In zehn Tagen stimmt die Schweiz über ein neues Nachrichtendienstgesetz (NDG) ab. Es gibt dem Nachrichtendienst des Bundes neue Möglichkeiten: Privaträume verwanzen, in Computer eindringen („Staatstrojaner“), elektronische Kommunikation abfangen (Kabelaufklärung). Heikle Dinge fürwahr! Bundesrat und Parlament versichern, das NDG gewährleiste die „Balance zwischen den beiden hohen Gütern der Sicherheit und der Freiheit“ (so in der Abstimmungsbroschüre). Laut Bundesrat gelingt die Gratwanderung dank strengen Bedingungen für eine Überwachung, unabhängiger Aufsicht und dem Recht der Betroffenen auf Auskunft seitens des Nachrichtendienstes.
Gibt man sich nicht mit diesen gouvernementalen Erklärungen zufrieden, so liest man eben das vorgeschlagene Gesetz. Das ist zwar ein Stück Arbeit – 88 Paragraphen auf 38 Druckseiten –, aber dringend zu empfehlen. Die Lektüre ist nämlich ebenso verwirrend wie erhellend. Man stösst auf einen Wust von Vorschriften, oft konstruiert nach dem Prinzip „im Grundsatz unzulässig, aber in den nachfolgend aufgeführten Fällen erlaubt“.
Der Detaillierungsgrad ist überwältigend. So werden die zu führenden neun Informationssysteme säuberlich definiert und einzeln geregelt. Es finden sich Anweisungen für die Honorierung von „menschlichen Quellen“ – im Klartext: von Spitzeln. Und für Datenlieferungen an Geheimdienste zweifelhafter Provenienz bietet das Gesetz einen Strauss von Rechtfertigungen. Das NDG ist der heroische Versuch, die Tätigkeit des Nachrichtendienstes juristisch bis in alle Einzelheiten genauestens zu erfassen und zu regeln mit einer irritierenden Mischung aus bürokratischer Akribie und fast beliebiger Dehnbarkeit.
Als eigentliche Mogelpackung entpuppt sich das versprochene Auskunftsrecht. Verlangt jemand Information über eine vermutete Schnüffelei, so verfügt der Nachrichtendienst einen Aufschub. Der Antragsteller kann sich an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) wenden und abklären lassen, „ob allfällige Daten rechtmässig bearbeitet werden und ob überwiegende Geheimhaltungsinteressen den Aufschub rechtfertigen“ (NDG, Art. 63). – Antwort bekommt man deswegen noch lange nicht. Vielmehr folgt im Gesetz eine Kaskade von Prozeduren bis zum Bundesgericht, die sich über viele Jahre hinziehen kann. Wer mit dem Begriff Auskunftsrecht die Vorstellung verbindet, auf eine schlichte Frage eine klare Antwort zu erhalten, sieht sich getäuscht.
Das NDG erweckt den Eindruck eines juristischen Wildwuchses, dessen eigentlicher Zweck darin besteht, auf Vorrat Begründungen zu liefern für das, was der Nachrichtendienst ohnehin tut oder zu tun gedenkt. Böse Absichten seien ihm damit nicht unterstellt. Aber ein solcher Dienst folgt nun einmal seiner eigenen Logik, und das NDG lässt das Bemühen erkennen, ihr nicht im Weg zu stehen.
Das vorgeschlagene Gesetz ist in dem Sinn schädlich, als es dem Volk zu Unrecht verkauft wird als Garantie für die Einhaltung der vom Bundesrat beschworenen Balance. Es ist im Gegenteil ganz aus der Sicht des Nachrichtendienstes formuliert und dämmt die wenigen Korrektive bis zur Bedeutungslosigkeit zurück. Das NDG ist keine Garantie, dass das Observieren nicht – trotz den Erschütterungen der Fichen-Skandale – erneut überbordet und die Daten nicht auch zukünftig zum Nachteil unschuldig Bespitzelter missbraucht werden können.
Ist das NDG dann wenigstens der versprochene Gewinn für die Sicherheit? – Damit ist nicht zu rechnen. Bekannte Schwachstellen bei der Bekämpfung von Terrorismus liegen nicht bei der Aufklärung, sondern bei Justiz und Strafvollzug, bei mangelnder Kooperation von Behörden sowie unzureichender Verwertung bekannter Informationen. Es gibt keinen triftigen Grund, die Terrorangst zur politischen Ratgeberin zu machen. Deshalb: Nein.