braucht es die Stimmen der indigenen Gemeinschaften. Da hat González einen Coup gelandet. Leonidas Iza, der einflussreiche ecuadorianische Menschenrechtler und politische Anführer des indigenen Quechua-Panzaleo-Volkes, hat der linken Präsidentschaftskandidatin seine Unterstützung zugesagt. Iza ist auch Präsident der Konföderation der Indigenen Völker von Ecuador.
Um die Unterstützung der Indigenen zu erhalten, hat Gonzáles die wichtigen Forderungen der indigenen Bevölkerung in ihr Programm aufgenommen. Zum Beispiel die Kontrolle des Bergbaus und den Schutz des Páramo-Hochlandes und seiner Wasserquellen. Zudem soll die Sprache der indigenen Völker im Bildungswesen berücksichtigt werden. Laut Medienberichten stehen allerdings nicht alle Ureinwohner hinter González. Ihrer Partei wird vorgeworfen, Erdölbohrungen im Urwaldgebiet stark gefördert zu haben.
«Progresssive Achse»
Die ecuadorianische Linke hofft mit einem Sieg, die lateinamerikanische «progressive Achse Brasilien, Mexiko, Honduras, Uruguay, Chile, Kolumbien» zu stärken – und das in einer Zeit, in der weltweit die Rechte da und dort auf dem Vormarsch ist. In Kolumbien regiert Präsident Gustavo Petro, in Brasilien Luiz Inácio Lula da Silva, in Uruguay Yamandú Orsi, in Chile Gabriel Boric, in Honduras Xiomara Castro und in Mexiko Claudia Sheinbaum.
Um dieses Ziel zu erreichen, appelliert González intensiv an die Frauen, die heute «am meisten von Ausgrenzung, Wirtschaftskrise und Unsicherheit» betroffen sind. Frauen würden immer mehr vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Sie zitiert Statistiken, wonach die Zahl der Frauenmorde stark ansteigt.
Ein Zögling von Präsident Correa
González war von 2007 bis 2017 in verschiedenen Positionen in der Regierung von Rafael Correa tätig. Bevor sie in die Politik ging, arbeitete sie als ecuadorianische Generalanwältin in Spanien. Ihre Politik basiert teilweise auf dem «neosozialistischen» Programm des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa. (Correa war von 2007 bis 2017 Präsident.) González hatte vor einigen Monaten noch erklärt, sie würde Rafael Correa als Berater nach Ecuador zurückholen. Das war ihr kapitalster Fehler.
Correa hatte dem Land zwar einige Stabilität, einen bescheidenen Wohlstand gebracht und drittelte die extreme Armut im Land. Er investierte Geld in Bildung, Gesundheit und Wohnungsbau. Das haben auch heute viele seiner Anhängerinnen und Anhänger nicht vergessen. Correa war USA-kritisch, Dollar-kritisch, ging gegen rechtsgerichtete, private Radio- und Fernsehstationen vor. Einige seiner Ideen gründeten auf der «Philosophie» des Bolivianers Evo Morales und des Venezolaners Hugo Chávez. Doch mit der Zeit nahm Correa diktatorische Züge an und wurde immer korrupter. Ein ecuadorianisches Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu acht Jahren Gefängnis wegen Bestechlichkeit und Korruption. Er lebt jetzt als politischer Flüchtling in Belgien. Ein grosser Teil der Bevölkerung hasst heute den ehemaligen Präsidenten, trotz seiner Erfolge. Das hatte González unterschätzt. In der Zwischenzeit versucht sie, sich von ihm zu distanzieren.
Roter Teppich für Maduro?
Ebenfalls unglücklich war, dass sie erklärte, sie wolle den venezolanischen Quasi-Diktator Nicolas Maduro als «rechtmässigen» Präsidenten anerkennen.
Andererseits könnte González die Beziehungen zu Mexiko wieder normalisieren. Diese wurden arg belastet, weil Präsident Noboa eine Razzia in der mexikanischen Botschaft in Quito durchführen und Correas ehemaligen Stellvertreter Jorge Glas verhaften liess.
Von der Wirtschaft unterstützt
Daniel Noboa und Luisa Gonzáles standen sich schon bei den Wahlen 2023 gegenüber. Noboa, der damals politisch noch unbekannt war, ist vor allem bei jungen Menschen beliebt. Er präsentiert sich mit dem Projekt eines liberal geprägten «Neuen Ecuador». Schwerpunkt seines Programms ist die Ankurbelung der Wirtschaft und ein harter Kampf gegen die Kriminalität. Er sagte, unter ihm werde Ecuador «wie der Phönix aus der Asche» wieder auferstehen. Den «Narco-Terroristen» erklärte er den Krieg, regierte mit Dekreten und schickte das Militär auf die Strassen und in die Gefängnisse.
Seine Politik der «harten Hand» wird von vielen befürwortet. Seine Stärke besteht darin, dass er von der Wirtschaft unterstützt wird. Sein Handicap ist, dass er jetzt, nach 18 Monaten an der Macht, recht wenig vorzuweisen hat. Allerdings behauptet er, dass die Zahl der Morde zurückgegangen sei, was die Opposition bestreitet.
Verschiedene Wirtschaftsmodelle
Der Ausgang der Wahl wird erheblichen Einfluss auf das künftige Wirtschaftsmodell Ecuadors haben. Gonzáles fördert, so Fitch Ratings, «die staatlich gelenkte Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen hauptsächlich durch öffentliche Ausgaben». Noboa hingegen kämpft für ein liberales Wirtschaftsmodell und will «die Fähigkeit des inländischen Privatsektor verbessern, das Wachstum vorantreiben und ausländische Investitionen fördern».
Sollte Noboa gewinnen, so Fitch, könnte er die Steuerreformagenda fortsetzen und die mit dem IWF vereinbarten Programmverpflichtungen einhalten. Darüber hinaus könnte er die Unabhängigkeit der Zentralbank beibehalten. Die Wirtschaft schürt die Angst, dass eine Präsidentin Gonzáles mit einer «quasi-neo-sozialistischen» Politik das Land weiter zurückwerfen wird.
Alles offen
Letzte Meinungsumfragen widersprechen sich und lassen keinen Schluss zu, wer die Wahl gewinnt. Eine Umfrage des Instituts «Comunicaliza» vom 3. April sieht Noboa mit 50,3 Prozent als Sieger. Das Institut «MR Analitica» gibt in einer breiter abgestützten Erhebung, ebenfalls vom 3. April, Gonzáles 53,47 Prozent.
Zu schaffen machen dem Land neben der Gewalt und der Korruption auch der Menschenhandel, der Waffenschmuggel, der illegale Bergbau und die schwachen politischen Institutionen. Das Fehlen einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit öffnet international organisierten kriminellen Strukturen die Türen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben das Vertrauen in die Institutionen und die Politik verloren.