„Die regierende PiS benutzt das Flüchtlingsproblem, um politisches Kapital herauszuschlagen. Dazu nutzen die PiS-Leute auch die von ihnen kontrollierten öffentlichen Fernsehsender. Vor allem die Tagesschau bringt häufig negative Berichte über Flüchtlinge.“ Arkadiusz Cybuch arbeitet auf einer Bank in Krakau. Er meint, wirkliche Flüchtlinge sollte man in Europa aufnehmen, auch in Polen. Damit vertritt er allerdings nur noch eine Minderheitsmeinung.
In einer repräsentativen Umfrage von Mitte Mai wollten knapp 40 Prozent Flüchtlingen aus Kriegsgebieten in Polen Zuflucht gewähren, für ein ständiges Asyl sprachen sich gar nur 5 Prozent aus. 55 Prozent waren gegen jegliche Aufnahmen von Flüchtlingen. Vor einem Jahr hatten sich noch über 70 Prozent für eine Aufnahme ausgesprochen. Damals wie heute sind vor allem weniger gut ausgebildete und weniger verdienende Personen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Im Gegensatz zur Umfrage vor einem Jahr sprechen sich heute besonders jüngere Leute gegen die Flüchtlinge aus.
Harter Kurs der PiS
Dass die Meinungen so deutlich gekippt sind, hängt neben einem europaweiten Trend mit der spezifischen Entwicklung Polens zusammen. Vor den Parlamentswahlen im Oktober 2015 machten die rechten Parteien Stimmung gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen. Die PiS (Recht und Gerechtigkeit) tat sich dabei besonders hervor. Ihr Big Boss, Jaroslaw Kaczynski, sprach beispielsweise davon, dass die Flüchtlinge Krankheiten einschleppen könnten, denen die Polen nichts entgegenzusetzen hätten.
Nach ihrem Wahlsieg nahm die PiS- Regierung eine harte Haltung gegenüber den Flüchtlingen ein. Die erst nach langem Zögern erfolgte Zusage der Vorgängerregierung, insgesamt 6’500 Immigranten von EU-Ländern zu übernehmen, setzte sie nicht um. Von den ersten 100 in Italien und Griechenland ausgewählten Flüchtlingen kam bis jetzt kein einziger in Polen an. Die Polen machten Sicherheitsbedenken geltend, sie hätten die Flüchtlinge nicht bzw. nicht genügend überprüfen können. Im Jahre 2015 bekamen insgesamt nur 346 Personen Asyl. Davon stammten 262 aus Syrien, wobei diese oft Christen waren.
Muslime und Schwarze unter besonderem Druck
„Die PiS hat sicher die Haltung gegenüber den Flüchtlingen negativ beeinflusst. Dass wir in Polen jedoch so negativ gegen Flüchtlinge eingestellt sind, ist schon etwas seltsam, wir sind doch selber in viele Länder ausgewandert“, meint Aleksandra Kucharska, die in Krakau als Kinderbuchillustratorin arbeitet. Wie Untersuchungen gezeigt haben, sind Polinnen und Polen besonders gegenüber Muslimen negativ eingestellt. Fast 60 Prozent gaben in einer Umfrage an, dass die Immigranten aus islamischen Ländern eine Terrorgefahr bildeten und ebenso viele fürchteten sich generell vor Personen islamischen Glaubens.
Dabei gibt es in Polen nach verschiedenen Schätzungen nur etwa 15'000 bis 30'000 Muslime, nicht mal 0,1 Prozent der Bevölkerung. Experten machen auch die Medien für die neue „Islamophobie“ verantwortlich. Es würden vor allem oberflächliche Artikel und Reportagen gezeigt, welche den islamischen Fundamentalismus zum Thema hätten. Wohl noch mehr Anfeindungen sind Schwarze ausgesetzt, eine Minderheit von nur gut 5’000 Personen. Die in einer Studie Befragten sagten zwar aus, dass sie bei der Arbeit und auf den Ämtern im allgemeinen korrekt behandelt würden, nicht aber auf der Strasse. Fast alle gaben an, Aggressionen, Beleidigungen bis hin zu Tätlichkeiten, erfahren zu haben.
Ukrainer als „Wirtschaftsflüchtlinge“
Nach der Polizeistatisik haben Straftaten, die Erniedrigungen und Gewalt mit ethnischem oder religiösem Hintergrund betreffen, in den letzten beiden Jahren stark zugenommen. Wurden 2013 146 solche Tatbestände registriert, waren es 2015 bereits 299. Solche Übergriffe betrafen auch immer mehr Ukrainer, die bei weitem grösste Gruppe von Ausländern in Polen. Allein letztes Jahr bekamen eine halbe Million Ukrainer ein Visum für einen temporären Aufenthalt, 65 Tausend erhielten ein ständige Aufenthaltsbewilligung. Berücksichtig man auch den regen Grenzverkehr und illegale Aufenthalte dürften sich wohl gegen ein Million Ukrainer in Polen aufgehalten haben.
