In Jemen zerbrach die Armee, deren stärkste und am besten ausgebildete Einheiten sich Präsidialgarde nannten. Sie wurden vom Sohn des Präsidenten kommandiert, als unter Aufsicht der Uno und der benachbartn Golfstaaten der bisherige Präsident Ali Abdullah Saleh abgesetzt wurde. Sein bisheriger Stellvertreter, Vizepräsident Abd Rabbo Mansur al-Hadi, wurde als der einzige Kandidat zu seinem Nachfolger "gewählt".
Zwei Präsidenten und eine zweigeteilte Armee in Jemen
Der Altpräsident durfte im Lande bleiben und weiterhin als Vorsitzender seiner bisherigen Staatspartei wirken. Der neue Präsident, al-Hadi, versuchte, die dem Altpräsidenten loyal verbundene Elitetruppe innerhalb der Präsidialgarde zu entmachten, indem er sie unter verschiedene andere Einheiten aufteilte. Doch es gelang dem Sohn des bisherigen Präsidenten, Brigadegeneral Ahmed Ali Abdullah Saleh, deren Loyalität zu erhalten, obwohl er sie offiziell nicht mehr kommandierte. Dass dabei das Geld, das sein Vater während seiner 30-jährigen Präsidentschaft angehäuft hatte, eine Rolle spielte, kann man vermuten, jedoch nicht beweisen. Die jemenitische Armee hat eine Tradition, nach welcher vor einer Schlacht die Gelder darüber mitbestimmen, wer auf welcher Seite kämpft und daher auch, wer höchstwahrscheinlich den Sieg davontragen wird.
Allianzwechsel des früheren Präsidenten
Man kann heute mit ziemlicher Sicherheit sagen: Es war der Altpräsident, der den Einfall hatte, die Huthis, seine bisherigen Feinde, mit den Iranern zusammenzubringen und gleichzeitig seinen Einfluss auf die Armee dazu auszunützen, um den Huthis freie Bahn für einen Vormarsch aus ihrer nördlichen Grenzprovinz bis in die Hauptstadt zu gewähren. Es hatte bereits vor dieser Einflussnahme des Altpräsidenten auf die Streitkräfte Spaltungen in der Armee gegeben.
Schon im März 2011, kurz nachdem die Demonstrationen begonnen hatten, brach General Muhsin al-Ahmar mit dem Präsidenten. Er und seine Einheiten traten dann als Beschützer der Demonstranten auf. Die Fraktion Muhsin al-Ahmars, besonders intime Feinde des Altpräsidenten, wurde nun durch die Huthis und die mit ihnen verbündeten Armeeeinheiten, die unter dem Einfluss der Saleh Familie geblieben waren, ausgeschaltet. Der General musste ins Ausland fliehen.
Seine unterlegenen Einheiten und ihr Chef selbst hatten ihrerseits der Partei nahegestanden, in welcher die Muslimbrüder den Ton angeben, "Islah" (Reform) benannt, und auch Islah wurde von den Huthis verfolgt und praktisch entmachtet. General al-Ahmar und "seine" Truppen hatten in früheren Jahren gegen die Huthis gekämpft, und auch "Islah" als Partei der gemässigten sunnitischen Islamisten war mit den zaiditischen Huthis verfeindet.
Die Huthis wollten Jemen regieren
Mit dem Besitz von Sanaa scheinen die Huthis sich übernommen zu haben. Sie unternahmen Versuche, ganz Jemen unter ihren Einfluss zu bringen, setzten die Regierung und den amtierenden Präsidenten al-Hadi zuerst unter Druck und hielten ihn und die Regierung schliesslich unter Hausarrest. Al-Hadi entkam nach der südlichen Hauptstadt, Aden. Die Huthis setzten ihm nach und suchten ihn in seinem dortigen Präsidentenpalast zu bombardieren.
Sie genossen bei ihrem Vorstoss nach Süden nach wie vor die Unterstützung von Elite-Einheiten der Armee, die mehr auf die Saleh Familie als auf das Gebot des amtierenden Präsidenten hörten. Bis sich schliesslich die Saudis entschlossen, ihre gesamte Luftwaffe gebündelt gegen die Huthis und jene Teile der Armee einzusetzen, die zur der Saleh Familie hielten.
Kriegsziele der Saudis
Die Luftangriffe und möglicherweise noch kommende Landinvasionen sollen solange andauern, sagen die saudischen Verantwortlichen, bis die Huthis sich zurückziehen und "ihre Waffen abgeben". Die Gefahr ist gross, dass die Huthis dies nicht tun werden und dass sie statt dessen einen Guerilla Krieg gegen die Saudis und ihre jemenitischen Parteigänger, Hadi und seine Gefährten, auslösen und unterhalten werden.
