Donald Trump mag Europa nicht. Der Alte Kontinent sei ein «Feind» der USA, sagte er während seiner ersten Amtszeit. Seine Abneigung gegenüber Brüssel ist längst bekannt. Die EU arbeite gegen amerikanische Interessen, kritisiert er. Jetzt bahnt sich ein Flirt der besonderen Art an.
Nach der Feier zur Wiedereröffnung der Pariser Kathedrale Notre Dame lud der französische Präsident Emmanuel Macron zu einem Galadinner. Mit Erstaunen hat man im Rom registriert, dass Trump lange Zeit mit Giorgia Meloni gesprochen hatte. Und zwar intensiv. Sie war früher Dolmetscherin und spricht Englisch. «Die beiden sprachen auf Augenhöhe», erzählen italienische Journalisten.
«Wir haben uns gut verstanden», sagte Trump der New York Post. Und: «Wir haben viel Zeit miteinander verbracht.» Hat Trump endlich eine Verbündete in Europa gefunden? Und handelt es sich dabei ausgerechnet um eine Rechtsaussen-Politikerin?
Vakuum in Europa
Das politische Deutschland zerfleischt sich mit hohem Unterhaltungswert. Der französische Staatspräsident schwächelt, und der britische Premierminister strampelt. Nur die italienische Regierung, sagen amerikanische Experten, sitze fest im Sattel. Das stimmt zwar nicht ganz und zeigt, dass die Amerikaner Italien noch immer nicht verstehen.
Meloni hat eben zwei wichtige Wahlen in der Emilia-Romagna und Umbrien verloren und liegt im Dauerstreit mit Matteo Salvini, ihrem Koalitionspartner. Die italienischen Wirtschaftsaussichten sind gedämpft. Erste grosse Streiks fanden statt. In der Bevölkerung wächst da und dort der Unmut, denn trotz einer 170-Milliarden-Spritze aus Brüssel hat die Regierung eigentlich wenig erreicht. Aber immerhin: Melonis fragile Dreierkoalition hält seit zwei Jahren.
Keine Romanze
Der Honeymoon zwischen den USA und Italien hatte sich schon länger abgezeichnet. Seit längerem turteln Meloni und Elon Musk miteinander. Er schwärmt von ihrer Schönheit, und die beiden strahlen sich an und schauen sich tief in die Augen. Und zwar so, dass sich der Tesla-Chef bemüssigt fühlt zu dementieren, dass zwischen den beiden eine Romanze besteht.
Als das höchste italienische Gericht die Ministerpräsidentin mit ihrem Projekt, Flüchtlinge in Albanien unterzubringen, zurückpfiff, eilte ihr Musk zur Seite und kritisierte in arroganter Weise die italienische Justiz. Dies führte dazu, dass sogar Sergio Mattarella, der Staatspräsident, Musk in die Schranken wies und sich verbat, dass er die höchsten italienischen Richter nach Hause schicken wollte.
Melonis Flirt mit Musk ist nicht ganz uneigennützig. Sie hofft noch immer, dass der reichste Mann der Welt in Italien ein Tesla-Werk baut und Arbeitsplätze schafft. Es ist immer beruhigend, einen 440-Milliarden-Mann (so gross ist sein Vermögen) auf seiner Seite zu wissen.
Pole Position für Meloni
Auch wenn Trump wenig von Europa hält, braucht er doch auf dem alten Kontinent Verbündete, Fürsprecher, Ansprechpartner. Wer käme da ausser Giorgia Meloni in Frage?
- In Rom wird Mark Rutte genannt, der neue Generalsekretär der Nato. Er setzt sich – wie Trump – für einen schlanken Staat ein. Der Mensch müsse das Glück selbst finden und nicht den Staat damit beauftragen, fordert Rutte. Zudem setzt er sich für eine strengere Asylpolitik ein. Gleichzeitig jedoch, und da liegt er nicht auf Trumps Linie, fordert er ein stärkeres militärisches Engagement für die Ukraine.
- Viktor Orbán liegt ideologisch nahe bei Trump, doch die USA wissen, dass der «illiberale» ungarische Ministerpräsident und seine Sympathien mit Putin in weiten Teilen Europas und in Brüssel unbeliebt sind. Via die «Antenne Orbán» hätte Trump wohl wenig Einfluss in Europa.
- Genannt wird auch Andrzej Duda, der polnische Staatspräsident. Zwar stimmt er in manchen Bereichen mit Trumps Vorstellungen überein, gilt für Washington jedoch als wenig bekannt und profiliert. Seine Probleme mit der Justizreform machten ihn in Brüssel wenig beliebt.
Die umtriebige Giorgia Meloni, die sich in Szene zu setzen weiss, liegt im Moment klar in der Pole Position. Dass sie von Elon Musk verehrt wird, stärkt ihre Position erheblich. Und Trump sagt: «Sie ist fantastisch, voll von Energie, she is great».
