Im Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 schlossen sich sieben Fotografen der ehemaligen DDR zur Bildagentur «Ostkreuz» zusammen. Eine Erfolgsgeschichte.
Der Name «Ostkreuz» leitet sich von dem gleichnamigen Verkehrsknotenpunkt mit dem Umsteigebahnhof Ostkreuz in Berlin ab. Nicht weit davon ist die Spree mit dem Spreepark. Und die Bezeichnung des Zusammenschlusses als «Agentur der Fotografen» hat ein grosses Vorbild: die «Fotografenagentur Magnum Fotos». Entsprechend wollen die unter dem Dach «Ostkreuz» arbeitenden Fotografen jeweils ihre eigene bildnerische Sichtweise zum Ausdruck bringen.
Die Agentur mit den derzeit 23 Fotografen spielt in der ersten Liga der Pressefotografie mit. In der Liste der Zeitungen und Zeitschriften als Referenzen auf der Website fehlt keine erstrangige Adresse. Und die Agentur arbeitet nicht nur für die Presse. Werbung und Mode kommen neben anderen Themen ebenso vor wie Porträts und Architektur.
Der Name «Ostkreuz» wie auch die Gründung der Agentur durch die damals bekanntesten Fotografen der DDR weckt auch heute noch Neugier: Findet man dort einen spezifischen ostdeutschen Touch? Thematisch stösst man auf frühe Bildserien, die das Leben in der ehemaligen DDR zum Thema haben. Dazu wird die Zeit der Wende dargestellt und schliesslich kommen Fotos aus dem heutigen Berlin und dem wiedervereinigten Deutschland hinzu.
Und es gibt Geschichten aus der Zeit der Gründung. Die materiellen Bedingungen waren 1990 zum Teil mehr als bescheiden, so dass auch die Frage der regelmässigen Mahlzeiten der Gründer durchaus ein Thema sein konnte. Und heute mutet es wie eine Anekdote an, wenn sie daran erinnern, dass ihr erstes mobiles Telefon, das sie für die Agentur dringend benötigten, damals nicht nur schwer und unhandlich, sondern auch sehr kostspielig war. Um einem möglichen Diebstahl vorzubeugen, schleppten sie es abwechselnd abends zu sich nach Hause.
Aus Anlass des 30-jährigen Mauerfall-Jubiläums 2019 hat Arte die 22 Fotografinnen und Fotografen von Ostkreuz dazu eingeladen, an einer umfassenden Dokumentation unter dem Titel «Deutschland im Jahr 2019» mitzuwirken. Das geschah in Kooperation mit dem Regisseur Paul Ouazan und ARTE France.
Derzeit ist ein neues Projekt zu sehen: «Kontinent – Auf der Suche nach Europa». Nach den Ausstellungen in Berlin und Erfurt (bis 31. Januar 2022) wird sie in Frankfurt von Februar bis Mai 2022 gezeigt. Und im Dezember wird in C/O Berlin eine Ausstellung von Harald Hauswald eröffnet.
Es ist ausserordentlich beeindruckend, wie kraftvoll sich die Agentur seit den Anfängen entwickelt hat. Das Erbe aus den Zeiten der DDR und der Wende wird gepflegt – wie zum Beispiel in einem 2009 erschienenen und inzwischen leider vergriffenen Band «Ostzeit – Geschichten aus einem vergangenen Land» bei Hatje Cantz – aber das Neue in Europa und das Leben in anderen Ländern auch jenseits von Europa sind zu immer wichtigeren Themen geworden.
Lohnende Einblicke
Die Agentur bewirtschaftet ihre Website in ganz vorzüglicher Weise. Übersichtlicher und informativer geht es nicht. Störend sind allein die Gendersternchen und die Genderdoppelpunkte. Das ist eine bedauerliche Inkonsequenz. Denn die Bezeichnung «Agentur der Fotografen» hat ganz selbstverständlich Fotografinnen eingeschlossen. An der Gründung 1990 waren neben fünf Fotografen zwei Fotografinnen beteiligt, wobei der Anstoss von der Stern-Bildjournalistin Petra Göllnitz ausging. Gerade Frauen aus der ehemaligen DDR legten grössten Wert darauf, dass sie in ihren Berufsbezeichnungen die männliche Form behielten, also zum Beispiel mit Ingenieur und nicht mit Ingenieurin angesprochen wurden. Und Magnum firmiert auch als «Fotografenagentur», obwohl von früh an berühmte Frauen dabei waren, Eve Arnold und Inge Morath zum Beispiel.
Aber jenseits der Gendersternchen und Genderdoppelpunkte eröffnet die Website mehr als lohnende Einblicke. Unter der Rubrik «Fotoserien» zeigt sich das grosse Können der Agenturmitglieder. Die Themenvielfalt scheint endlos zu sein, und man lernt die einzelnen Fotografen in ihren Eigenarten und Qualitäten kennen. Man kann in der Liste der Fotografen zusätzlich sehen, in welchen Medien sie bereits veröffentlicht haben. Dazu kommen immer wieder Ausstellungen und Bücher.
In diesen Tagen hat «Ostkreuz» einen Shop eröffnet. Dort werden Bücher von «Ostkreuz» und Poster angeboten.