Unter den Gründen, die Donald Trumps Wahl zum 47. Präsidenten der USA erklären, ist die negative Wahrnehmung der Wirtschaftslage durch die Bevölkerung wohl der wichtigste. Derweil ist die demokratische Partei für die Niederlage von Kamala Harris teils selber schuld.
Während am Dienstag in Swing States noch gewählt wurde, machte sich im Verlauf des Abends in den Wahlbezirken der Ostküste eine für Demokraten ernüchternde Erkenntnis breit: Zwar lag ihre Präsidentschaftskandidatin vorn, aber nicht mit jenen Margen, die auf ihren Sieg hätten deuten lassen. Es war ein Trend, der sich in der Folge verstärken sollte und jene Prognosen Lügen strafte, die einen engen Wahlausgang und allenfalls noch Tage der Ungewissheit oder sogar der Proteste vorausgesagt hatten.
Um halb elf dann verkündete der Moderator Brett Baier auf dem konservativen Sender Fox News «den wahrscheinlich grössten Phönix aus der Asche, der in der Geschichte der Politik je gesehen worden ist». Wie dann im Verlauf des Mittwochs von den Medien bestätigt, stand fest, dass Donald Trump, nach dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 selbst von Teilen der eigenen Partei geächtet, ein erstaunliches Comeback gelungen war, wie es selbst Hollywood nicht schöner hätte inszenieren können.
Trump habe mit seinem klaren Sieg, interpretierten Kommentatoren am Bildschirm, vom amerikanischen Volk «ein eindeutiges Mandat» erhalten, das umzusetzen ihm angesichts des Gewinns der republikanischen Mehrheit im Senat und allenfalls auch jener im Repräsentantenhaus noch leichter fallen dürfte. «Es ist Zeit, die Spaltungen der vergangenen vier Jahre hinter uns zu lassen», sagte der Wahlsieger, als er gegen halb drei Uhr nachts im Kongresszentrum in West Palm Beach, mit 50 amerikanischen Flaggen im Hintergrund, vor seine ekstatische Anhängerschaft trat und eine mäandernde Rede hielt. «Trump wird es richten», verkündete ein Schriftzug, Weiss auf Rot, am Rednerpult.
«Es ist Zeit zur Versöhnung», sagte der Mann, der so vieles unternommen hat, um Amerika zu spalten sowie die Legitimität der Wahl und selbst der amerikanischen Verfassung anzuzweifeln: «Dies war ein überwältigender Sieg für Demokratie und Freiheit.» Er lobte den Unternehmer Elon Musk, einen seiner engsten und finanzstärksten Unterstützer: «Wir haben einen neuen Star. Ein Star ist geboren: Elon.» Donald Trump pries ferner den Verschwörungstheoretiker und Impfgegner Robert F. Kennedy Jr., im Kongresszentrum mit auf der Bühne, und versprach, der umstrittene Sprössling der berühmtesten Dynastie des Landes werde Amerika «erneut gesund werden» lassen.
In den kommenden Tagen dürften zahlreiche Wahlnachbetrachtungen zu lesen, zu hören und zu sehen sein, welche die Motive der amerikanischen Wählerschaft genauer unter die Lupe nehmen und analysieren, welche Gruppen oder Segmente der Gesellschaft weshalb und in welchem Ausmass für die demokratische Kandidatin oder den republikanischen Kandidaten gestimmt haben. Auch ohne eine exakte Analyse der landesweiten Exit Polls lassen sich aber Gründe für Donald Trumps Wahltriumph anführen – an erster Stelle wohl die Wirtschaftslage und deren Auswirkungen auf die Stimmung im Land.
Obwohl die Preise im September lediglich um 2,1 Prozent stiegen und die Wirtschaft im vergangenen Quartal um 2,8 Prozent wuchs, sagten 75 Prozent amerikanischer Wählerinnen und Wähler im Oktober, die Wirtschaftslage sei schlecht. Dies gepaart mit dem Ergebnis einer anderen Befragung nur zwei Tage vor der Wahl, die ergab, dass 74 Prozent der Wählerschaft fand, die Nation bewege sich in eine falsche Richtung.
Seit 1980 ist aber eine solche Einschätzung in den USA ein sicheres Indiz dafür gewesen, dass die Partei an der Macht das Weisse Haus verlieren wird. Kam dazu, dass das Arbeitsministerium in Washington DC nach den jüngsten Wirbelstürmen und grösseren Streiks kurz vor der Wahl ein lediglich langsames Wachstum der Arbeitsplätze prognostizierte.
«Der Jobs-Report beweist endgültig, dass Kamala Harris und Crooked Joe unser Land in den wirtschaftlichen Abgrund gesteuert haben», sagte Donald Trump letzte Woche an einer Wahlveranstaltung in Michigan. Doch gegen solche widrigen Umstände anzukämpfen, wäre auch für jede andere Kandidatin oder jeden anderen Kandidaten der Demokraten als Kamala Harris ein fast unüberwindliches Hindernis gewesen, folgerte auf CNN Barack Obamas Wahlkampfchef David Axelrod.