«Team des Jahres»
«La voce del Patriota» (Die Stimme des Patrioten), eine Meloni-nahestehende Publikation, hat die drei bereits zum «Team des Jahres» (La Squadra dell’anno) erkoren. Meloni sei dabei, «Italien und Europa zu retten», heisst es im Untertitel. Und: «Donald Trump wird Amerika retten» und Elon Musk hat «die freie Meinungsäusserung gerettet». Zusammen würden sie «den Westen grossartig machen». Und im Innern des Heftes heisst es: «ll futuro appartiene ai patrioti, non ai globalisti.» (Die Zukunft gehört den Patrioten, nicht den Globalisten.)
Auch Trumps libertärer Seelenverwandter in Südamerika, der argentinische Präsident Javier Milei, hat sich auf die Seite von Meloni geschlagen. Die italienische Ministerpräsidentin dankte es ihm, indem sie ihm vergangene Woche die italienische Staatsbürgerschaft schenkte. Ein altes italienisches Gesetz machte dies möglich, da Milei, der «Mann mit der Kettensäge», italienische Vorfahren hat. Milei, der selbst ernannte «Anarchokapitalist», ist jetzt Argentinier und Italiener zugleich. Die italienische Opposition ist entsetzt.
Ein einflussreiches Power-Quartett formiert sich da: Trump, Musk, Meloni, Milei. Sie alle eint ihre libertären, ultraliberalen Ideen, diese Mischung aus politischem Autoritarismus und Neoliberalismus. Der Staat soll so klein wie möglich gehalten werden. Für alle vier kommt alles Übel in dieser Welt von links, von den «Progressiven», den «Liberalen», den «Sozialisten», den «Klimaaktivisten», den «Gutmenschen», den «Globalisten» – und natürlich von den Migranten. Dazu eint sie eine erzkonservative Moralvorstellung. «Patria, dio, famiglia» lautet Melonis Slogan. In italienischen Schulen und in öffentlichen Ämtern werden wieder Kruzifixe aufgehängt.
Trotz allem: Differenzen
Doch auch wenn Trump und Meloni Seelenverwandte sind: In wichtigen Punkten sind sie sich nicht einig. Meloni gehört zu den stärksten Unterstützern der Ukraine und hat Präsident Wolodymyr Selenskyj mehrmals in Kiew besucht. Im Gegensatz zu ihrem Koalitionspartner Matteo Salvini ist sie alles andere als eine «Putin-Versteherin».
Wird nun Meloni von Trump, Musk und Milei beeinflusst – oder gar radikalisiert? Im italienischen Senat fand an diesem Mittwoch eine heftige Debatte zu diesem Thema statt. Oppositionspolitiker, unter anderen Matteo Renzi, warfen Meloni vor, am Gängelband von Trump, Musk und Milei zu zappeln. Die Ministerpräsidentin reagierte wütend. Sie nehme von niemandem Befehle entgegen, sagte sie tapfer.
Was bedeutet das alles für Europa, für Italien?
«Wir sind wieder wer»
Wird Melonis Stellung in Italien durch die Unterstützung von Trump, Musk und Milei gestärkt? Lange Zeit, vor allem unter Berlusconi, galt Italien als Land der Witzfiguren und spielte auf internationaler Ebene keine Rolle. Unter dieser Schmach litt die Bevölkerung. Wenn nun der mächtigste Präsident der Welt die italienische Ministerpräsidentin hofiert, ist das Balsam auf die geschundene italienische Seele. «Wir sind wieder wer», heisst es da und dort in Italien. Andererseits sind Trump und Musk in Italien wenig beliebt. Umfragen vor den amerikanischen Wahlen ergaben, dass genau doppelt so viele der Befragten sich für Kamala Harris als für Trump ausgesprochen haben. Und Musks arrogante Einmischung in die italienische Justiz kam gar nicht gut an. Ein Römer Autohändler erzählt, dass in den letzten zwei Wochen mehrere Tesla-Fahrer ihr Auto umtauschen wollten. Doch lieber ein Fiat 500e ...
Wird der amerikanische Präsident versuchen, via Meloni Einfluss auf die EU zu nehmen. Wird sie versuchen, Brüssel mit Trumps neoliberalen Ideen zu infizieren? Noch weiss es niemand. Da Deutschland und Frankreich schwächeln und ein Vakuum hinterlassen, könnte Italien in der EU an Einfluss gewinnen.
«Verschiebung des geopolitischen Gleichgewichts»
Und da gibt es jene Kommentatoren, die nicht ausschliessen, dass nicht nur Trump Meloni beeinflusst, sondern auch umgekehrt. Wird es der «Fratelli d’Italia»-Frau gelingen, dem amerikanischen Präsidenten das Funktionieren von Europa etwas näher zu bringen – ein Kontinent, den er offensichtlich nur wenig versteht. Wird sie eine Lanze für die Ukraine brechen und Trumps Haltung beeinflussen? Niemand weiss es. Was aber alle wissen: Trump ist unberechenbar, sprunghaft und emotional.
Die einflussreiche US-Website «Politico» schreibt: «Mit Trump als neuem Protagonisten der amerikanischen Politik und Meloni mit wachsendem Einfluss in Europa zeichnen sich Szenarien ab, die die geopolitischen Gleichgewichte auf globaler Ebene neu definieren könnten.»