Scharfe Blicke auf die Gesellschaft in Portugal des 19. Jahrhunderts, Skandale und Tragik, aber auch feiner Spott und bissige Ironie – das kennzeichnet die Romane von José Maria Eça de Queiroz. Manche Eindrücke erscheinen bis heute aktuell. Von seinem Hauptwerk liegt eine neue deutsche Übersetzung vor.
Diese Zeilen beginnen mit einer persönlichen Note ihres Verfassers, der seit gut 40 Jahren in Portugal lebt. So manche Gepflogenheiten im Land wären für ihn viel fremder, hätte er nicht vor Jahren verschiedene Romane von José Maria Eça de Queiroz (1845–1900) verschlungen.
Er musste viel schmunzeln, und immer wieder fühlte er sich an Eindrücke im eigenen Alltag erinnert. Eças Hauptwerk ist «Os Maias» (Die Maias), von dem der Verlag Carl Hanser eine neue deutsche Übersetzung herausgebracht hat.
Die Zivilisation, die mit dem Dampfer kam
Lissabon in den 1870er Jahren. Carlos, die Hauptfigur im Roman, ist ein junger Mann aus gutem Hause, der Medizin studiert hat. Als Freund hat er Ega, revolutionär gesonnener radikaler Atheist, Dandy und Frauenheld mit literarischen Ambitionen und der Idee, einen geselligen kulturellen Abend zu organisieren. Hübsche Frauen sollen die Stimmung heben. Woher sollen sie kommen, fragt Carlos, unter Hinweis auf strenge Sitten im Land. Wenn keine Frauen kommen, werden sie eben importiert, so Ega, das sei in Portugal doch die natürliche Lösung für alles. Gesetze, Ideen, Philosophien, Theorien, Ästhetiken, Wissenschaften, Stilrichtungen, Moden, Manieren, Witze – «alles wird in Kisten mit dem Dampfer angeliefert. Durch die ganzen Zollgebühren kommt uns die Zivilisation sehr teuer zu stehen: Und sie ist aus zweiter Hand, nicht für uns gemacht, ein bisschen zu kurz an den Ärmeln …»
Nein, natürlich ist Portugal heute nicht mehr dasselbe rückständige Agrarland wie im fernen Jahr 1888, als Eça de Queiroz (auch Queirós geschrieben), einer der wichtigsten Autoren des Landes im 19. Jahrhundert, «Os Maias» veröffentlichte. Unbestritten ist aber, dass sein Werk aktuell bleibt. Hinter diesem Konsens steckt das unbequeme Eingeständnis, dass Portugal hier und da doch noch ähnlich tickt wie einst.
Blicke von aussen und innen
Als die portugiesischen «Buddenbrooks» beschreibt der Verlag diesen Klassiker, der zur Pflichtlektüre in der Sekundarstufe gehört. Eça beschreibt – mitunter zugegebenermassen langatmig - und karikiert mit Scharfsinn, bissigem Spott und feiner Ironie die Gesellschaft seiner Zeit, mitsamt Frömmelei, Klüngel und Skandalen. Ganz sind ist dieser Titel und Eça allgemein im deutschen Sprachraum indes nicht. Im Laufe der Jahrzehnte erschienen schon Übersetzungen mehrerer Werke, angefertigt teilweise von westdeutschen Verlagen. Eine Übersetzung von «Os Maias» fand derweil in den 1980er Jahren kurioserweise über den Umweg der DDR in westdeutsche Buchläden.
Eça hatte eine privilegierte Perspektive, die es ihm erlaubte, über den Rand des lusitanischen Suppentellers hinaus zu blicken. Im Fischerort Póvoa de Varzim (nördlich von Porto) geboren, studierte er Jura in Coimbra und bekleidete öffentliche Ämter, begann aber auch früh, sich als kritischer Beobachter des Zeitgeschehens zu profilieren und sich schreibend zu engagieren. Er reiste 1869 zur Eröffnung des Suez-Kanals nach Ägypten und berichtete für die (bis heute erscheinende) Zeitung «Diário de Notícias». Später vertrat er sein Land als Konsul erst in La Habana, dann in England (in Newcastle und Bristol) und zuletzt in Paris, wo er starb. Er war aber auch mit dem städtischen und ländlichen Portugal bestens vertraut.
Der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten
Er wollte die portugiesische Gesellschaft malen, schrieb er einmal einem Freund, und seinen Landleuten wie in einem Spiegel vorhalten, was für ein trauriges Land sie bildeten. So manche Vornehmtuer von heute mögen sich beim Blick in Eças Spiegel selbst erkennen. Sie bewegen sich heute nicht mehr in Pferdekutschen, sondern vorzugsweise im Audi oder BMW, die Frauen tragen kürzere Kleider, aber das moderne Portugal wäre Eça, wenn er zu neuem Leben käme, nicht ganz fremd. Auch 115 Jahre nach dem Sturz der Monarchie im Jahr 1910 und nunmehr 50 Jahre nach der «Nelkenrevolution» von 1974 kann das Land mit seinen informellen gesellschaftlichen Hierarchien und seinem familiär-trauten Filz nur bedingt als wirklich offen gelten.
Eça lässt sein Publikum dabei bis heute schmunzeln. Und ihm wird jetzt eine besondere Ehre zuteil. Seine sterblichen Überreste, die bisher auf dem Friedhof im nordportugiesischen Santa Cruz do Douro begraben waren, sollen an diesem Mittwoch im Lissabonner Nationalpantheon die allerletzte Ruhe finden, mit pompösen Ehren –, die er selbst vielleicht bissig kommentieren würde.
Eça hätte noch mehr zu bieten
Die Neuübersetzung von «Os Maias» ist nicht ganz frei von Patzern, die bemerkt grösstenteils aber nur, wer das Original kennt. Hilfreich auch für Leute, die Portugal kennen, sind die ausführlichen Anmerkungen, dank denen es auch leichter ist, einige Orte der Handlung zu identifizieren.
Eça hätte dem deutschsprachigen Publikum noch viel mehr zu bieten, etwa mit dem Roman «O crime do Padre Amaro» (Das Verbrechen des Paters Amaro) um Kleriker in einer Provinzstadt, die sich gegen den Liberalismus verschwören und es mit der Keuschheit nicht sehr ernst nehmen (recht gut ist die mexikanische Verfilmung von Carlos Carrera aus dem Jahr 2002, die der Geschichte aber ein zeitgemässeres Ende gibt; von diesem Roman erschien in Portugal gar eine Comic-Version). Sehr bissig ist auch «O Primo Basílio», (Vetter Basílio), mit dem Ehebruch als einem zentralen Thema, geschrieben vermutlich unter dem Einfluss von Gustave Flauberts «Madame Bovary». Carl Hanser plant derzeit aber nicht, weitere Werke von Eça herauszugeben, teilt der Verlag mit. Schade.
José Maria Eça de Queirós: Die Maias.
Episoden aus dem romantischen Leben
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marianne Gareis
Hanser Verlag, München
944 Seiten, ca. 44 Euro