Der Westen – inklusive die Schweiz – spielt im Sudan eine kümmerliche Rolle. Blauäugig fiel man auf die Schalmeien der Generäle herein. Der Rücktritt des Ministerpräsidenten wirft das Land um Jahre zurück. Der Sudan bleibt, was er war: eine Militärdiktatur.
Seit Wochen gehen im Sudan Zehntausende auf die Strasse und demonstrieren gegen das Militär. An diesem Wochenende gab es wieder Tote. Eigentlich hätte das sudanesische Militär jetzt die Macht abgeben sollen. So sah es ein Abkommen vor, das nach dem Sturz des Langzeit-Diktators Omar al-Baschir im Juli 2019 zwischen der Armee und der Demokratiebewegung geschlossen worden war.
Der Pakt sah vor, dass das Land zunächst 21 Monate lang von einem «souveränen Rat» unter der Führung von Armeegeneral Fattah al-Burhan geleitet werden soll.
Nach diesen 21 Monaten übernahm die Opposition die Führung des Rates. Zum Ministerpräsidenten wurde Abdalla Hamdok ernannt. Laut dem Abkommen hätten in diesem Jahr freie Wahlen stattfinden sollen. Dann hätte das Militär endgültig abtreten müssen.
Die Generäle schadronieren von Demokratie, haben aber nicht die Absicht, die Macht abzugeben.
Doch schon bald war klar geworden, dass die Generäle zwar von Demokratie schwadronieren, aber nie wirklich die Absicht hatten, die Macht abzugeben.
Nicht umsonst. Die Militärs dominieren wirtschaftlich das Land und bereichern sich schamlos. Zudem fürchten einige Armeeführer, in einem demokratischen Sudan für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht zu werden – vor allem für Verbrechen in Darfur.
Ende Oktober putschte die Armee und erklärte das Abkommen für ungültig. Die internationale Entrüstung war gross. Tausende gingen im Sudan auf die Strasse. Die Armee tat dann das, was sie seit langem tut: Sie spielt auf Zeit und setzte am 21. November 2021 den abgesetzten Ministerpräsidenten Abdalla Hamdok wieder ein.
Und was taten die Uno, der Westen, die Schweiz: Sie zeigten sich erleichtert und «ermutigt» (encouraged) über die Wiedereinsetzung des Ministerpräsidenten. Uno-Generalsekretär António Guterres forderte die Sudanesinnen und Sudanesen auf, Hamdock zu untersützen, um einen «friedlichen Übergang in eine echte Demokratie» zu ermöglichen. Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken sprach von einem «wichtigen, ersten Schritt», um den Demokratisierungsprozess «wieder auf Kurs» zu bringen. Die USA, die EU, Grossbritannien, Kanada, Norwegen und die Schweiz erklärten in einem gemeinsamen Communiqué, man «begrüsse» das neue Abkommen – bestärke aber gleichzeitig die Solidarität mit der sudanesischen Bevölkerung und unterstütze einen «erfolgreichen Übergang in einen freien, demokratischen, gerechten und friedvollen Sudan».
Hat man nicht gemerkt, welches Spiel die Armee spielt? Ist man in der Uno-Zentrale am East River und in den Amtsstuben der Aussenministerien so unbedarft, dass man nicht sah, dass diese Wiedereinsetzung nur ein Schritt war, um die Gemüter zu beruhigen. Schon einmal spielte die Armee das gleiche Spiel: drei Schritte vor und einen zurück. Und es funktionierte auch diesmal.
Ist man im EDA so naiv, dass man nicht merkte, wie die sudanesischen Militärs den Westen über den Tisch zogen?
Der Westen hätte die Armeeführung schon etwas härter anfassen können. Man hätte mit unmissverständlichen Worten die Armee darauf hinweisen sollen, dass sie einen eklatanten Vertragsbruch beging, indem sie sich weiter an die Macht klammert. Nein, man palavert mit diplomatischen Floskeln um den Brei herum. Auch dem schweizerischen Aussenministerium hätte eine härtere Gangart für einmal gut angestanden.
Ist man im Berner EDA so naiv, dass man nicht merkte, wie die sudanesischen Militärs den Westen über den Tisch zogen? Wie offensichtlich war es doch, dass der wiedereingesetzte Hamdok nur ein Feigenblatt der Militärs war. Dass er sich überhaupt dazu hergab, empfand die sudanesische Demokratiebewegung als pure Schande.
Die laue, fast schon freundliche Reaktion des Westens hat die sudanesischen Armeekreise wohl nicht nur amüsiert, sondern sie auch zur Erkenntnis gebracht: Mit dem Westen können wir tun, was wir wollen.
Tatsache bleibt: Die Militärs haben das Abkommen vom Sommer 2019 gebrochen und bleiben an der Macht, obwohl sie diese Macht hätten abgeben müssen.
Doch jetzt wurde es selbst Hamdok zu viel.
Abdulla Hamdok, der wiedereingesetzte Ministerpräsident, ein Wirtschaftswissenschaftler, eigentlich ein ehrenwerter Mann, der lange für die Uno gearbeitet hat, wurde von der Demokratiebewegung als «Feigling» bezeichnet, weil er das Spiel der Armeeführung mitspielte. Doch jetzt wurde es selbst Hamdok zu viel. Am Sonntagabend trat er zurück. Offen sagte er, dass er gegen die Militärs nichts ausrichten konnte.
Und jetzt? Wie bisher wird das Militär auf Zeit spielen, schöne Phrasen dreschen, irgendwann einen neuen «Friedensprozess» einleiten. Dann wird palavert und palavert. Und so lange bleibt die Armee an der Macht. Der «sudanesische Frühling» ist längst Vergangenheit.
Ägypten und Saudi-Arabien sehen die Entwicklung im Sudan mit Wohlwollen. Denn eine aufblühende Demokratie an ihren Grenzen wäre sicher nicht das, was sie sich wünschen.