Donald Trump punktete 2024 auch beim Thema Einwanderung, das er im Wahlkampf aggressiv und nicht immer wahrheitsgetreu bewirtschaftet hatte. Unter anderem forderte er die Todesstrafe für Einwanderer, die Polizisten töten, und warnte vor kriminellen Gangs, die Amerikas Vorstädte unsicher machen würden: «Die Suburbs werden attackiert.» Unvergessen seine Behauptung, Einwanderer aus Haiti würden in Springfiel (Ohio) Katzen und Hunde ihrer Nachbarn essen. Auf jeden Fall war für 15 Prozent der Befragten laut einer Umfrage der «New York Times» und des Siena College Einwanderung das wichtigste Thema für den Wahlentscheid. Für 27 Prozent der Befragten war es die Wirtschaft.
Im Weitern dürften Amerikas Kulturkrieg, der auch demokratische Wählerinnen und Wähler nicht unberührt liess, Wahlentscheide beeinflusst haben. Donald Trump taten es dabei vor allem die seiner Meinung nach überrissenen Rechte für Transgender-Menschen an. Er behauptete wiederholt und völlig unbegründet, Kinder würden am Morgen zur Schule gehen und nach einer Operation ohne Wissen ihrer Eltern mit einem anderen Geschlecht nach Hause kommen. Nicht umsonst gaben der Kandidat und republikanische Gruppen 65 Millionen Dollar für Anzeigen aus, die sich auf Trans-Themen stützen.
Bret Stephens, ein konservativer Kolumnist der «New York Times», hat bereits vor der Wahl am 5. November mögliche Gründe für eine Niederlage von Kamala Harris ausgemacht: Nicht das Wahlmännergremium, nicht weisser Rassismus, nicht schwarzer Sexismus und auch nicht Präsident Biden, sondern die Art und Weise, wie führende Köpfe in Regierung, Universitäten und Medien heute politisierten. Unter anderem nennt er die «Politik der Herablassung», die Barack Obama im Wahlkampf verkörpert hat, als er schwarze Männer dafür tadelte, keine Fau als Präsidentin wählen zu wollen. Dazu tritt Stephens zufolge «die Politik der Beleidigung», die jedes Mal zum Zug kommt, wenn Trump-Wählerinnen und Wähler als rassistisch, frauenfeindlich, seltsam, phobisch, uninformiert oder jüngst als faschistisch beschimpft wurden. Oder «die Politik des Vertuschens», verkörpert durch jene Medienschaffenden, die noch für Joe Bidens geistige Fitness bürgten, als diese bereits im Schwinden war.
Weiter führt Bret Stephens «die Politik der Arroganz» an, die es Kamala Harris erlaubt habe, konkurrenzlos und ohne eine demokratische Vorausscheidung ins Rennen zu gehen, was Unabhängige einer Partei gegenüber skeptisch gestimmt haben könnte, welche die Rettung der Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hat. Der Kolumnist tadelt ferner «die Politik der selektiven Anerkennung traditioneller Normen», wenn Demokraten zum Beispiel forderten, das Wahlmännergremium abzuschaffen, im Senat den Filibuster zu verbieten oder ohne Zustimmung des Kongresses Studentendarlehen zu erlassen. Dazu gehöre auch die Kritik an Donald Trumps Attacken auf die Medien, ohne den Versuch der Regierung Biden zu erwähnen, soziale Medien zur Zensur von Meinungen zu veranlassen, die dem Weissen Haus missfallen.
Es sind Beweggründe für Amerikas Wahlentscheidung, die auch die Leitartikler der «New York Times» am Tag nach dem Urnengang unter dem Titel «Amerika trifft eine gefährliche Wahl» aufgreifen: «Für die Demokratische Partei wird es nicht ausreichen, als politische Opposition die Nachhut zu bilden. Die Partei muss sich auch damit auseinandersetzen, warum sie die Wahl verloren hat. Sie hat zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass Präsident Biden nicht in der Lage war, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Sie hat zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass grosse Teile ihrer progressiven Agenda die Wähler verprellen, darunter einige der treuesten Anhänger ihrer Partei. Und die Demokraten bemühen sich seit drei Wahlen um eine überzeugende Botschaft, die bei Amerikanern beider Parteien, die das Vertrauen in das System verloren haben, Anklang findet – was skeptische Wähler zu dem offensichtlicheren Störfaktor getrieben hat, obwohl eine grosse Mehrheit der Amerikaner seine schwerwiegenden Fehler anerkennt.»
Und an die Adresse der Wählerschaft richtet die liberale Zeitung folgenden Appell: «Was auch immer diese Wähler zu dieser Entscheidung bewogen hat, alle Amerikaner sollten jetzt vor einer neuen Trump-Regierung auf der Hut sein, die wahrscheinlich der Anhäufung unkontrollierter Macht und der Bestrafung ihrer vermeintlichen Feinde oberste Priorität einräumen wird – beides hat Mr. Trump wiederholt versprochen. Alle Amerikaner, unabhängig von ihrer Partei oder Politik, sollten darauf bestehen, dass die Grundpfeiler der Demokratie des Landes – einschliesslich der verfassungsmässigen Kontrolle und Ausgewogenheit, fairer Bundesstaatsanwälte und Richter, eines unparteiischen Wahlsystems und grundlegender Bürgerrechte – vor einem Angriff bewahrt werden, den er bereits begonnen hat und den er fortsetzen will.»