Es wird nicht einfach sein, das neue Nachrichtendienstgesetz zu verhindern. Doch es bringt nicht mehr Sicherheit, aber weniger Grundrechtsschutz.
Der Grundrechtsschutz ist nur etwas wert, wenn er auch schwerstem Gegenwind standhält. Fraglos gehört der Schutz der Privatsphäre zu den Kerngrundrechten unserer Verfassung. Gleichzeitig sind terroristische Anschläge im Namen des Islam auftretender Terroristen zu einer elementaren Bedrohung der Sicherheit auch in westeuropäischen Ländern geworden.
Wir leben noch unter dem Schock der jüngsten fürchterlichen Anschläge in Brüssel, aber auch jener Attacken in Lahore wenig danach - und in Ankara kurz zuvor. Nach jedem Terroranschlag stellt sich die berechtigte Frage, ob er durch die zuständigen staatlichen Organe hätte verhindert werden können. Und niemand wird widersprechen, dass es Aufgabe der zuständigen staatlichen Behörden ist, alles vorzukehren, um weitere Anschläge zu verhindern. Dass solche auch künftig wahrscheinlich sind, davon ist auszugehen.
Auch in der Schweiz besteht eine Bedrohungslage
Die unmittelbare Bedrohungslage ist dabei nicht in allen westeuropäischen Ländern gleich gross. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa, ob ein Land am Bombenkrieg gegen den IS beteiligt ist, ob ein Milieu besteht, aus dem einheimische Terroristen herauswachsen oder von der Zahl der Heimkehrer aus dem Gebiet des IS. Sie mag für die Schweiz berechtigt als kleiner erscheinen als in anderen Ländern, vorhanden ist sie dennoch.
Die zuständigen Behörden in der Schweiz haben bislang auf diese Situation terroristischer Bedrohung angemessen und gleichsam nüchtern reagiert. Der von Parlamentariern, die sich als für innere Sicherheit besonders kompetent ansehen, verlangten Vorwegeinführung des Staatstrojaners per Notrecht für den Nachrichtendienst hat der VBS-Chef eine klare Absage erteilt.
Erweiterte Kompetenzen des Nachrichtendienstes?
Im Herbst stimmen wir nun über das neue Nachrichtendienstgesetz NDG ab, gegen das das Referendum erfolgreich ergriffen worden ist. Im Kern geht es um die Erweiterung der Kompetenzen des Nachrichtendienstes; namentlich steht in Frage, ob der Nachrichtendienst künftig private Gespräche belauschen, Wohnungen verwanzen und ob er in private Computer eindringen darf. Gleichzeitig erwecken neue Befugnisse der Kabelüberwachung im Lichte der Enthüllungen Snowdens ernsthafte und unüberwindliche Bedenken.
Die Sache ist freilich nicht ganz einfach, weil ein zweites Gesetz mit dem NDG im Zusammenhang steht, das von der Bundesversammlung in der Märzsession 2016 verbschiedet worden ist, die Revision des Büpf (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs). Auch bei diesem Gesetz geht es um die Einführung eines Staatstrojaners. Was unterscheidet nun aber NDG und Büpf?
Zuschlagen schon bei Verdacht
Der Nachrichtendienst ist gemäss NDG für die Überwachung im Vorfeldermittlungsstadium zuständig, immer dann und nur dann, wenn noch kein konkreter Tatverdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt. Liegt eine solche indes vor, fällt die Überwachung in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft oder kantonaler Staatsanwaltschaften, deren Überwachungskompetenzen im Büpf geregelt sind.
Die herkömmliche Meinung, der Nachrichtendienst sei für die Prävention, die Bundesanwaltschaft für die Reaktion auf eine Straftat zuständig, erweist sich dabei als falsch. Denn strafbar ist bei schweren Delikten wie bei terroristischen Anschlägen bereits die Vorbereitungshandlung hierzu, die Bundesanwaltschaft muss mithin bereits zuschlagen, hat sie den Verdacht, jemand begehe Vorbereitungen zu einer terroristischen Tat. Das tat sie auch mit Erfolg, wie der jüngst in Bellinzona stattgefundene Prozess gegen vier Iraker, die terroristische Attentate nach Meinung des Gerichtes geplant haben und einer kriminellen Organisation angehören sollen, beweist.
Tausende überwachter Personen
Soll der Nachrichtendienst diese neuen zusätzlichen Kompetenzen erhalten? Antwort: Nein. Schon heute verfügt der Nachrichtendienst über weitgehende Überwachungsbefugnisse und führt eine ansehnliche Zahl von Dateien mit tausenden von überwachten Personen. Über IS-Reisende und Rückkehrer war er nach eigenen Angaben stets im Bild.
In der Gesetzesberatung führte der damalige VBS-Chef Ueli Maurer an, der Staatstrojaner diene nur der Überwachung von zwölf bis fünfzehn Personen pro Jahr. Diese Zahl würde er heute wohl erhöhen. Das ändert hingegen nichts daran: Bliebe es bei einer vergleichsweise geringfügigen Zahl an Überwachten, wären es fraglos Personen, für deren Überwachung bereits die Bundesanwaltschaft zuständig ist. Soll die Überwachung aber effektiv und milieumässig flächendeckend vorgenommen werden, ist sie ein nicht mehr zulässiger unverhältnismässiger Grundrechtseingriff – im Übrigen auch ein kaum bezahlbarer.
