Am Ende ahnt er wohl selbst, dass seine Macht sehr rasch an ihr Ende kommen könnte. Denn vieles kommt zusammen an diesem 15.März des Jahres 44 vor Christus, als Gaius Julius Caesar den Weg zum Kapitol unter seine Sandalen nimmt. «Mordsache Caesar» des Historikers Michael Sommer schildert die letzten Tage des Diktators. Und zeigt, wie wacklig Macht doch sein kann.
Es ist im September des Jahres 46 vor Christus, als der grosse Redner Cicero im römischen Senat das Wort ergreift. Ihm gegenüber: Gaius Julius Caesar, der gerade aus einem blutigen Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangen ist. Und der nun, vom Senat für zehn Jahre mit den für ausserordentliche Notlagen reservierten Befugnissen eines Diktators ausgestattet, gegenüber seinen Gegnern von einst Milde walten lässt. Auch Cicero hat sich damals Pompeius angeschlossen, Caesars Gegenspieler. Auch ihm ist verziehen worden. Jetzt legt er in seiner Rede ein gutes Wort ein für den ehemaligen Konsul Marcellus, lobt Caesars Gutherzigkeit über den grünen Klee, und warnt ihn. Da seien Verschwörer am Werk, schon würden Dolche gewetzt. Caesar möge sich vorsehen.
Cicero ist kein Anhänger des Mannes, der sich anschickt, in Rom eine Alleinherrschaft zu installieren und das gut austarierte Kräftespiel der Republik in den Abfalleimer der Geschichte zu versenken. Zeitlebens hat er sich für jene Kreise eingesetzt, in deren Mitte er dank seines überragenden Redetalents in die höchsten Ämter aufgestiegen ist: Die Nobilität, die Rom seit der Abschaffung der Monarchie im Jahr 510 vor Christus kollektiv regiert. Aber Cicero hat auch erkannt: Wird Caesar jetzt gestürzt, dann wird ein weiterer, noch blutigerer Bürgerkrieg folgen. Dem Cicero selber zum Opfer fallen wird.
«Mord lag in der Luft»
Doch die Dinge nehmen ihren Lauf. «Mord lag in der Luft»: So beschreibt der Historiker Michael Sommer diesen Moment. «Mordsache Caesar – Die letzten Tage des Diktators» beschreibt, wie es kommt, dass am 15.März 44 v. Ch., vormittags gegen 11.30 Uhr, Caesar während einer Senatssitzung mithilfe der erwähnten Dolche getötet wird - von Marcus Junius Brutus, Gaius Cassius Longinus, Decimus Junius Brutus, Gaius Trebonius und etwa sechzig weiteren Angehörigen von Roms gesetzgebender Versammlung. Und weil sich die Tat in aller Öffentlichkeit abspielt, gibt es in dieser Mordsache keine Täter mehr zu ermitteln. Sommers Frage lautet vielmehr: Was waren die Motive? Wie kommt es, dass Caesar just im Moment seiner unumschränkten Macht einer Verschwörung zum Opfer fällt? Oder anders gefragt: Warum die Macht von Diktatoren sich so rasch in Luft auflösen kann, wie es in diesen Tagen etwa in Syrien zu beobachten ist.
Antworten findet Sommer zum einen in den Veränderungen der politischen Verhältnisse, die spätestens in Caesars Geburtsjahr 100 vor Christus einsetzen. Und zum andern in den Lebensläufen des Diktators Caesar wie seiner Verschwörer. Die römische Republik gerät grundlegend aus dem Gleichgewicht. Aus einem überblickbaren Stadtstaat wird ein zuerst Italien umfassendes, dann immer weiter ausgreifendes Reich, dessen Stärke nicht nur in seiner auf viele Schultern verteilten Verwaltung liegt, sondern vor allem in den Armeen. Das Militär, zunächst immer nur für einzelne Feldzüge aufgeboten, wird zur dauerhaften Institution – und zum Unruheherd. Denn wer Truppen unter seinem Kommando hat, kann das ausgeklügelte Machtsystem zu seinen Gunsten verändern.