Diese Zahl nannte Ende Januar auch Premierministerin Beata Szydlo, als sie vor dem europäischen Parlament die Politik der neuen polnischen Regierung zu verteidigen suchte. Allerdings sprach sie in diesem Zusammenhang von ukrainischen Flüchtlingen, eine eigenwillige Umdeutung der Realität. Der ukrainischen Botschafter berichtigte, es handle sich hier nicht um Flüchtlinge, sondern um ökonomische Migranten. Von den über 4’000 Ukrainern, die einen Asylantrag gestellt hätten, hätten gerade mal zwei Asyl erhalten. Obwohl die Ukrainer eher mit positiven als negativen Eigenschaften wahrgenommen werden, geben in Umfragen nur gut ein Viertel an, sie würden Sympathie für sie empfinden. Über ein Drittel hingegen empfinden Abneigung. Neben historischen Ursachen hat dies mit der Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zu tun (vgl. Journal21 03.11.2014).
Rechtsradikale Nationalisten im Aufwind
Wie internationale Untersuchungen aufzeigten, haben die Polen generell ein geringes soziales Vertrauen, sind entsprechend Fremden gegenüber eher reserviert. Man vertraut der eigenen Familie und seinem engeren Bekanntenkreis und identifiziert sich gesellschaftlich vor allem mit dem „narod“, der polnischen Nation - auf dem Hintergrund der von fremder Unterdrückung und Kriegen geprägten Geschichte keine überraschende Tendenz. Diese wird durch die intensive politische Polarisierung noch gefördert (vgl. Journal21 vom 06.06.201). Das rechte Lager zelebriert richtiggehend eine spezifische (katholisch geprägte) nationale Kultur.
„Polen ist in letzter Zeit klar nach rechts gerückt. Beunruhigend ist, dass dabei rechtsradikale Gruppierungen deutlich zugelegt haben, vor allem unten den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Seit der Machtübernahme der PiS treten sie vermehrt offen auf.“ Wojtek Modzelewski, emeritierter Soziologieprofessor in Warschau, spricht als Beispiel den Marsch der ONR (Lager der National-Radikalen) mit Fahnen und Armbinden durch die Provinzhauptstadt Bialystock an. Dieser endete sogar mit einer Feier in der Hauptkirche, was in vielen Medien auf Kritik stiess. Der beteiligte rechtsradikal eingestellte Priester wurde nur suspendiert.
Dass die Kirche benutzt werden konnte und die Reaktion von offizieller Seite nur zahm ausfiel, ist kein Zufall. Die Kirche und die Mehrheit ihrer Priester sind einem konservativen Kurs verpflichtet. Und die ONR ist wie praktisch alle Rechtsradikalen auf einen sehr traditionalistischen Katholizismus ausgerichtet, sozusagen als Markenzeichen eines polnischen Nationalismus. Spezifisch ist auch ein ausgeprägter Antisemitismus. Dieser wurde von der bereits 1934 gegründeten, sich am italienischen Faschismus orientierenden historischen ONR übernommen, genauso wie die Konzeption einer organischen hierarchisch organisierten Nation.
Die Stärke der Rechtsradikalen und das Dilemma der PiS
Die ONR ist die stärkste von mehreren rechtsradikalen Gruppierungen. Sie hat einige Tausend Mitglieder und Sympathisanten, die in 15 Provinz-Brigaden organisiert sind. Die meisten sind Studenten, aber auch jüngere Arbeiter und militante Fussballfans sind in ihren Reihen anzutreffen. Es sind ebenfalls vermehrt junge Frauen beigetreten.
Nachdem die ONR längere Zeit vor allem durch provokante Störaktionen gegen linke und progressive Veranstaltungen und Demos Schlagzeilen produziert hatte, gibt sie sich etwas weniger militant. Sie versucht, durch symbolische Aufmärsche Aufmerksamkeit zu erlangen sowie mit sozialen und kulturellen Aktionen Resonanz zu finden. Daneben hetzen sie intensiv gegen Immigranten, zum Teil offen rassistisch. Das ist auch bei andern rechtsradikalen Gruppierungen der Fall.
Die Rechtsradikalen stellen für die herrschende PiS ein Dilemma dar. Einerseits sind sie eine Konkurrenz, die man möglichst klein halten will. Eine polnische Jobbik soll auf jeden Fall verhindert werden. Anderseits lassen sie sich propagandistisch verwerten, indem man sich selbst als relativ moderate, aber entschlossen agierende rechtsnationale Kraft darstellt. Dabei spielt die restriktive Politik gegenüber den Flüchtlingen und Immigranten eine wichtige Rolle. Wie in andern Ländern Europas stehen diesen auch in Polen alles andere als leichte Zeiten bevor.