Die AHV-Reform wurde im September 2022 knapp angenommen. Jetzt ist die 2. Säule dran: Ob das Parlament ein mehrheitsfähiges Reformprojekt zustande bringt, ist mehr als fraglich.
Unsere Politiker und Politikerinnen begründen die aktuelle Reformblockade unter anderem damit, dieses Geschäft sei besonders komplex. Doch die Bevölkerung erwartet keine faulen Ausreden, sondern konkrete, zielgerichtete, parteiübergreifende Lösungsvorschläge, die von allen Seiten Konzessionen abverlangen. Das Gleiche gilt für die Gewerkschaften.
Wo liegen die grössten Probleme?
Unser heutiges Vorsorgesystem ist ungerecht: Ob eine Person Voll- oder Teilzeit arbeitet, ergibt völlig unterschiedliche Alterskapitalgutschriften. Bei identischem Verdienst von 70’000 Franken jährlich ergibt sich bei 100-prozentigem Arbeitspensum eine Jahresgutschrift auf dem PK-Guthaben von 6700 Franken, bei einem 50-prozentigen Pensum nur 1500 Franken.
Zweite Ungerechtigkeit: Seit Jahren verschieben Pensionskassen Kapital von der arbeitenden Bevölkerung zu den Rentnerinnen und Rentnern. Wir Alten leben gewissermassen auf Kosten der Jungen. Allein seit 2014 macht das 45 Milliarden Franken aus. Aufgrund eines vom Parlament vorgegebenen unrealistischen Umwandlungssatzes (tiefe Zinsen und hohe Lebenserwartung) bei der Festlegung der Renten holen die Pensionskassen das Geld eben bei den Jüngeren (NZZ am Sonntag).
Drittes Problem: Die mangelnde Flexibilität unseres Vorsorgesystems – es stammt aus den 1980er-Jahren und ist viel zu starr – nimmt keine Rücksicht auf die seither eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen. Ein wichtiger Fact ist doch, dass die Teilzeitarbeit seither stark zugenommen hat. «Während 1991 fast 50 Prozent der Frauen und nur 8 Prozent der Männer Teilzeit arbeiteten, sind es 30 Jahre später fast 60 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer mit einem reduzierten Beschäftigungspensum» (Avenir Suisse). Wir kennen die Gründe: eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Autonomie und Flexibilität bei der Organisation der Arbeit und der Arbeitszeiten. Doch der Lohn ist erst ab einer bestimmten Schwelle (dem Koordinationsabzug) versichert, dies unabhängig vom Beschäftigungsgrad. Damit sind Personen, die gleichzeitig für verschiedene Arbeitgeber oder Teilzeit arbeiten, schlechter im BVG abgesichert. Somit ist die in der anstehenden Reform vorgesehene Senkung des Koordinationsabzugs zu begrüssen.
Fragwürdige Kompensationsforderungen
Zwar würde die anstehende Rentenreform (BVG 21) der zweiten Säule eine Reduktion des gesetzlichen Umwandlungsminimums von 6,8 auf 6,0 Prozent bringen, doch selbst diese völlig ungenügende Senkung wird bekämpft. Denn Politiker und Politikerinnen in Bern rufen jetzt – um dem Publikum im Hinblick auf die nächsten Wahlen zu gefallen – nach «Kompensationen». Dies ist absurd, denn wenn die aktuellen Renten zu hoch und nicht finanzierbar sind, dann müssen sie gesenkt werden. Dies macht jenen, die betroffen sind, keine Freude. Doch die Forderung, den Verlust mit Kompensationen auszugleichen, ist zwar unrealistisch, entspricht aber langjähriger Taktik: Da an der Urne die älteren gegenüber den jüngeren Abstimmenden in der Überzahl sind und sich dieses Manöver gut verschleiern lässt, kann die Politik diese jüngeren, die sich zudem oft wenig für die Politik interessieren, «relativ leicht übers Ohr hauen» (NZZ).
Klassenkampf verhindert Kompromisslösung
Wieder einmal drohen die Gewerkschaften mit einem Referendum bei der kommenden Abstimmung. Der von beiden Räten ausgehandelte Kompromiss kostet für die vorgesehene Übergangslösung 9,1 bis 11,7 Milliarden Franken, je nach Modell Stände- oder Nationalrat. Dies entspräche monatlichen Rentenzuschlägen von 100 bis 200 Franken. Dies ist viel Geld. Die Linke und auch Bundesrat Alain Berset stellen sich quer und beharren auf dem zwischen ihnen und dem Arbeitgeberverband ausgehandelten Reformmodell: Dieses sieht 200 Franken für alle Versicherten vor, finanziert durch einen Lohnabzug von 0,5 Prozent, den auch alle gut und sehr gut verdienenden Arbeitnehmenden zu berappen hätten. Die Kosten: 30 Milliarden Franken.
Die Idee einer 13. AHV-Rente
Die Behauptung, dass eine Rentenkürzung unzumutbar ist und deshalb mit einer weiteren Kompensation ausgeglichen werden sollte, stammt aus der Ideenküche der Linken. Jetzt wird eine Initiative vorbereitet, die eine 13. AHV-Rente fordert. Man will in diesen Kreisen partout nicht einsehen, dass globale Auswirkungen (wie tiefe Zinssätze weltweit) auch die Politik in der Schweiz beeinflussen könnten. Was seit Generationen für private Haushalte gilt, nämlich die Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen, muss in der verwöhnten Bevölkerung unserer Zeit – immer nach den Vorstellungen einzelner Politiker*innen – ein unzumutbares «No-Go» sein.
Und jetzt?
Einmal mehr ist festzustellen, dass sich Widerstand von links bis rechts gegen die Vorschläge der im Februar 2023 anstehenden Rentenreform der beruflichen Vorsorge regt. Alle am Pensionskassen-System beteiligten Parteien verkünden, wie wichtig dieser Reformschritt sei. Doch bei der Ausmarchung eines Abstimmungspaketes, das eine Chance hätte beim Volk, also einer Kompromisslösung, bei der alle einen gewissen Verzicht akzeptieren müssten, fehlen entsprechende Einsicht und Taten der Verantwortlichen.