Die Macht kommt aus den Gewehren
Das erkennt Gaius Julius Caesar früh. Als Mann von nicht allzu edler Herkunft hat er von Haus aus keine besonders exzellenten Aufstiegschancen. Auch fehlen ihm die finanziellen Mittel, die man in Rom braucht, um Wahlkämpfe zu bestehen und Anhänger um sich zu scharen. Doch Geld lässt sich beschaffen, denn Caesar findet in Marcus Licinius Crassus – der unserem Wortschatz das Wort «krass» hinterlassen hat – einen schwerreichen Verbündeten, dem er mit seinen politischen Kontakten zur Seite steht.
Denn wer nicht nur reich, sondern noch reicher, und dazu mächtig werden will, braucht die vom Senat verliehene Herrschaft über eine der Provinzen. So bekommt Caesar denn Gallien, Crassus Syrien (wo er in einem Feldzug sterben wird), Pompeius (später sein Gegner) Spanien. In Gallien erfolgreich, will Caesar sich in Rom um das Konsulat bewerben, eine der beiden Positionen an der Staatsspitze. Er müsste jetzt sein Heer entlassen, weigert sich aber und marschiert nach Rom.
Caesar will keine Leibwache
Noch bleibt nach dem Sieg über Pompeius und die Anhänger der alten Republik einiges zu tun, alles in allem aber kann Caesar jetzt frei schalten und walten. Viele Gegner von einst begnadigt er, und er zieht einen jungen Mann in seine Nähe: Gaius Octavius, den Sohn seiner Schwester. In seinem letzten, erst im Moment des Todes öffentlich gemachten Testament wird er ihn adoptieren.
Caesar ist sich seiner Macht sehr sicher. Als ihm seine Freunde ihm raten, er solle sich eine Leibwache zulegen, entgegnet er: Es sei doch besser, ein einziges Mal zu sterben, als ständig den Tod zu erwarten. Zwar bleibt nach aussen das Gerüst der Republik unangetastet, doch deren Ämter verteilt Caesar jetzt nach freiem Gusto. Kommt hinzu: Mit den Begnadigungen ehemaliger Gegner wächst die Zahl derer, die ihre Hoffnung auf eine Karriere unter ihm setzen. Auch treue Kampfgefährten bangen jetzt um ihre Position und Zukunft.
Während Caesar die Macht (und dazu auch noch die Liebe der ägyptischen Königin Kleopatra) geniesst, findet sich im Stillen der Kreis der Verschwörer zusammen. Cassius hat einen Freundeskreis, dessen Mitglieder sich in der Ablehnung Caesars einig sind. Er gewinnt Marcus Brutus, Abkömmling jenes alten Geschlechts, das der Sage nach die Republik begründet haben soll. Viele weitere stossen dazu, aus den unterschiedlichsten Motiven.
Oktavian zieht seine Schlüsse
Sie stehen unter Druck. Caesar plant einen Feldzug im Osten, nicht mehr lange wird er in Rom sein. So geschieht, was über Monate geplant war – doch mit völlig überraschendem Ergebnis: Das Volk ist keineswegs erfreut über den Mord an Caesar, der dieses Volk in seinem Testament reich beschenkt. Und am Ende eines langen, blutigen Ringens kann im August 30 vor Christus sogar der von allen unterschätzte Octavian die Macht erringen.
Was aber tut er jetzt? «Der alte Caesar hatte vorgemacht, wie es nicht geht», fasst Michael Sommer zusammen: «Er hatte an alles gedacht, nur nicht an die Ehre der Senatoren. Er hatte vergessen, wie gefährlich beleidigte Männer sind. Der junge Caesar war skrupellos und kaltschnäuzig. Aber er war ein gelehriger Schüler.» Dieser Schüler nun zieht seine Schlüsse, die Senatoren sollen seine Partner sein. Er wird wieder einfacher Magistrat, später legt er sogar das Konsulat nieder und ist nur noch Privatmann. «Ein Senator unter Senatoren, nur eben der, der die Macht innehatte. Der junge Caesar wurde Augustus. Augustus sagte, er habe die Republik wiederhergestellt.» Augustus: Das ist Roms erster Kaiser.
Michael Sommer: Mordsache Caesar - Die letzten Tage des Diktators, Verlag C.H.Beck, München 2024, 315 Seiten