Die Staatsanwaltschaften hätten eingreifen müssen
Ist dies eine „Datenschutzluxusargumentation“? Keineswegs. Es ist vielmehr eine Argumentation, die auf eine klare Abgrenzung zwischen geheimdienstlicher und staatsanwaltschaftlicher Zuständigkeiten zielt und verhindert, dass der Nachrichtendienst zu weit gehende Schnüffelkompetenzen erhält. Damit das Prinzip gilt: kein Lauschangriff ohne Tatverdacht.
An den letzten sechs Anschlägen in Paris, Kopenhagen und Brüssel vom Mai 2014 bis zum 22. März 2016 waren unmittelbar 17 islamistische Attentäter beteiligt. Von diesen sind zwei noch nicht abschliessend identifiziert. Hingegen waren alle übrigen 15 Attentäter behördlich bekannt und standen in mindestens einem Land auf einer Terrorwarnliste. Zehn hatten Vorstrafen, die meisten wegen Gewaltverbrechen. Acht waren zum Teil seit Jahren zur Fahndung ausgeschrieben. Es waren mithin überwiegend Personen, gegen welche die dortigen Staatsanwaltschaften hätten eingreifen können und müssen, wie das die Bundesanwaltschaft im vorerwähnten IS Iraker Fall tat, also ohne jedes neue Gesetz.
Grundrechtsverstoss
Was bedeutet dieses Nein zum NDG nun bezüglich Büpf? Das Hauptproblem beim Büpf betrifft die Vorratsdatenspeicherung. Diese führt zu einem unzulässigen Grundrechtseingriff – alle unsere Eckdaten sind dort grund- und anlasslos gespeichert -, weil Daten flächendeckend ohne individuell konkreten Anlass zuhanden der Staatsanwaltschaften aufbewahrt werden. Das sieht auch der Europäische Gerichtshof so, der verlangt, dass zur Berechtigung der Speicherung von Personendaten gewisse Voraussetzungen eines Anlasses dafür vorhanden sein müssen. Im Gegensatz zur Ansicht von Bundesrätin Sommaruga ist es nicht so, dass die schweizerische Regelung diesen Voraussetzungen Rechnung trägt. Bei der jetzigen Revision bleibt nun aber alles beim Alten: bei der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung.
Um die Chancen eines Referendums zu minimieren, haben die Räte und Bundesrätin Sommaruga vom völlig abwegigen ursprünglichen Vorhaben, die Vorratsdatenspeicherung auf zwölf Monate zu erhöhen, im Differenzbereinigungsverfahren schliesslich abgesehen. Einem Antrag auf deren Abschaffung, den ich damals noch gestellt hatte, war im Nationalrat kein Erfolg beschieden. Sie bleibt also im Gesetz, im Falle einer Ablehnung der Büpf-Revision bliebe die Vorratsdatenspeicherung mithin so geregelt wie sie das heute ist. Beim Büpf-Referendum geht es also nicht um die Vorratsdatenspeicherung, gegen deren Zulässigkeit übrigens auch eine Klage rechtshängig ist. Es wird interessant sein, wie unsere Gerichte diesen Grundrechtsverstoss beurteilen. Ich gebe der Klage jedenfalls gute Chancen, spätestens beim europäischen Verfassungsgerichtshof Recht zu bekommen.
Gute Gründe gegen den Büpf-Staatstrojaner
Auch das neue Büpf sieht nun aber die Einführung eines Staatstrojaners vor, dem allerdings engere Schranken als beim NDG gesetzt sind. Diesen Staatstrojaner aus grundsätzlichen Erwägungen mit dem nun lancierten Referendum zu bekämpfen, gibt es fraglos gute Gründe. Darüber wird separat zu diskutieren sein.
Absurd freilich wäre es, wenn das NDG im kommenden September gutgeheissen würde und am Schluss der Nachrichtendienst, der ohne jeden Tatverdacht seinen Lauschangriff starten darf, über einen unhaltbar geregelten Staatstrojaner verfügte, nicht aber die Bundesanwaltschaft und Staatsanwaltschaften, die wenn konkrete Verdachtsmomente eines Verbrechens vorliegen, am Zuge sind. Mir scheint, dass gewisse Leute von der SVP genau dieser Meinung waren und einige sie immer noch vertreten.
Blauäugig und dumm
Hauptsache wird es deshalb sein, das NDG in dieser Form zu verhindern. Auch angesichts neuer Erkenntnisse aus den Terrorfällen der letzten Zeit wäre es blauäugig und dumm, dem Nachrichtendienst solche Befugnisse des Eindringens in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürger, gegen die nichts strafrechtlich relevantes vorliegt, zu zuerkennen. Zugegeben: es wird nicht ganz einfach sein, angesichts der aktuellen Stimmungslage gegen das NDG zu argumentieren, zumal es um komplizierte Sachverhalte geht. Dem Gegenwind gilt es indes trotzig standzuhalten. Auch wenn wir weit entfernt von den durchgeknallten, nun aufgegebenen, Vorhaben und bereits geltenden Notrechtsmassnahmen des den harten republikanischen Staatsmannes mimenden François Hollande sind, geht auch das NDG den entscheidenden Schritt zu weit. Es bringt kein entscheidendes Mehr an Sicherheit, aber ein entscheidendes Weniger an Grundrechtsschutz.