Nach ihren Erfolgen bei den Kommunal- und Europawahlen im Frühjahr entsendet sie zum ersten Mal zwei Abgeordnete in den Senat. Es sind nur zwei Abgeordnete der Nationalen Front, die sich von nun an unter 376 andere Kolleginnen und Kollegen der 2. französischen Kammer mischen werden, in diesem Senat, den General De Gaulle einst respektlos als eine “Ansammlung von alten, verkümmerten Relikten“ bezeichnet hatte. Und doch ist es, zumindest symbolisch, schon wieder ein kleines politisches Erdbeben.
Stimmungsbarometer
Gewiss: Viel werden die beiden künftigen Senatoren der Nationalen Front – die erst im März gewählten Bürgermeister aus der Hafenstadt Fréjus am Mittelmeer und aus dem 7. Arrondissement von Marseille – de facto nicht ausrichten können in der altehrwürdigen Versammlung von Honoratioren im Palast am Pariser Jardin Luxembourg, hat doch, laut Verfassung, die Nationalversammlung ohnehin stets das letzte Wort.
Und doch verdient die Tatsache und die Art und Weise, wie die Nationale Front es geschafft hat, zwei Abgeordnete in den Senat zu entsenden, grösste Aufmerksamkeit. Denn es sagt viel aus über die Stimmung, nicht nur in der Bevölkerung Frankreichs, sondern mittlerweile auch unter den Volksvertretern an der Basis, auf dem flachen Land oder in Problemzonen, wie dem nördlichen 7. Arrondissement von Marseille.
Jenseits des eigenen Lagers
Frankreichs Senatoren werden indirekt gewählt. Als am Sonntag die Hälfte der 348 Senatorensitze neu zu besetzen war, standen dafür rund 90´000 Wahlmänner und -frauen zur Verfügung. Zu 95% handelt es sich bei ihnen um Gemeinderatsabgeordnete oder Bürgermeister, zum Teil aus Dörfern mit nur 200 oder 300 Einwohnern.
Die Nationale Front durfte in den Departements, in denen die Senatoren neu gewählt wurden, nach ihrem Erfolg bei den letzten Kommunalwahlen im März, auf rund 1000 eigene Wahlmänner und -frauen zählen. Letztlich haben die Kandidaten der rechtsextremen Partei landesweit aber fast 4000 Stimmen auf sich vereinen können.
Mit anderen Worten: Die Nationale Front hat es geschafft, weit über das eigene Lager hinaus Stimmen zu sammeln. Rund 3000, meist parteilose Gemeinderäte aus kleinen oder mittleren Ortschaften und wahrscheinlich auch der eine oder andere, der für die konservative UMP oder die Zentristen in einem Kommunalparlament sitzt, haben für Marine le Pens Parteigänger gestimmt! Lokalpolitiker, so genannte kleine Abgeordnete, signalisierten damit erstmals in diesem Umfang: die traditionellen, grossen Parteien haben auch für uns jede Glaubwürdigkeit verloren.
Durchlässige Grenzen
Der erst 26-jährige David Rachline, seit seiner Jugend ein engagierter Rechtsextremer, seit März Bürgermeister der 50´000 Einwohnerstadt Frèjus, zieht jetzt als Benjamin in den Senat ein. In seinem Departement verfügte die Nationale Front nur über etwas mehr als 200 Wahlmännerstimmen, der neue Senator von der Ultrarechten erhielt aber mehr als 400. Es gibt Dutzende derartiger Beispiele, quer übers Land verstreut, wo die Kandidaten der Nationalen Front, zwei -, drei -, ja sechs Mal so viele Stimmen bekamen, als sie im Grunde erwarten durften.
Diese Wahlergebnisse sind ein weiteres Indiz dafür, dass die Grenzen zwischen der traditionellen und der extremen Rechten in Frankreich immer durchlässiger werden, gerade fernab der Hauptstadt und der so genannten „grossen Politik“.
Nichts ist unmöglich
Die zwei Abgeordneten der extremen Rechten im französischen Senat sind für Marine Le Pen ein weiterer, grundlegender Schritt in ihrem Unternehmen, die von ihrem Vater vor 42 Jahren gegründete Partei glaubwürdiger und hoffähig zu machen. Und man kann ihr kaum widersprechen, wenn sie nach der Wahl triumphierte und sagte, mit dem Ergebnis bei den Kommunalwahlen sei eine weitere psychologische Schranke gefallen.
Innerhalb von nur 6 Monaten hat die Nationale Front erst bei den Kommunal-, dann bei den Europawahlen und jetzt bei der indirekten Wahl für den Senat einen Erfolg nach dem anderen gefeiert. Stephane Ravier, einer der zwei frisch gebackenen Senatoren der Nationalen Front, seit März Bürgermeister des 7. Arrondissements von Marseille, in dem immerhin 170´000 Menschen leben, frohlockte am Abend seines Wahlsiegs mit den Worten: „Unser Sieg ist ein starkes Symbol und ein starkes Signal und bedeutet, dass nichts mehr unmöglich ist. Es schien unmöglich, im nördlichen 7. Arrondissement von Marseille Bürgermeister zu werden, und wir haben es geschafft. Es schien unmöglich, bei den Europawahlen stârkste Partei zu werden, und wir haben es geschafft. Es schien unmöglich, dass wir jemals Senatoren stellen. Auch das haben wir geschafft. Man sagt uns, dass es unmöglich ist, den Élysée zu erobern. Auch das werden wir noch schaffen.“
Auf allen Ebenen
Natürlich nimmt der neue rechtsextreme Senator den Mund, was den Griff nach dem höchsten Amt im Staat angeht, ziemlich voll. Und doch wird seit März dieses Jahres von Monat zu Monat deutlicher: Die Nationale Front ist dabei, sich auf allen Ebenen der französischen Politik auszubreiten und einzurichten.
Wäre Frankreich eine parlamentarische Demokratie wie der Nachbar Deutschland und würde das Verhältnis- und nicht das Mehrheitswahlrecht gelten, könnte die Nationale Front inzwischen aus Parlamentswahlen eventuell als stärkste Partei hervorgehen … und mit der Bildung einer Koalition und der Regierung beauftragt werden. Premierministerin oder Kanzlerin: Marine Le Pen.