Aktuell vermeldet die «Washington Post», dass Donald Trump am 26. April die 10’000er-Grenze in Sachen «falscher oder irreführender Äusserungen» überschritten hat. Innert sieben Monaten zuvor war der US-Präsident im Schnitt 23 Mal pro Tag nicht bei der Wahrheit geblieben, hatte er die Unwahrheit gesagt, jemandem einen Bären aufgebunden, geflunkert, geschwindelt oder was laut Duden der Synonyme für «gelogen» mehr sind.
Doch Trump kann auch besser als nur in Tagesform: Am 27. April log der Präsident während eines Wahlkampfauftritts in Green Bay (Wisconsin) satte 61 Mal, zwei Tage früher hatte er in einem Interview mit Lieblingsmoderator Sean Hannity von Fox News immerhin noch 45 Mal geflunkert. Statistisch erfasst die Rubrik «Fact Checker» der «Post» nicht nur offizielle Äusserungen des Präsidenten, sondern auch seine persönlichen Tweets.
Am liebsten lügt Donald Trump, wenn es um das Thema Einwanderung geht. So hat er 160 Mal behauptet, an der Grenze zu Mexiko werde eine Mauer gebaut. Noch aber hat der Kongress in Washington DC keine entsprechenden Mittel gesprochen, und wenn an der Südgrenze etwas läuft, dann sind es Reparaturarbeiten. Dafür ist der Präsident inzwischen stolzer Empfänger von 21 «bodenlosen Pinocchios», eine Auszeichnung, welche die Fact Checker vergeben, wenn eine falsche Aussage mindestens 20 Mal wiederholt worden ist.
Nach wie vor tun sich Amerikas Medien schwer im Umgang mit Donald Trump, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt seiner Äusserungen zu benoten. Sowohl CNN als auch die sonst eher diskrete «New York Times» haben wiederholt von «Lügen» gesprochen. National Public Radio (NPR) und Time Inc. dagegen verzichten darauf, den fraglichen Begriff zu verwenden. Sie gehen davon aus, dass allein lügt, wer das wissentlich, d. h. mit böser Absicht tut. NPR beruft sich auf die Definition des Wörterbuchs, wonach eine Lüge «eine Falschaussage mit Täuschungsabsicht» ist. Niemand aber, so das Radio, könne in Trumps Inneres sehen.
So nobel diese Art medialer Zurückhaltung sein mag, sie lässt ausser Acht, dass es unbestreitbare Fakten gibt und dass Fakten nicht suspekter werden, je häufiger sie abgestritten werden. Im Gegenteil. Je unwiderlegbarer ein Sachverhalt ist, desto gravierender die Verfehlung dessen, der ihn leugnet. Im Falle Trumps gibt es dafür mehrere Beweise, angefangen bei der Grösse der Menschenmenge, die am 20. Januar 2017 in D. C. seiner Amtseinsetzung beiwohnte, bis jüngst hin zu seiner krankhaft absurden Behauptung, Demokraten würden zum Töten von Neugeborenen ermutigen.
Kein Wunder, nimmt sich auch die Psychologie des Themas Lügen an. Die Neurowissenschaftler Tali Sharot und Neil Garrett sind im vergangenen Jahr zum Schluss gekommen, ein biologischer Prozess, sogenannte emotionale Adaption, könne der Grund für zunehmend häufiges Lügen sein. Gefühle, so die beiden, spielten eine wichtige Rolle bei der Kontrolle schlechten Benehmens: «Wenn es uns mies geht, wenn wir lügen, tun wir es künftig weniger häufig. Falls dieses unangenehme Gefühl aber wie von Zauberhand verschwände, würden wir es wahrscheinlich mehr tun.»
«Wiederholte Unehrlichkeit ist ein wenig wie ein Parfüm, das wir immer und immer wieder anwenden», schreiben die beiden Neurowissenschaftler: «Erst kann einer leicht den starken Geruch eines neuen Parfüms wahrnehmen. Doch mit der Zeit und nach wiederholter Anwendung ist dessen Präsenz kaum mehr wahrzunehmen.» Sharot und Garrett zitieren eine Studie der Harvard University, laut der sich nicht nur Individuen ans Lügen gewöhnen, sondern auch die Leute in ihrem Umfeld, und das selbst dann, wenn sich das unethische Verhalten verstärkt. Was Lügner wiederum in ihren schlechten Gewohnheiten bestärken könne.
So zumindest liesse sich erklären, wieso es gemäss einer Umfrage die Anhänger Donald Trumps nicht daran hindert, den Präsidenten wiederzuwählen, auch wenn sie wissen, dass er lügt. Auch sind Trumps Beliebtheitswerte nicht gesunken, obwohl gleichzeitig der Prozentsatz jener Amerikanerinnen und Amerikaner schrumpft, die den Präsidenten für «ehrlich und vertrauenswürdig» halten.
«Hölle ist die Wahrheit, die zu spät gesehen wird», schreibt der Denker Thomas Hobbes (1588–1679) in seinem Hauptwerk «Leviathan». Daran dürfte sich der eine oder andere Trump-Wähler erinnern, der vor dem Urnengang 2020 seine Erwartungen an Amerikas 45. Präsidenten nicht erfüllt sieht. Obwohl diese Einsicht eine Mehrheit seiner Anhänger kaum davon abhalten wird, den Serienlügner wiederzuwählen. Wie sagte Donald Trump 2016 bei einem Wahlkampfauftritt in Hilton Head Island (South Carolina): «Ich bin äusserst gebildet. Ich kenne Wörter. Ich habe die besten Wörter. Es gibt kein besseres Wort als blöd.» Mit «stupid» meinte der Kandidat allerdings Barack Obama.