Autokraten sind weltweit auf dem Vormarsch. Sie wollen die Demokratien zerstören. Realisieren wir das überhaupt? Seit drei Jahren versucht Putin, die Ukraine zu besiegen. Zudem unterstützt er rechtsradikale und extremistische Bewegungen in Europa. Donald Trump erpresst demokratische Staaten mit dem Ziel, zu seinem persönlichen Vorteil eine US-Oligarchie zu errichten. In der sozialistischen «Volksrepublik» China schaltet und waltet Präsident Xi Jinping, indem er die Meinungsfreiheit einschränkt und politische Repression perfektioniert hat. Und da sind noch die getarnten «Demokraten» wie Viktor Orban in Ungarn, Wasserträger Putins.
Während Jahrzehnten dachten wir in den westlichen freiheitlichen Demokratien, wir wären das erstrebenswerte Vorbild für jene «zurückgebliebenen» Länder, in denen die liberalen Ideen nie Fuss fassen konnten. Eines Tages würde die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Staaten die Vorteile einer Demokratie «von selbst» erkennen und sich für diese aussprechen.
Leider geht die internationale Entwicklung in die andere Richtung: Statt Demokratien entwickeln sich Autokratien, statt in freien Wahlen gewählte Politikerinnen und Politiker sind es korrupte Machthaber, die sich unter Missachtung von Menschenrechten nach oben angeln. Gipfel dieser Entwicklung ist die Etablierung von Donald Trump, der sich zum zweiten Mal – zwar in freien Wahlen – in den USA im Weissen Haus etabliert hat. Unter Anwendung nackter Machtausübung, mit Lügengebilden und undemokratischen Dekreten hat er seine Vorstellung von Demokratie sogleich aufzubauen versucht.
Es genügt nicht, über diese Entwicklung ungläubig den Kopf zu schütteln. «Bei uns wäre das unmöglich», hört man im Schweizerland. Wir diskutieren lieber während Stunden, ja Tagen, im National- und Ständerat darüber, ob sich die Schweiz genügend für die sexuelle und reproduktive Gesundheit engagiere. Auch darüber, ob sich das Ende des Sprengdispositivs als Fehlschlag der Schweizer Verteidigung entpuppt oder wo die Frauen in Top-Kadern der Bundesverwaltung anzutreffen wären.
«Wir müssen handeln!», hört man aus dem Bundeshaus. Worüber, herrscht Konfusion. Die Regierung (der Bundesrat) hüllt sich in vornehmes Schweigen.
Putin, Anführer der Zerstörer
Seit Wochen lesen und hören wir Folgendes: «Im Westen wird das Ausmass der Bedrohung, die ihm durch das Entstehen einer gegen ihn gerichteten potenziellen Weltkriegsallianz erwächst, längst noch nicht ausreichend erkannt» (NZZ). «Putin unterstützt in Europa den Vormarsch der Autokraten» oder «Putin nutzt das Narrativ des perversen Westens» (Tages-Anzeiger).
Putin, der seit über 30 Jahren herrscht, schwebt seit jeher die Wiedereinführung der untergegangenen Sowjetunion vor, deren Ende er als geopolitische Katastrophe bezeichnet. Anne Applebaum schreibt dazu: «Die wahre Geschichte dieses Jahrzehnts ist eine andere: Von Beginn an ging es Putin und seinem Kreis darum, ein autokratisches, von einem kleinen Klüngel beherrschtes Regime zu errichten […] Demokratie war nicht das Ziel, sondern nur die Tarnung.» *)
Donald Trump, ein Oligarch als Präsident?
Suzi LeVine war die von 2014 bis 2017 von Präsident Barack Obama ernannte US-Botschafterin in der Schweiz. Sie lebt heute in Seattle, lehrt an Universitäten und engagiert sich in der demokratischen Partei. Im Interview in der «Republik» erklärt die Insiderin, wie die Trump-Regierung vorgeht und wie die Schweiz reagieren sollte.
Einleitend konstatiert sie, dass der Verrat an den Vereinigten Nationen, am Völkerrecht und an den Menschenrechten in krassem Widerspruch steht zur Tradition der Menschenrechte und des Völkerrechts, die in der Schweiz hochgeachtet würden. Deshalb ist einfach Wegschauen keine Option. Darauf komme ich später noch zurück.
Auf die Frage der Journalistin, was in den USA eigentlich geschehe, antwortet sie: «Seit der Amtseinführung von Donald Trump erleben wir eine dramatische tektonische Verschiebung in unserem Land. Wir erleben den Aufstieg der Oligarchie. Es stellt sich die Frage, ob Donald Trump ein Mafioso, eine Marionette Putins oder eine Mischung aus beidem ist» (Republik).
Xi Jinping möchte Taiwan angreifen
Joseph Wu, Taiwans Aussenminister, äussert sich zur Idee Xi Jinpings, Taiwan sein Modell «ein Land, zwei Systeme» aufzuzwingen: «Wenn Sie auf der Strasse Taiwaner fragen, ob sie dies akzeptieren wollen, sagen fast alle nein. Taiwan ist eine Demokratie, und die Regierung muss Entscheidungen auf der Grundlage der öffentlichen Meinung treffen» (NZZ).
Wenn Joseph Wu vor den Expansionsgelüsten Chinas – die sich nicht auf sein Land beschränken würden – warnt und die demokratischen Länder auffordert, Peking geschlossen entgegenzutreten, weiss er, wovon er spricht. Klar und deutlich warnt er: Würden wir den Autoritarismus nicht stoppen, werde er zu uns kommen.
Europäische Sicherheitskoalition
Europa erwacht aus dem Tiefschlaf. Ausgerechnet der britische König Charles III. prescht vor und spielt die diplomatische «Trumpf-Buur»-Karte; er traf Selenskyj und Trudeau. Aktive Vermittler, die neue Wege betreten, sind gefragt (und wer weiss, ob Grossbritannien in die EU zurückkehrt!). Das erbärmliche Verhalten Trumps und seiner Tech-Milliardäre – nicht nur in der Ukraine-Frage – und das menschenverachtende Wirken des «Zaren» Putin müssen als Startschuss für den Westen, für die EU, für die Nato wirken und dahingehend interpretiert werden, dass ihre Selbstverantwortung erkannt und entsprechend gehandelt wird.
Am Anfang der Entwicklung einer gemeinsamen antiautokratischen Strategie und eines entsprechenden militärischen Auftritts stehen jetzt jene europäischen Staatschefs – Macron bietet den Élysée-Palast als Sitzungsort –, denen der Erhalt der demokratischen Werte als Zielvorgabe gilt. Es braucht dazu keine zerstrittene EU-Kommission mit ihren endlosen, wirkungslosen Debatten.
Die neue Rolle der Schweiz
Das wochenlange Schweigen des Bundesrats muss ein Ende haben. Das Palaver im National- und Ständerat um Neutralität und Abseitsstehen ebenfalls; die Schweiz war schon immer ein kämpferisches, freiheitsliebendes Land. In diesen kritischen Tagen des eigentlichen Zeitenwandels ist das konservativ-verkrustete Loblied auf die einstmals opportune Neutralität nichts anderes als Feigheit.
Unser Land ist Teil Europas, seiner Geschichte, seiner Vergangenheit. Unser Beitrag zur Verteidigung der demokratischen Werte ist gefragt. Abseitsstehen ist ein No-Go.
*) Anne Applebaum: «Die Achse der Autokraten», 2024, Siedler.