Die internationalen Sanktionsmechanismen gegen den Iran greifen: Sie richten sich gegen die Religionsautokraten und treiben gleichzeitig die letzten Reste der „grünen Revolution“ vom Sommer 2009 in die Arme der Mächtigen. Bashar El-Assads Tage in Damaskus sind gezählt - ob sich der UN-Sicherheitsrat endlich zu einer eindeutigen Resolution gegen das Morden durchringt oder nicht. In Ägypten frisst die Revolution ihre Kinder, was die internationale Staatengemeinschaft dazu zwingen wird, Farbe zu bekennen: Setzt sie auf den Obersten Militärrat in der Nachfolge Mubaraks oder arrangiert sie sich mit dem Modell einer islamischen Demokratie, die auch den Kopten freie Religionsausübung gewährt? Hat sie den Anspruch Israels, jüdisch und demokratisch sein zu wollen, nicht längst internalisiert?
Im Falle Israels überwiegt in der Ferne wie eh und je politisches Zögern. Niemand dort wird seiner Bevölkerung das Recht auf Sicherheit absprechen – welche die Regierungen in Jerusalem dadurch befriedigen wollen, dass sie die Idee einer Zweistaatenregelung, an die sich eben jene „Staatengemeinschaft“ verzweifelt klammert, entgegen allen mageren Bekenntnissen ad absurdum führt. Machmud Abbas sei kein Partner für den Frieden, hat Benjamin Netanjahu letzten Herbst verkündet. Die jüngsten Gespräche in Amman sind gescheitert. Khaled Meshal, der starke Mann bei Hamas, entzieht sich dem Einfluss aus Teheran und Damaskus mit Folgen für den Gazastreifen. Der amerikanische und der israelische Botschafter haben freie Hand für Kontakte mit den Moslembrüdern.
Apokalyptische Folgen
Die internationale Tatenlosigkeit hat die Hardliner um Ehud Barak ermutigt, ein „breites globales Einverständnis“ zu einem militärischen Alleingang gegen das iranische Atomrüstungsprogramm zu behaupten. Während sich Thomas de Maizière genötigt sieht, Israel vor „Abenteuern“ zu warnen, übt sich Guido Westerwelle in vermeintlich vornehmer Zurückhaltung. Noch vor wenigen Tagen hat der deutsche Chefdiplomat seinen Amtskollegen Avigdor Lieberman erneut seine „politische und persönliche Freundschaft“ angetragen, und aus Tel Aviv bleiben uns die Bilder vom herzlichen Einvernehmen mit Barak in Erinnerung.
Wer über die mangelnde Geschlossenheit der Europäischen Union beredte Klage führt und die Unstimmigkeiten in der Bundesregierung übersieht, die sich nicht mit koalitionärer Arbeitsteilung abtun lassen, will nicht erkennen, dass ein Militärschlag Israels die gesamte Region von Grund auf destabilisieren wird. Jede deutsche Unterstützung der um politische Emanzipation und wirtschaftlichen Aufstieg ringenden arabischen Völker wäre um ihren Ertrag gebracht. Die Türkei kann sich politische Neutralität nicht leisten. Mit deutschem Doppelmass zu messen, lässt sich am wenigsten mit der Verantwortung für den Holocaust begründen, denn auch unter den Israelis wären die Opfer enorm; die Koalition in Jerusalem will sie anscheinend in Kauf nehmen.
In den vergangenen zwölf Monaten hat Angela Merkel viermal mit Netanjahu telefoniert, wobei es regelmässig um die Siedlungspolitik ging. Die Bundesregierung ist dem israelischen Drängen gefolgt, den palästinensischen Antrag auf UN-Mitgliedschaft abzulehnen. Jetzt kommt sie um die Bewertung der humanitären Gefahrenpotentiale nicht herum. Wer in Berlin findet den Mut und die Kraft, um der eigenen Staaträson willen die israelische Politik vor sich selbst zu retten und auf jene Stimmen im Lande zu hören, die vor apokalyptischen Folgen für die gesamte Region warnen?