Beginn eines Bürgerkrieges?
Die Spaltungen in der Armee, ausgenützt und vertieft durch die Interessen der jemenitischen politischen Machthaber und Rivalen, haben Jemen in einen Bürgerkrieg getrieben, auf dessen einer Seite die Saudis führend teilnehmen, während zur Zeit noch offen bleibt, ob und in welcher Form der politische Widerspieler der Saudis, Iran, seinerseits auf Seiten der Huthis eingreifen wird.
Zerfall der Armee löst Bürgerkrieg aus
Die entscheidene Rolle der Armee, die zum Ausbruch des Bürgerkriegs führte, ist in allen vier Staaten klar. Die Armeen zerbrachen, zersplitterten oder brachen zusammen, und ihr Zerbrechen führte zum Bürgerkrieg, weil die Armeen das letzte, wichtigste und oftmals einzig wirkliche Band gebildet hatten, das die von ihren Politikern immer tiefer enttäuschten Bevölkerungen zusammenhielt.
Die dritte Macht der Jihadisten
Die zweite Gemeinsamkeit aller vier Bürgerkriege ist dadurch gegeben, dass in allen vier Ländern eine weitere Macht in Erscheinung trat, anwuchs und immer prominenter hervortrat. Dies waren islamistische Kampfverbände, die die Parole ausgaben, ein "islamischer Staat" müsse durch Waffengewalt entstehen.
Unter den Machthabern der Zeit vor den Volksaufständen, sassen die Ideologen und Waffenträger dieser Ideologie in den Gefängnissen oder waren ins Ausland geflohen. Der Zusammenbruch der bisherigen Regime (oder nur der partielle Zusammenbruch im Fall von Damaskus) setzte sie frei. Ihre Gruppen bildeten zunächst Minderheiten unter den zuerst in Erscheinung tretenden Protest- und dann Kampfgruppen gegen die alten Regime. Doch sie wurden schrittweise zu gefährlichen Kräften.
Über die Jahre wachsen die Jihadisten
Man kann einen Zusammenhang sehen zwischen der Dauer der Wirren und ihrem Machtzuwachs, am klarsten im Irak und in Syrien. Im Irak entstanden die jihadistischen Kampfgruppen zuerst als Widerstand gegen die Amerikaner und dann auch als bittere Feinde der irakischen Schiiten. Unter Saddam hatte es sie nicht gegeben. Ein erster Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten, angefacht durch Abu Musab al-Zarqawi, der "al-Kaida im Irak" anführte, obwohl er selbst ein Jordanier war, hatte schon in den Jahren 2006 und 2007 zu blutigen Zusammenstössen zwischen den beiden Konfessionen geführt, ungeachtet der damaligen Präsenz der Amerikaner.
Damals mussten Hunderttausende von Sunniten aus Bagdad fliehen, um ihr Leben zu retten. Tausende wurden zu Tode gefoltert. Die heutigen Gegensätze zwischen den beiden Konfessionen, die sich seither durch fast alle muslimischen Länder hindurchziehen, nahmen dort ihren Anfang.
Zarqawi wurde bei einem Luftangriff 2006 der Amerikaner getötet. Sein Nachfolger ,Abu Omar al-Bagdadi, ebenfalls vier Jahre später. Doch der nächste Nachfolger, Abu Bakr al-Bagdadi, der heutige "Kalife", der einige Zeit in Camp Buqqa, einem amerikanischen Militärgefängnis, verbracht hatte, zusammen mit Tausenden von Mitgefangenen, konnte die Macht seiner Gruppe stark ausdehnen.
Die "schiitische" Politik al-Malikis
Die Amerikaner waren 2010 abgezogen. In Bagdad übernahm Nuri al-Maliki als Ministerpräsident die Macht und suchte sie mit seiner oben geschilderte Politik der Machtkonzentration in Händen der Schiiten zu zementieren, was Ressentiments der Sunniten hervorrief. Im Widerstand gegen ihn intensivierte al-Bagdadi die Zusammenarbeit mit den baathistischen ehemaligen Offizieren, die von den Amerikanern entlassen worden waren.
Damit verfügte er über Spezialisten jener Machttechnik, die Saddam angewandt hatte: Machterhaltung und Machterwerb durch die Verbreitung von Angst; Regieren und Gelderpressen durch die Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung mit dem Instrument der politischen Geheimdienste; gegenseitige Überwachung der Geheimdienste durch verschiedene rivalisierende Dienste und Machthierarchien und so weiter.
