Von diesen Bildern geht eine merkwürdige Beklemmung aus. Sie atmen geradezu die unbewusste Depression reduzierten Lebens. Die Menschen haben sich in ihr Schicksal gefügt. Was sie für wenige Augenblicke in Vergnügungen und moderatem Protest suchen, bleibt gefangen in ihrem engen Kreis.
Harald Hauswald ist wie ein Familienmitglied, das seine Verwandten besonders genau und treffend beobachtet; aber er bleibt eben Teil der Familie. Er blickt nicht darüber hinaus. Oder tut er es doch? Jedenfalls hatte ihn die Stasi seit Beginn seines Wirkens als Fotograf auf dem Schirm. Der Band im Göttinger Steidl Verlag, der die Ausstellung in Berlin begleitet, beginnt mit Auszügen aus Stasi-Observationen und einigen der heimlich aufgenommenen Bilder.
Was Hauswald in den Augen der Stasi verdächtig machte, ist sein Blick auf das Leben in der DDR, und hieran lässt sich etwas Wesentliches in Bezug auf die damalige Mentalität lernen. Hauswald brachte 1987 im Münchner Piper Verlag zusammen mit dem Schriftsteller Lutz Rathenow einen Bildband, «Ostberlin. Die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern», heraus, der mit westlichen Augen betrachtet überaus harmlos ist. Wenn er den Berliner Dom im Osten der Stadt mit einer leeren Strasse und Pfützen im Vordergrund fotografiert, sieht der Westler darin ein ästhetisches Spiel. Das Gleiche gilt für ein Bild eben dieses Doms, gespiegelt in einem Fenster vom «Palast der Republik». Das Bild ist deswegen markant, weil es die strukturierenden Metallelemente des Fensters wiedergibt.
Die Empfindlichkeiten der Stasi
Der Gutachter der Stasi war allerdings alarmiert: Die leere Strasse vor dem Dom: keine Autos! Soll das Bild sagen, dass es in der DDR keine Autos gibt? Und die Pfütze? Soll damit alles in den Schmutz gezogen werden? Und die Metallträger am Fenster? Sollen sie Unfreiheit zum Ausdruck bringen?
Es ist sehr instruktiv, sich mit solchen Anwürfen auseinander zu setzen, denn dabei erahnt man, wie unglaublich muffig das geistige Klima war. Gewollt und ungewollt stiessen Hauswald und andere Fotografen, Künstler und Schriftsteller auf Empfindlichkeiten, die sich für Aussenstehende nicht einmal erahnen lassen. Eine putzmuntere Satire wie die von Friedrich Dürrenmatt, der die Schweiz mit einem Gefängnis verglich, in dem die Insassen zu Wärtern geworden sind, wäre jenseits jeden Vorstellungsvermögens gewesen.
Harald Hauswald gehört zu den Gründungsmitgliedern der Fotografenagentur Ostkreuz. Seine Anerkennung als Fotograf steht ausser Frage, und er kann erstklassige Referenzen vorweisen. Mit viel Aufwand und beachtlichen öffentlichen Fördermitteln ist sein umfangreiches Fotoarchiv restauriert worden, wobei einige Tausend Fotos digitalisiert wurden. Die Fotos im Ausstellungshaus C/O Berlin und die Abbildungen im voluminösen Band von Steidl sind daher von einer technischen Qualität, die heutigen Ansprüchen gerecht wird. Um so stärker springen die Eigenarten der Aufnahmen ins Auge.
Zahlreiche Bilder wirken absolut prosaisch, und wenn man sich einige der im Bildband reproduzierten Kontaktstreifen anschaut, erkennt man, dass Hauswald sich bei einzelnen Motiven wieder und wieder bemüht hat, etwas ganz Alltägliches für sich selbst sprechen zu lassen. Bei anderen Bildern wiederum ist ein starker ästhetischer Gestaltungswille erkennbar. Das gilt gerade für Motive, in denen zum Beispiel industrielle Bauten oder Anlagen so stark ins Auge stechen, dass man die ästhetische Absicht leicht übersieht.
Stolz und Trostlosigkeit
Manche Fotos werfen die Frage auf, ob die in ihnen liegende unfreiwillige Komik des reduzierten und beschränkten Lebens nicht zu weit geht. Einem westlichen Fotografen würde man diesen Blick auf das damalige Leben in der DDR wohl nicht durchgehen lassen.
Vergleicht man die Bilder von Harald Hauswald mit denen von Harf Zimmermann, der über Jahrzehnte in der DDR Menschen einzeln und in Gruppen in und ausserhalb ihrer Wohnungen fotografiert hat und ebenfalls zu den Gründern der Fotografenagentur Ostkreuz gehört, so erkennt man eine andere Sichtweise. Die Menschen bei Harf Zimmermann strahlen so etwas wie einen gewissen Stolz in ihren Lebensumständen aus. Sie haben zwar wenig, aber das wenige gibt ihnen Bestätigung und Geborgenheit. Man möchte mit ihnen nicht tauschen, aber sie wirken nicht ganz fremd.
Die Bilder von Harald Hauswald dagegen können peinlich berühren und den westlichen Betrachter daran erinnern, dass das politische Schicksal, in der DDR leben zu müssen, die Menschen von mehr abgeschnitten hat als nur vom Luxus der westlichen Warenwelt. Der damalige Blick von Harald Hauswald hat etwas Trostloses. Er war zu dieser Zeit ein eingeborener Beobachter.
Harald Hauswald, Felix Hoffmann (Herausgeber): Voll das Leben!, Deutsch/Englisch, 408 Seiten, Steidl 2020, 45 Euro
Ausstellung im C/O Berlin im Amerika-Haus bis 21. April 2022