Die Ex-Baath Offiziere lieferten auch Spezialisten für den Truppeneinsatz nach taktischen und strategischen Grundprinzipien. Über solche Leute zu verfügen, nicht blosse Amateur-Kämpfer, ist eine wichtige Voraussetzung für den Übergang von einer auf Banden beruhenden Guerilla zu einem Regime, das ein festes Territorium mit seinen Bewohnern beherrschen und ausbeuten kann.
Zahlreiche der unteren Kommandeure al-Bagdadis sind ehemalige Offiziere der Armee Saddams und frühere Würdenträger seiner baathistischen Staatspartei. Es war letztlich die undurchdachte amerikanische Massnahme der Auflösung der irakischen Armee, wie sie unter Saddam bestanden hatte, die "dem Kalifen" seine Fachleute für Repression und Führer im Krieg verschaffen sollte. Die meisten liessen sich Bärte wachsen.
Ein weiterer Schritt voran in Syrien
Die Möglichkeit, ein eigenes Territorium zu gründen, ergab sich konkret anlässlich des Bürgerkriegs im benachbarten Syrien. Bagdadi, dessen Aktivität sich bis dahin auf den Irak konzentriert hatte - Selbstmordanschläge in Bagdad und Angriffe auf Gefängnisse zur Befreiung von Gesinnungsgenossen - konnte nun seinen angeblichen "Jihad" auch auf Syrien ausdehnen. Er gründete, auf Anraten seiner Baath Berater, eine Zweigorganisation für Syrien, die sich Nusra Front nannte.
Sie war so erfolgreich mit Bomben in Damaskus und Kämpfen in der gebirgigen Provinz Idlib, sowie auch bei der Beschaffung von Geldern und Waffen in den Golfstaaten, in Saudi Arabien und in der Türkei, dass sie drohte, unter den Jihadisten das Ansehen ihrer Vater-Gruppe, der al-Bagdadis, zu überflügeln. Ein Massstab für den Rang dieser Gruppen untereinander war stets, wieviel Jihadisten sie aus dem Ausland zu mobilisieren vermochten, und Nusra erhielt mehr Zulauf als "al-Kaida im Irak", wie sich die Gruppe Bagdadis anfänglich noch nannte.
Bagdadi selbst wird aktiv in Syrien
Daraufhin beschloss al-Bagdadi, dem Vernehmen nach auf Grund von Ratschlägen seiner baathistischen Unterführer, die Aktivitäten der eigenen Gruppe auf Syrien auszudehnen. Dies ging mit einem Namenswechsel einher, aus "al-Kaida im Irak" wurde "ISIS" (Isamischer Staat im Irak und in "Scham"). Das arabische Wort "Scham" bezeichnet sowohl Damaskus, wie auch die Provinz Damaskus, so wie sie in der Osmanischen Zeit bestand. Damals gehörte die ganze östliche Mittelmeerküste mit Palästina und Syrien zu "Scham".
Gemeinsam und mit der Hilfe zahlreicher anderer islamistischer Gruppen eroberten ISIS und Nusra die erste Provinzhauptstadt, die dem syrischen Widerstand in die Hände fiel: Raqqa am Euphrat. ISIS (früher al-Kaida im Irak und stets mit irakischen Wurzeln) verdrängte systematisch alle anderen Gruppen aus Raqqa, egal wie islamistisch sie waren. Es zeigte sich damals, dass al-Bagdadi ein Machtmonopol anstrebte, das heisst seinen eigenen "Islamischen Staat" auch wenn er anfänglich klein war. Die anderen Gruppen, auch al-Nusra, verfolgten die Errichtung eines Islamischen Staates "in Syrien", und hielten an dieser Zielsetzung fest. Sie sahen es daher als ihre Priorität an, gegen das Regime von Damaskus zu kämpfen.
Scheidung unter Islamisten
Als Bagdadi anfangs 2013 versuchte, die Nusra Front seinem eigenen Oberkommando zu unterstellen, wehrte sich diese und bestand auf ihrer Eigenständigkeit und Zugehörigkeit zu Syrien. Dies führte zu einem Streit, in dem die Kaida Führung, das heisst der in Pakistan oder Afghanistan versteckt lebende Zawahiri, um Schlichtung angegangen wurde. Zawahiri entschied im Juni 2013, Nusra sei für Syrien und Bagdadi für den Irak zuständig. Doch Bagdadi nahm dies nicht an und brach schliesslich mit Zawahiri. Seine Faktion, ISIS, besass damals eine "Hauptstadt", Raqqa in Syrien, und suchte diese als Keimzelle eines "Islamischen Staates" (IS) zu konsolidieren. Gleichzeitig war sie auch die wichtigste bewaffnete "Widerstandsbewegung" gegen den als "schiitisch" verurteilten Staat Irak unter Ministerpräsident al-Maliki.
3. Teil folgt